Das stimmte den kleinen Löwen nur noch trauriger.
„Wovon willst du denn leben, wenn du dauernd nur im Gras liegst und an Blümchen schnupperst?“, fragte ihn sein Vater.
„Von Kokosnüssen und Bananen“, rief Leo schnell. „Die wachsen überall und schmecken so gut.“
„Sag nur noch, dass du auch Gras lecker findest!“
„Warum nicht, Papa? Den Elefanten schmeckt es doch auch.“
„Aber, Leo, damit verdirbst du dir ja den Magen“, meinte die Mutter besorgt.
„Bis jetzt noch nicht, Mama.“
„Schluss jetzt mit diesen Kindereien!“, fuhr der Löwenpapa dazwischen. „Von heute an gehst du wie jeder andere Löwe auf die Jagd, damit du lernst, dein Brot selbst zu verdienen.“
„Brot?“
„Eh - Fleisch wollte ich sagen“, brummelte der Löwenpapa mürrisch.
„Ich will aber kein Fleisch essen.“
„Gib keine Widerworte, Leo, wenn Papa was sagt“, mahnte ihn die Mutter.
„Also heute Abend gehen wir zur Tränke - wir alle drei.“
Damit meinte der Löwenpapa das Wasserloch, wohin die Gazellen beim Einbruch der Dunkelheit kamen, um ihren Durst zu löschen.“
„Was tun wir denn da?“, wollte Leo von seinem Vater wissen.
„Wir legen uns hinter einen Busch auf die Lauer und warten, bis die Herde dicht in unserer Nähe ist.“
„Und dann?“
„Sobald ich ein Zeichen gebe, stürzt du dich auf eine Gazelle und fängst sie, wie ein richtiger Löwe.“
Das passte dem Löwenkind Leo allerdings gar nicht. Doch es musste nun mal seinen Eltern gehorchen.
Beim Jagen gähnt man nicht
Die Sonne war noch nicht untergegangen, als die Löweneltern mit Leo zur Tränke aufbrachen. Dort verbargen sie sich hinter einem Gebüsch in der Nähe des Wasserlochs und warteten.
Sie lagen noch nicht lange auf der Lauer, als sich vorsichtig ein Rudel Gazellen näherte. Argwöhnisch schnupperten sie die Luft ein, ohne zu merken, dass ihr schlimmster Feind, der Löwe, sie aus dem Hinterhalt beobachtete - sogar drei Löwen! Die Gazellen schienen sich ganz sicher zu fühlen und tranken in aller Ruhe das trübe Wasser.
Gepackt vom Jagdfieber belauerten die beiden großen Löwen die Herde. Nur Leo, das Löwenkind, fand es langweilig, so lange mucksmäuschenstill zu liegen und zu warten. Er musste sich schwer zusammenreißen, um gegen den Schlaf anzukämpfen.
Gerade als ihm die Lider wieder vor Müdigkeit zuzufallen drohten, drehte sich der Löwenpapa zu ihm hin und flüsterte:
„Noch etwas Geduld, Leo. Wir müssen warten, bis die Herde sich satt getrunken hat und zurückkommt. Dann nehmen alle Gazellen ihren Weg hier dicht an unserem Gebüsch vorbei. Auf mein Zeichen springst du auf und jagst eine Gazelle - deine Gazelle! Hast du verstanden, Leo?“
„Ja, Papa.“
„Und verhalte dich genauso, wie wir es dir vorhin erklärt haben“, ermahnte ihn die Mutter.
Der kleine Löwe nickte. „Ja, Mama.“
Leo musste sich also noch etwas gedulden. Noch nie hatte er sich so gelangweilt wie jetzt auf der Jagd. Viel lieber hätte er geschlafen oder an Blümchen geschnuppert, als auf die Gazellen aufzupassen.
„Jetzt haben sie endlich ihren Durst gestillt“, flüsterte die Löwenmama nach einiger Zeit, die Leo wie die Ewigkeit vorgekommen war.
Tatsächlich verließ die Herde die Tränke. Dabei schlugen die Tiere den Weg ein, der dicht am Gebüsch vorbeiführte, hinter dem die Löwenfamilie versteckt lag.
Dem Löwenpapa zitterten vor Aufregung die Schnurrhaare, als er feststellte: „Sie kommen näher.“
„Für Leo sind sie aber noch zu weit“, meinte die Mutter. „Wenn er jetzt aufspringt, um sich auf eine Gazelle zu stürzen, dann laufen sie alle davon, und du weißt ja, dass sie schneller rennen können als wir.“
„Ja, darum wollen wir weiter geduldig hier hinter dem Busch warten.“
So sprachen die Löweneltern, die ihre Jagdleidenschaft kaum noch zügeln konnten.
