Der Fürst wurde furchtbar rot und preßte seine rechte Hand zusammen; aber er schwieg.
»Mein lieber, guter Ljow Nikolajewitsch!« sagte der General auf einmal mit warmer Empfindung. »Ich ... und sogar Lisaweta Prokofjewna selbst (die übrigens wieder angefangen hat auf dich zu schimpfen und zugleich in zweiter Linie auch auf mich, ich weiß nicht weswegen eigentlich), wir lieben dich trotz alledem, wir lieben und achten dich aufrichtig, trotz aller Äußerlichkeiten. Du mußt aber selbst zugeben, lieber Freund, du mußt aber selbst zugeben: was ist das auf einmal für ein Rätsel und für ein Ärger zu hören, wie dieser kaltblütige Kobold (denn sie stand vor ihrer Mutter da mit einer Miene tiefster Verachtung für all unsere Fragen und namentlich für die meinigen, weil ich, hol's der Teufel, die Dummheit begangen hatte, Strenge herauskehren zu wollen, da ich doch das Oberhaupt der Familie bin – na, das war eben eine Dummheit), wie dieser kaltblütige Kobold auf einmal lächelnd erklärt, daß diese ›Geisteskranke‹ (so drückte sie sich aus, und es kommt mir merkwürdig vor, daß sie sich desselben Wortes bediente wie du; ›habt ihr denn das noch nicht gemerkt?‹ sagte sie), daß diese Geisteskranke ›es sich in den Kopf gesetzt hat, mich um jeden Preis mit Ljow Nikolajewitsch zu verheiraten, und zu diesem Zweck Jewgeni Pawlowitsch aus unserm Haus herausschaffen möchte‹.
Mehr sagte sie nicht; sie gab keine weiteren Erklärungen, lachte für sich, wir rissen erstaunt den Mund auf, sie ging hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Dann erzählten mir die Meinigen von der Szene, die sich vorhin zwischen ihr und dir abgespielt hat ... und ... und ... höre mal, lieber Fürst, du bist ein sehr verständiger Mensch und nicht empfindlich, das habe ich an dir wahrgenommen, aber ... werde nicht böse: sie macht sich, weiß Gott, über dich lustig. Wie ein Kind macht sie sich über andere Leute lustig, und darum sei ihr nicht böse, aber es verhält sich entschieden so. Mach dir darüber weiter keine Gedanken – sie hält dich und uns alle einfach zum Narren, aus Langeweile. Aber nun lebe wohl! Du kennst doch unsere Gesinnung? Unsere herzliche Gesinnung gegen dich? Die ist unwandelbar, für alle Zeit und in jeder Hinsicht ... aber ... ich muß jetzt hier abbiegen; auf Wiedersehen! Selten in meinem Leben habe ich mich so unbehaglich gefühlt wie jetzt ... O weh, ist das eine Sommerfrische!«
Als der Fürst an der Straßenkreuzung allein geblieben war, blickte er sich nach allen Seiten um, ging schnell über die Straße hinüber, trat nahe an das erleuchtete Fenster eines Landhauses heran, faltete einen kleinen Zettel auseinander, den er während des ganzen Gesprächs mit Iwan Fjodorowitsch fest in der rechten Hand zusammengedrückt gehalten hatte, und las unter Benutzung des schwachen Lichtschimmers:
»Morgen früh um sieben Uhr werde ich auf der grünen Bank im Park sitzen und Sie erwarten. Ich will mit Ihnen über eine sehr wichtige Angelegenheit reden, die Sie direkt angeht.
PS Ich hoffe, Sie werden diesen Zettel niemandem zeigen. Ich schäme mich zwar, Ihnen erst noch eine solche Instruktion zu geben, habe mir aber gesagt, daß sie bei Ihnen nötig ist, und sie darum hergesetzt, indem ich vor Scham über Ihren komischen Charakter errötete.
PPSS Es ist dieselbe grüne Bank, die ich Ihnen vorhin gezeigt habe. Schämen Sie sich! Ich sah mich genötigt, auch das erst noch herzuschreiben.«
Der Zettel war eilig geschrieben und ohne Sorgfalt zusammengefaltet, aller Wahrscheinlichkeit nach kurz bevor Aglaja nach der Veranda herausgekommen war. In einer unsagbaren Aufregung, die mit Angst Ähnlichkeit hatte, drückte der Fürst den Zettel wieder in der Hand zusammen und sprang schnell wie ein erschreckter Dieb vom Fenster und vom Licht zurück; aber bei dieser Bewegung stieß er auf einmal heftig mit einem Herrn zusammen, der unmittelbar hinter seinen Schultern stand.
»Ich bin Ihnen gefolgt, Fürst«, sagte der Herr.
»Sie sind es, Keller?« rief der Fürst erstaunt.
