So schallte es zu ihm herüber. Verwundert blieb der kleine Löwe stehen und fragte sich, was dort hinten wohl los sei. Sehen konnte er nichts, dafür standen die Büsche zu dicht.
Wo gelacht wird, da geht es bestimmt lustig zu, dachte er, und dafür bin ich immer zu haben.
Diesmal jedoch trabte er nicht so arglos auf die Stelle zu, von der die Stimmen kamen. Er dachte nämlich daran, wie sehr er am Vortag die schwarzen Melker erschreckt hatte, als er so unerwartet auf der Weide aufgetaucht war. Deshalb achtete er darauf, dass er, während er sich heranschlich, immer durch Buschwerk gedeckt war.
Endlich war Leo nahe genug herangekommen. Durch die Blätter eines Strauches hindurch spähte er auf einen Hügel. Eine Schar schwarzer Kinder tummelte sich dort im Sonnenschein. Die Kleinen spielten mit einem Fass, dass der Fluss ans Ufer geschwemmt hatte. Abwechselnd stieg immer ein Kind ins Fass hinein und kauerte sich darin so tief, bis auch der Kopf nicht mehr über den Rand hinausragte. Die anderen Spielgefährten drückten dann den Deckel oben drauf, kippten das Fass um und ließen es die Böschung hinunterrollen. Dann rannten sie schreiend hinterher. Sobald das Fass wieder still lag, schob das Kind von innen den Deckel hoch und kletterte hinaus. Danach rollten sie alle das Fass wieder die Böschung hinauf und stritten sich darum, wer als Nächster damit rollen durfte.
„Ich bin an der Reihe“, rief ein kleines Mädchen.
Doch ein kräftiger Junge schubste es zur Seite. „Du bist doch schon dran gewesen.“
„Ist ja nicht wahr!“
Als die anderen Kinder die Behauptung des Mädchens bestätigten, gab der kräftige Junge schließlich nach und forderte das Mädchen auf:
„Also gut, klettere schon rein!“.
Kaum hockte das schwarze Mädchen im Fass, da stülpten die anderen den Deckel darauf und schubsten es den Hügel hinunter.
So ganz ungefährlich war das Spiel mit dem rollenden Fass jedoch nicht. Aber die Kinder dachten nur an ihr Vergnügen und spielten unbekümmert weiter.
Mehrere Male hatte der kleine Löwe zugeschaut, wie die Kinder mit dem Fass die Böschung hinunterrollten. Am liebsten wäre er begeistert aufgesprungen und hätte mitgespielt. Doch er hielt sich weiter zurück und erfreute sich an dem lustigen Treiben.
Aber immer nur zuschauen müssen, ohne mitspielen zu dürfen, davon wurde Leo auf die Dauer doch müde. Erst fiel ihm das linke Auge zu, dann auch das rechte, und ohne es recht zu wissen, döste er ein. Erst als ihm schließlich der Kopf schwer auf die Pfoten sank, schreckte er hoch. Nein, einschlafen wollte er nicht. Um sich wieder richtig wach zu machen, schüttelte er den Kopf und gähnte dazu, als wolle er die ganze Welt verschlingen.
Das hätte er jedoch nicht tun dürfen! Als die schwarzen Kinder sein Gähnen hörten, erstarrten sie entsetzt. Mit einem Schlag verstummte ihr fröhliches Lachen.
Leo, der beim Gähnen die Augen geschlossen hatte, merkte nichts von alldem und gähnte zum zweiten Mal - diesmal sogar noch lauter und länger.
Die Kinder standen noch immer da wie gelähmt, bis endlich ein größerer Junge ängstlich schrie:
„Ein Löwe! Ein Löwe will uns fressen! Ein Löwe!“
Sogleich stimmten auch seine Spielkameraden in das Angstgeschrei ein und kreischten durcheinander:
„Ein Löwe!“
„Ein wilder Löwe!“
„Ein Löwe will uns fressen!“
„Lasst uns nach Hause laufen!“, rief der größere Junge den vor Angst zitternden Kindern zu.
„Ja, rasch!“, schrie ein anderer.
„Nach Hause!“
„Ein Löwe will uns fressen!“
„Nach Hause, rasch nach Hause!“
„Lauft doch schneller, sonst schnappt er uns noch alle!“
„Schneller, schneller!“, drängte der größere Junge.
Dabei war es überflüssig, die Kinder anzutreiben. So schnell wie diesmal hatten sie noch nie Reißaus genommen.
Erst jetzt merkte Leo, was er angerichtet hatte, und schlug sich zur Strafe mit der Pfote aufs Maul, als er zum dritten Mal gähnen wollte.