Leo dagegen langweilte sich immer mehr, selbst als die Gazellen jetzt herankamen. Jeden Augenblick musste sein Vater ihm das verabredete Jagdzeichen geben: einen leichten Schlag mit dem Schweif.
Der kleine Löwe wartete und wartete. Schon dutzendmal hatte er die Herde von vorn und hinten gezählt, nur um nicht vor Langeweile einzunicken.
Als er gerade mal wieder von neuem anfing, geschah es: Erst warf er nur die Zahlen durcheinander, doch dann sperrte Leo, das Löwenkind, sein Maul auf und - gähnte! - gähnte aus tiefster Seele!
„Bist du verrückt geworden, Leo“, schalt ihn sein Vater, „jetzt zu gähnen!“
„Aber wenn ich doch gähnen muss“, verteidigte sich Leo und gähnte nur noch lauter.
Schon als Leo zu gähnen begann, hatten die Gazellen die Ohren gespitzt. Nur einen Augenblick stutzten sie, dann hatten sie erkannt, dass dieses Gähnen von einem Löwen stammte. In wilder Flucht stoben sie davon - in die Savanne hinein.
Vor Wut über diese missglückte Jagd sträubten sich die Haare des Löwenpapas wie die Stacheln eines Igels.
„Ich könnte mich selbst in Stücke reißen!“, fauchte er.
Leo gähnte noch immer. „Warum denn, Papa?“
„Auf der Jagd zu gähnen, als wolltest du die ganze Welt verschlingen.“
„Aber wenn ich doch gähnen muss“, wiederholte Leo zu seiner Entschuldigung.
„Ein Löwe gähnt niemals auf der Jagd.“
„Dann bin ich also doch kein Löwe“, behauptete Leo frohen Herzens.
Die Löwenmama lächelte nachsichtig. „Doch, Leo, doch, du bist ein Löwe.“
„Aber kein richtiger“, knurrte der Löwenpapa, „und ich glaube auch nicht, dass jemals ein richtiger Löwe aus dir wird. Wer weiß, ob du überhaupt mal was Ordentliches wirst.“
Man merkte es dem Löwenpapa an, dass er sich ärgerte und sich zugleich auch Sorgen machte um die Zukunft seines kleinen Leo. Er konnte ja nicht ahnen, wie weit es sein Sohnemann noch im Leben bringen sollte.
Die Kuh mit dem Hinkebein
Als Leo eines Tages wieder im Gras lag und an Blumen schnupperte, kam ein großer, bunt schillernder Schmetterling angeflogen. Furchtlos ließ er sich vor dem Löwenkind auf einer Blüte nieder und breitete die Flügel aus, um sich zu sonnen. Doch schon wenige Augenblicke später flatterte er wieder weiter, bald hierhin - bald dorthin.
Verzückt tapste das Löwenkind hinter ihm her und dachte: Wie schön wäre es, wenn auch ich wie ein Schmetterling von Blume zu Blume fliegen könnte.
Aber Leo war ja ein Löwe - und Löwen haben nun mal keine Flügel.
Da Leo nur noch Augen für den Schmetterling hatte, achtete er auch nicht auf den Weg. Er entfernte sich immer weiter von der Felsenhöhle, wo er mit seinen Eltern wohnte, und unentwegt schaukelte der Falter ausgelassen vor ihm her, bis er mit einem Mal seine Flügel besonders weit spannte und geradewegs auf die Sonne zu flatterte.
Der kleine Löwe schaute ihm so lange nach, bis er ihn schließlich aus den Augen verlor. Als Leo dann den Kopf wieder senkte und um sich blickte, erkannte er, dass er sich in einer Gegend befand, wo er noch nie gewesen war. Rechts vor ihm lag eine Viehfarm, und links davon dehnte sich das Weideland aus, auf dem Kühe grasten.
Büffel und Gnus hatte das Löwenkind in der Wildnis zwar schon gesehen, aber noch nie solche schwarzweiß gescheckten Tiere wie jene da vor ihm. Neben einigen Kühen hockten schwarze Männer auf einem Schemel, hielten einen Eimer zwischen den Beinen geklemmt und melkten. Auch das hatte Leo noch nie gesehen. Deshalb wollte er gern wissen, was dort vor sich ging.
Als jedoch die Schwarzen den Löwen erblickten, ließen sie erschrocken ihre Melkeimer fallen, sprangen auf und schrien wild durcheinander:
„Ein Löwe!“
„Rettet euch, ein Löwe!“
„Ein Löwe will uns fressen!“
„Hilfe! Hilfe!“
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