»Heh, kijk daar!«, rief es vom Schiff. Jetzt sah ich die beiden Männer an der Reling, ein großer, breitschultriger, und einer, der eher untersetzt war. Beide hatten sie Ferngläser in den Händen, sahen jetzt aber direkt zu mir herunter, da ich schon auf etwa fünf Meter herangekommen war. »Wie ben jij?«, rief der Große. »Waar kom jij vandaan?«
»Ich habe damit nichts zu tun!«, rief ich hinauf, denn ich sah, dass der Mann eine Uniform trug und auf dem Bug des Schiffs, eher ein Küstenboot oder eine Jacht, stand Waterpolitie und am Heck flatterte die rot-weiß-blaue Flagge. »Ich bin da nur zufällig reingeraten!«, rief ich, und der Kleinere fragte den Größeren: »Wat zegt hij?« – »Dat hij onschuldig is«, gab der Uniformierte zurück, und der Kleine antwortete: »Dat zeggen ze allemaal.«
Ich drehte mich um, aber die Seejungfrau war verschwunden. Meine Bewegung muss ein wenig zu hastig gewesen sein, denn Goofy schwankte, ich parierte zu heftig, Goofy legte sich auf die andere Seite, und ich kippte ins Wasser. »Hilfe!«, rief ich hinauf, wo die zwei Männer meinen Kampf mit den Elementen teilnahmslos betrachteten. Goofy tanzte zwei, drei Meter entfernt auf den Wellen und grinste mich blöde an, während ich versuchte, mich über Wasser zu halten. Immer wieder klatschte mir eine Welle ins Gesicht, manchmal genau dann, wenn ich den Mund weit geöffnet hatte, um Luft zu holen. Ich spuckte, das Salzwasser brannte in Kehle und Nase, und ich merkte, wie ich immer seltener den Kopf aus dem Wasser bekam. Dann gab ich auf.
Die Bewegungen der Meerjungfrau waren bewundernswert kontrolliert, dennoch geschmeidig und – wie soll ich sagen – auch ein wenig geziert. Eine Unterwasser-Rumba, eine Atlantik-Beguine oder eher eine karibische Quadrille? Ich hörte keine Musik, aber einen deutlich wahrnehmbaren Taktschlag wie von einem Metronom aus Glas. Das war mein Puls, mein Herzschlag, den ich jetzt nicht nur in der Brust, sondern auch im Bauch und im Kopf spürte. Die Meerjungfrau kam ganz nah zu mir, umschlang mich, und sie war gar nicht so kalt und glatt, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich wollte etwas sagen, aber sie drückte ihre Lippen auf meinen Mund und küsste mich und presste dabei all das Salzwasser in meine Lungen.
Jetzt lag ich da, auf dem Grund des Meeres, in meinem nassen Grab, niemand weiß wo, noch nicht einmal ich selbst wusste es. So war das also, ertrinken: der Todeskuss einer Meerjungfrau. Mir war kalt und mir war kalt. Außerdem war mir kalt, ich zitterte am ganzen Körper, doch meine klammen Finger konnten die Decke nicht greifen, die mich hätte wärmen können. Ich zitterte, wie ich noch nie im Leben gezittert hatte, der ganze Körper bäumte sich dabei in Schüben auf, das ließ sich gar nicht unterdrücken. Und dann dieser stechende Schmerz, als ob mir jemand mit den Stiefelspitzen in die Nieren treten würde. »Laurens Baltruscheit Iversen, mach die Augen auf!«, brüllte mich der Herrgott an. Wahrscheinlich wollte er endlich über mich zu Gericht sitzen, und auch er hatte ja seine Zeit nicht gestohlen. »Verdammt, mach die Augen auf!« Der Herrgott fluchte, und das mit eindeutig holländischem Akzent.