Ich Dummkopf, ich Trottel, schalt der kleine Löwe sich selbst. Immer muss ich gähnen und andere erschrecken. Dabei bin ich doch gar kein Löwe wie andere Löwen, und fressen will ich erst recht niemanden. Ich mag doch nur Kokosnüsse, Bananen und frische Milch.
Um die schwarzen Kinder, die er durch sein Gähnen so sehr erschreckt hatte, wenigstens halbwegs wieder zu versöhnen, rief er ihnen zu:
„Bleibt doch hier, Freunde, ich tu euch nichts, bestimmt nicht! Ich möchte nur gern mit euch spielen.“
Aber die Kinder hörten ihn nicht mehr, so weit waren sie schon davongerannt. Wie leer gefegt sah die Böschung aus. Nur das Fass war übriggeblieben und lag umgekippt im Sand.
Nein, nein, die Kinder kommen bestimmt nicht mehr zurück, brummte Leo vor sich hin, und spielen werden sie erst recht nicht mit mir. Dazu habe ich sie zu sehr erschreckt. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als allein zu spielen. Ich möchte zu gern mal ausprobieren, wie das ist, so mit dem Fass die Böschung hinunterzurollen.
Der kleine Löwe gab sich entschlossen einen Ruck, trabte auf das leere Fass zu und richtete es auf, so wie er es vorhin bei den Kindern gesehen hatte. Dann stieg er hinein, langte nach dem Deckel und zog ihn von innen auf die Öffnung des Fasses hinab.
So, das Fass ist zu, dachte er. Jetzt muss ich nur noch dafür sorgen, dass es auch die Böschung hinunterrollt.
Da niemand da war, der das Fass umkippen und anschubsen konnte, wackelte der kleine Löwe im Innern so ungestüm hin und her, bis es umstürzte und den Abhang hinabkullerte. Dabei rollte es schneller und schneller, so dass Leo begeistert jauchzte:
„Ach, ist das schön! Ist das toll!“
Doch das dicke Ende sollte gleich kommen. Durch sein Wackeln hatte Leo dem Fass so viel Schwung gegeben, dass es nicht unten im Sand liegenblieb wie vorhin bei den schwarzen Kindern. Es rollte vielmehr immer weiter und weiter - bis es das Ende des Ufers erreichte und in den Fluss hineinplumpste. Als Leo das Fass aufklatschen hörte, war ihm mit einem Schlag die Lust an dem neuen Spiel vergangen.
Jetzt ist es aus, dachte er, ganz aus! Ich gehe mitsamt dem Fass unter, und Papa und Mama sehe ich nie wieder. Ach, wenn ich doch nur die dummen Pfoten von dem Fass gelassen hätte!
Der kleine Löwe jammerte vor sich hin und zitterte dabei vor Angst und Schrecken.
Ob ich wohl den Deckel öffnen und zum Ufer zurückschwimmen kann? dachte er. Aber nein, ich habe ja noch nie versucht zu schwimmen. Ich bin doch so wasserscheu, und jetzt gleich beim ersten Mal in einer so reißenden Strömung...! Das schaffe ich nie. Lieber will ich ganz still hier im Fass hocken bleiben und sterben. Das tut bestimmt nicht so weh, als wenn mich die Wellen erst noch heftig hin und her werfen.
Während er schon die Augen schloss, um zu sterben, spürte er verwundert, dass sein Fass nicht sank, sondern wie ein Kahn auf den Wellen schaukelte. Ein Glück, dass er den Deckel fest zugemacht hatte! So konnte wenigstens kein Wasser ins Fass laufen.
Bald hatte das Fass die Mitte des Flusses erreicht und trieb mit der Strömung rasch abwärts.
Wenn ich Glück habe, spülen die Wogen das Fass irgendwo wieder ans Ufer, dachte der kleine Löwe. Dann brauche ich nur den Deckel zu öffnen und hinauszukriechen - und bin gerettet.
Mit dieser Hoffnung tröstete er sich. Aber Stunde um Stunde verstrich, und Leo wartete vergebens darauf, dass sein Fass knirschend im Ufersand stecken blieb. Vielmehr trieb es in der Strömung immer weiter abwärts: ein Spielball der Wellen.
Wie oft die Wogen das Fass gepackt und herumgewirbelt hatten, wusste der kleine Löwe schon gar nicht mehr. Erst hatte er mitzuzählen versucht, es aber dann satt bekommen. Zu toll drehte sich alles in seinem Kopf herum. Schließlich fühlte er sich so schwindlig, dass es ihm schlecht wurde.
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