Hans Fallada - Wer einmal aus dem Blechnapf frißt

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Blechnapf statt Teller, das ist die triste Realität der fünfjährigen Haftzeit des Willi Kufalt in Hans Falladas Roman «Wer einmal aus dem Blechnapf frißt». Eine Unterschlagung ist Kufalt zum Verhängnis geworden. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis will er in Hamburg ein neues Leben beginnen. Er findet Unterkunft in einem Heim für ehemalige Gefängnisinsassen. Doch das Heim beschneidet die Freiheiten seiner Bewohner. Es gibt keinen freien Ausgang. Eine Wohnung bekommt er erst, als er seine Vergangenheit geschickt verschleiert. Kufalt bemüht sich, eine bürgerliche Existenz aufzubauen, ergreift wieder einen Beruf. Doch wo auch immer seine Vergangenheit bekannt wird, schlagen ihm Misstrauen und Ablehnung entgegen. Eine zweite Chance scheint es nicht zu geben. Kufalt glaubte, das Gefängnis für immer hinter sich gelassen zu haben. Doch erneut wird er, diesmal zu Unrecht, eines Diebstahls beschuldigt und vorübergehend inhaftiert. Nach einer Weile wird seine Unschuld bewiesen. Zu spät. Kufalt hat inzwischen mit der bürgerlichen Gesellschaft abgeschlossen. Er beschließt, ihr von nun an gezielt zu schaden. Für einen großen Juwelenraub sucht er nach einem erfahrenen Komplizen.
Hans Fallada demonstriert am Beispiel Willi Kufalts in «Wer einmal aus dem Blechnapf frißt» den Teufelskreis aus Bestrafung, Entfremdung von der Gesellschaft und erneuter Bestrafung, der die Resozialisierung nach einer Gefängnisstrafe so schwer macht: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt, wird wahrscheinlich immer wieder aus ihm fressen müssen.
Hans Fallada veröffentlichte «Wer einmal aus dem Blechnapf frißt» erstmals 1934.

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Petrow stürzt sich wutenbrannt auf den ›Unschuldigen‹: „Soll ich dir Giftzahn ausreißen, Laster, langes, geklebtes? Bist du in Judenschule, denkst du? Glaubst du? Marsch, marsch, marsch, Linken, Rechten, Linken, Rechten in Arrestzelle, kannst du reden mit Eisen, bis Arzt kommt, Schwätziges, du!“

Knack knack, die Zellentür fliegt zu, der ganz verstörte Lange ist verschwunden, und im Vorbeigehen flüstert Petrow strahlend dem Kufalt zu: „Hat er Schiß gekriegt, der Neue? Bin ich schrecklich wütend? Söhnchen, mach mit dem nicht Kumpelage, immer ist das bei Direktor und Inspektor und schwätzt alles, was es hört.“

Und Petrow ist schon zehn Schritte weiter. Da stehen isoliert zwei Braune, schmucke Zuchthaushusaren, sicher auf Transport hier. Und die beiden Isolierten hatten drei Schritte vorwärts gemacht, vom Linoleum herunter auf den gewachsten Zementboden, wohl um etwas Anschluß zu finden bei den anderen Gefangenen, vielleicht wegen Tabak ...

„Bleibt sich hier, die Herren, auf dem braunen Linolei, immer auf dem Linolei. Hier, die Herren!“

Die Zuchthäusler sehen nicht auf, sie sehen starr vor sich in die Luft, hören nichts, rühren sich nicht. Kufalt stellt wieder fest, daß Zuchthäusler eine ganz andere Art haben, mit Beamten umzugehen. Gefängnisgefangene schmusen sich an, suchen auf du und du zu kommen, der Zuchthäusler hat nie einen Beamten gesehen, die sind alle Luft für ihn.

Petrow empört sich ernstlich: „Auf den Linolei! Auf den Linolei!“

Die beiden hören nichts, sehen nichts. Nur wie zufällig machen sie gerade jetzt einen Schritt, zwei Schritte, drei Schritte – und stehen wieder auf dem Linoleum. Den Beamten haben sie gar nicht gesehen.