»Ich möchte mit Ihnen reden, Fürst. Ich habe bei dem Jepantschinschen Landhaus auf Sie gewartet; hineingehen konnte ich natürlich nicht. Ich bin hinter Ihnen hergegangen, während Sie mit dem General gingen. Ich stehe zu Ihren Diensten, Fürst; verfügen Sie über mich nach Belieben. Ich bin bereit, für Sie jedes Opfer zu bringen und, wenn es sein muß, sogar zu sterben.«
»Aber ... weshalb denn?«
»Nun, es wird jetzt jedenfalls eine Herausforderung zum Duell erfolgen. Dieser Leutnant Molowjow ... ich kenne ihn, das heißt nicht persönlich ... er wird die Beleidigung nicht so hinnehmen. Unsereinen, das heißt mich und Rogoschin, hält er natürlich für Plebs, und vielleicht verdientermaßen; auf diese Weise fällt die Verantwortung Ihnen allein zu. Sie werden die zerbrochenen Flaschen bezahlen müssen, Fürst. Er hat sich, wie ich gehört habe, nach Ihnen erkundigt, und es wird sich gewiß morgen einer seiner Freunde bei Ihnen einstellen; vielleicht wartet er auch jetzt schon auf Sie. Wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen, mich zu Ihrem Sekundanten zu erwählen, so bin ich bereit, Gut und Blut für Sie zu opfern; darum habe ich Sie aufgesucht, Fürst.«
»Also auch Sie reden mir von einem Duell!« rief der Fürst lachend zu Kellers größtem Erstaunen. Er lachte gewaltig. Keller, der wirklich von Ungeduld gepeinigt worden war, bis er es zu seiner Befriedigung fertiggebracht hatte, sich als Sekundanten anzubieten, fühlte sich beinah beleidigt, als er den Fürsten so heiter lachen sah.
»Sie haben ihn aber vorhin bei den Armen gepackt, Fürst. Das kann sich ein anständiger Mensch vor den Augen des Publikums schwerlich gefallen lassen.«
»Und er hat mich vor die Brust gestoßen!« rief der Fürst lachend. »Wir haben keinen Grund, uns zu duellieren! Ich werde ihn um Verzeihung bitten, und damit ist die Sache erledigt. Wenn es aber zum Duell kommen soll, mir ist's recht! Mag er schießen; ich wünsche es sogar. Haha! Ich verstehe jetzt, eine Pistole zu laden! Wissen Sie wohl, daß mich jemand gelehrt hat, wie man eine Pistole lädt? Sie verstehen eine Pistole zu laden, Keller? Zuerst muß man Pulver kaufen, Pistolenpulver, nicht feuchtes und nicht so grobes wie das, womit man aus Kanonen schießt; dann muß man zuerst das Pulver hineintun, darauf Filz, den man sich von einer Tür verschafft, und dann schiebt man die Kugel hinein, aber nicht die Kugel vor dem Pulver, weil es sonst nicht schießt. Hören Sie wohl, Keller: weil es sonst nicht schießt. Haha! Ist das nicht eine ausgezeichnete Begrüßung, Freund Keller? Ach, Keller, wissen Sie, ich werde Sie gleich umarmen und küssen. Hahaha! Wie ging das nur zu, daß Sie vorhin auf dem Bahnhof so plötzlich vor ihm standen? Kommen Sie möglichst bald einmal zu mir, Champagner trinken! Wir wollen uns alle gehörig bezechen! Wissen Sie, daß ich zwölf Flaschen Champagner in Lebedjews Keller liegen habe? Lebedjew hat sie mir vorgestern als Gelegenheitskauf angeboten, gleich am andern Tag, nachdem ich zu ihm hergezogen war; ich habe sie alle gekauft! Ich werde die ganze Gesellschaft zusammen einladen! Wie ist's, werden Sie heute nacht schlafen?«
»Wie jede Nacht, Fürst.«
»Nun, dann wünsche ich Ihnen angenehme Träume! Haha!«
Der Fürst ging quer über die Straße und verschwand im Park; Keller blieb sehr verwundert und nachdenklich stehen. Er hatte den Fürsten noch nie in einem so sonderbaren Zustand gesehen und ihn sich bisher auch nicht in einem solchen vorstellen können.
»Vielleicht fiebert er; denn er ist ein nervöser Mensch, und das alles hat eine starke Wirkung auf ihn ausgeübt; aber feige ist er gewiß nicht. Gerade solche Leute sind nicht feige, weiß Gott!« dachte Keller bei sich. »Hm! Champagner! Das ist doch eine sehr interessante Mitteilung. Zwölf Flaschen, ein Dutzend; das läßt sich hören; eine ordentliche Batterie! Ich möchte wetten, daß Lebedjew den Champagner von irgend jemand als Pfand bekommen hat. Hm ...! er ist aber doch recht liebenswürdig, dieser Fürst; wirklich, ich habe solche Menschen gern; aber es ist keine Zeit zu verlieren, und ... wenn Champagner da ist, so ist das gerade die richtige Zeit ...«
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