Ich tat wie befohlen, schlug die Augen auf, und hinter mir sagte jemand »Na, eindelijk. Was macht ein Laurens Baltruscheit Iversen aus Oldrup in Jütland auf einem Schiff, das Waffen nach Guayana schmuggelt?« Ich verstand nur unvollkommen, was er damit sagen wollte. War das eine Frage? Sollte ich darauf irgendetwas antworten? War des Herrgotts himmlisches Tribunal jetzt ein königlich-niederländisches Amtsgericht? Ich sah den großen Polizisten an, holte Luft und musste die Reste des Salzwassers aus der Kehle husten. Da sprang ein dunkelhäutiger Mann auf mich zu, zwei Fäuste packten mich, zogen mich auf die Füße, nur um mich durch einen kräftigen Schlag in die Magengrube wieder auf die Planken zu schicken. »Ach, egal«, sagte der Große, der wohl das Kommando führte, »wir haben die Bande, wir haben die Waffen, und bald kennen wir auch das Netzwerk«.
»De koningin zal blij zijn«, sagte die Stimme hinter mir, wohl der kleinere der beiden, und der andere wiederholte es, »ja, die wird sich freuen«. Und der Kleine wieder: »Den brauchen wir nicht mehr, werft ihn über Bord.«
»Nein!«, schrie ich, »auf keinen Fall gehe ich wieder ins Wasser! Ich bin der Sohn des Konsuls in …« Da fiel mir ein, dass ich immer noch nicht wusste, wo wir uns befanden. »… der Konsul hier, der Sohn bin ich«, schloss ich so drohend wie ich konnte. Ich muss ein sehr beeindruckendes Bild abgegeben haben: halbnackt, nass und stinkend, mit blutigen Schrammen, zitternd vor Kälte und Angst, aber ansonsten zu allem entschlossen.
Und dann erschien SIE. »Wie is dat?«, fragte sie in die Runde, leicht amüsiert. Sie näherte sich mir und – kam es mir nur so vor oder wichen tatsächlich alle anwesenden Männer einen Schritt zurück? Der Kontrast hätte kaum größer sein können: Hier ich, in Unterhose und Socken (ich korrigiere: es war mir nur eine Socke geblieben), nass und zitternd, mit aufgeplatzter Augenbraue und faustgroßem Hämatom auf dem käsbleichen Bauch, ein Rinnsal der erbrochenen Erbsensuppe vom Abend hatte sich an meinem Kinn gesammelt; und dann: sie, die Dame in einem seidenen weißen Hosenanzug, silbernen Mokassins, die unglaublich bequem und unglaublich teuer aussahen, die blonden Haare frisch toupiert, mit dezentem Makeup, das ihre harten blauen Augen und ihre schmalen Lippen weichzeichnete, dabei die kleinen scharfen Falten rund um Augen und Mund kaschierte – und dann dieser Duft! Ich sage das jetzt einfach mal: Sie sah mir in die Augen und erkannte meine Seele. Und jeder dort erkannte im selben Augenblick das Offensichtliche, nämlich dass da was lief zwischen uns: Wir waren vom Schicksal füreinander bestimmt. Meine Güte! Glaubte ich das wirklich? Das musste die Wirkung des Sauerstoffdefizits auf das zentrale Nervensystem sein. Eigentlich konnte ich doch in diesem Augenblick an nichts anderes denken als an die Rettung meines Lebens, die Unversehrtheit meines Leibes und die Bekleidung meiner Blöße. Okay – ein Bier und ein Schnaps wären auch nicht schlecht gewesen.
O je, jetzt stand sie so dicht vor mir, dass ich die Limette und den Ingwer, die sie in ihrem Gin hatte, auf meiner Zunge schmecken konnte. »Geen angst«, hauchte sie mehr, als dass sie sprach. Es war nicht mehr als ein Versprechen, aber für mich öffnete sich in diesem Augenblick der Himmel, und ich sah, dass dort kein Herrgott über mich zu Gericht saß. »De jongen komt met mij mee«, sagte sie in den Raum hinein, ohne jemanden direkt anzusprechen. Dann nickte sie mir auffordernd zu, und ich trabte hinter ihr her. Sie brachte mich in eine Kajüte, so was hätte ich auf einem Polizeiboot nicht vermutet: geräumig, fast luxuriös, mit edelsten Tropenhölzern ausgeschlagen, Ledersessel, ein Bett und – eine Dusche. »Maak jezelf representatief«, hauchte sie mir zu und zog sich rücksichtsvoll zurück. Ich entledigte mich meiner Socke und meiner Unterhose und tauchte in das heiße Wasser ein, das so freigiebig aus dem Duschkopf strömte.
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