Die Tür zum Lazarett tut sich auf. In seinem weißen Mantel erscheint der Lazaretthauptwachtmeister: „Vorführung zum Arzt!“

„Paarweise antreten!“ schreit Petrow. „Einrücken ins Lazarett!“

Und im selben Augenblick bricht die sorgfältig bewahrte Ruhe und Ordnung zusammen. An die fünfzig Gefangene rücken im Gelärm und Geschwätz durch die enge Schlucht eines Ganges über eine Treppe ins Lazarett. Petrow versucht, wenigstens die beiden Zuchthäusler im Auge zu behalten, aber sofort sind die untergetaucht zwischen den anderen, tauschen Worte, ihre Hände fassen zu.

„Na, wartet! Werde ich filzen euch auf Tabak, Schweine, miserablige! – Na, laß sie! – Stellt euch hierhin, ihr beide!“

„Alles in zwei Gliedern aufstellen, die Gesichter zur Wand, die Rücken gegeneinander. Schuhe und Pantoffeln ausziehen und vor sich stellen!“ kommandiert der Lazaretthauptwachtmeister.

Es geschieht, ein Name wird aufgerufen, und der Gefangene verschwindet im Arztzimmer, der Hauptwachtmeister hinterher.

„Das wird heute wieder endlos dauern“, haucht Kufalt zum kleinen Bruhn, der neben ihm steht.

„Weiß man nicht, Willi“, flüstert Bruhn. „Manchmal macht er sechzig in einer halben Stunde fertig. Siehst du, geht der Krach schon los.“

Aus dem Arztzimmer tönt Geschimpfe, Geschrei, der Gefangene erscheint, wutrot: „Aber ich bin wirklich krank, ich beschwere mich beim Strafvollzugsamt, das lasse ich mir nicht gefallen!“

„Gehen Sie schon, gehen Sie“, drängt der Hauptwachtmeister.

„Simulantengesindel“, hört man den Arzt schreien. „Ich besorg's euch! Der Nächste!“

„Riecht heute sauer“, sagt Batzke auf der anderen Seite von Kufalt. „Wenn er schon beim ersten so anfängt ...“

„Wenigstens kommen wir dann schneller dran. Ich will noch zum Fußball. Du doch auch?“

„Weiß noch nicht. Mein Affenfett ist alle, ich muß erst noch mal auf die Anschaffe.“

„Müssen wir uns eigentlich ganz ausziehen?“ fragt Kufalt.

Und Batzke: „In Fuhlsbüttel mußten wir's. Wie's hier bei den Preußen ist, weiß ich nicht.“

„Unsinn“, flüsterte Bruhn von der anderen Seite. „Gar nichts wird gemacht. Der sieht uns gar nicht an.“

„Glaub' ich nicht“, sagt wieder Kufalt. „In der Strafvollzugsordnung steht doch, daß die Gefangenen vor ihrer Entlassung gründlich auf Gesundheit und Arbeitsfähigkeit zu untersuchen sind.“

„Da steht viel.“

„Also du meinst, wir brauchen uns nicht auszuziehen?“

Batzke flüstert: „Na, was für heiße Sore hast du denn in deinen Lumpen, Kufalt? Machen wir Kippe oder –?“

„Stille seid ihr, Klatschtanten“, ruft Petrow. „Mit Schlüssel in Genick schlag' ich!“

„Ach, Herr Oberwachtmeister, darf ich nicht mal austreten? Herr Oberwachtmeister, es zieht mir ja so durch den Bauch! Ich hab' ja so 'ne Angst vor dem Arzt!“ grinst Kufalt.

„Na, geh scheißen, altes Haus. Drüben in Spülzelle. Daß du aber keine drinnen stößt, sonst alles Qualm, und Doktor schimpft.“

„Bestimmt nicht, Herr Oberwachtmeister.“

Und Kufalt verschwindet in der Spülzelle, deren Tür er anlehnt. Der Sicherheit halber zieht er die Hosen runter, aber dann stellt er sich mit dem Rücken gegen den Spion, nimmt hastig den Schein aus dem Halstuch, schiebt ihn tief in die Socken (›so, Batzke, Kippe is nich‹), macht sich zurecht, läßt einen Augenblick die Wasserleitung laufen und stellt sich wieder in Reih und Glied.

Petrow steckt den Kopf prüfend in die Spülzelle und zieht ihn befriedigt zurück. „Nicht geraucht, keine gestoßen, braver Kerl, Kufalt.“

Und Kufalt fühlt sich ob dieses Lobes richtig gerührt.

Doch Batzke flüstert: „Na, Mensch, Kufalt, wie is –? Kommst du rüber mit der Sore, oder soll ich?“

Und Kufalt dagegen: „Und was ist mit dem dicken Juden und der nackten Schickse? Mensch, hau bloß ab, bei mir immer Fehlmeldung!“

„Na also“, grinst Batzke. „Hast du den Stubben auch hochgenommen? Sauber! Sauber!“

Aus der Ecke grollt eine drohende Stimme: „Wie lange sollen wir hier noch in Socken auf dem kalten Fußboden stehen? Eine Schweinerei ist das! Beschweren werde ich mich!“

Petrow grinst: „Die Herren aus dem Zuchthaus? Hat sich Medizinalrat so angeordnet. Kann ich nichts machen, Herren. Beschweren sich bei Medizinalrat.“

„Möchte ich auch wissen“, sagt Kufalt leise zu Bruhn, „warum diese Schweinerei ist. Zehnmal habe ich mir schon den Husten bei dieser Steherei auf dem kalten Fußboden geholt.“

„Daß wir den Herren Lazarettkalfaktoren ihr Linoleum nicht zerkratzen“, meint Batzke.

„I wo“, erklärt Bruhn, der alles weiß. „Das ist schon sechs, acht Jahre her, da hat mal ein Gefangener dem Arzt die Latschen um den Kopf gehauen. Seitdem darf kein Gefangener mehr in Latschen zu ihm.“

„Verdammte Schweinerei“, knurrt Kufalt. „Wir dürfen uns hier erkälten, weil ...“

„Wir sind eben Vieh“, sagt Batzke. „Aber ich will's denen draußen auch zeigen, was ich für ein Vieh bin!“

Die Gefangenen sind dahingeschmolzen wie Schnee an der Sonne, es hat mehr Krach gegeben, mehr Geschrei, empörte Proteste oder weinerliches Gewinsel, aber zum Schluß hat immer die dicke Schulter des Lazaretthauptwachtmeisters die Leute aus der Tür gekantet, Petrow hat sie weiterbefördert, hat mitfühlend ihre Klage angehört und ist froh gewesen, wenn er sie aus dem Lazarett raus hatte.

Nun kommen nur noch die beiden Zuchthäusler und die Entlassungen dran.

„Paß auf, jetzt gibt's Krach“, rät Kufalt.

„Glaub' ich nicht“, zweifelt Bruhn. „Sollte mich wundern.“

Und nach fünf Minuten erscheinen die beiden wieder aus dem Arztzimmer, mit denselben ausdruckslosen Gesichtern, und diesmal taucht der Herr Medizinalrat selbst hinter ihnen auf: „Der Hauptwachtmeister bringt Ihnen gleich die Medizin rauf. Ja, auch Watte. Jawohl.“

„Die können's besser, die Jungen“, beneidet sie Kufalt.

„Ach was“, sagt Bruhn, „feige ist er bloß, der Doktor. Das können doch Lebenslängliche sein – und was riskieren die schon, wenn sie ihm in die Fresse schlagen? Lebenslänglich bleibt immer lebenslänglich. Das weiß der Doktor ganz gut.“

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