Wir trafen uns, wenn wir Zeit und Lust hatten. Bei ihm hatte ich nie einen Orgasmus, aber das war auch unwichtig, ich wollte Berührung und meinen Ex Lover vergessen. Er wollte auch vergessen.
Wir gingen mit Freunden mal zu einer Ausstellung, er kam mit einer Freundin aus Kanada. Sie war in seinem Alter, wollte für ein Jahr in New York arbeiten. Als er mit ihr aus der Taxe stieg, war ich erst ein wenig erschrocken und kühl zu ihm. Eifersucht! Er war der einzige Mann mit uns vier Weibern. Er tat mir leid, weil er in der Bar alle Drinks bezahlen musste. Ich war auf die Frauen sauer.
Später, ein Jahr, vielleicht auch zwei Jahre, rief ich ihn mal an. Er war verliebt bis über beide Ohren. Er sagte zu mir, es sei seine Traumfrau, die wolle er für immer. Eine Amerikanerin, die er ein halbes Jahr zuvor kennengelernt und mit der er sich gerade in Griechenland verlobt hatte. Sie planten, nach New Jersey in ein Haus zu ziehen. Sein Studium hatte er abgeschlossen und sich in die Firma mit dem früheren Partner eingekauft.
Wir wollten uns treffen, ich versetzte ihn aber, ich weiß nicht warum.
Ich wünschte ihm nur das Beste. Ich glaube, er ist zu gutmütig für die New Yorker Frauen. Seine Story war symptomatisch für New York: Jeder zur Verfügung stehende Mann in guter Position wird von den New Yorkerinnen gejagt. Man gaukelt ihm Liebe vor. Alles geht nach Plan: Ein halbes Jahr, dann folgt die Verlobung, ein Jahr später die Hochzeit, zwei Jahre später die Scheidung. So werden die verliebten Männer abgezockt.
Ich war nicht eifersüchtig, nur sehr besorgt um ihn. Vielleicht rufe ich ihn mal wieder an.
6. World Trade Center Kollaps
Ich hatte verschlafen. Das Telefon klingelte, es war gegen neun. Eine Freundin rief an, mit der ich bei der italienischen Mafia arbeitete, um etwas Geld nebenbei zu verdienen.
„Mach mal den Fernseher an, ein Flugzeug ist in das World Trade Center geflogen“, sagte sie.
Ich stand auf und schaltete den Fernseher ein. Mein Freund war schon zwei Stunden zuvor aufgestanden und arbeiten. Ich sah das World Trade Center, es fing an zu qualmen.
Ich fragte meine Freundin: “Wo soll denn das Flugzeug sein, es muss ja runter gefallen sein?“
Sie konnte es mir nicht sagen. Sie hatte Angst und meinte: „Jetzt beginnt der Dritte Weltkrieg.“
Ich beruhigte sie, dachte: Immer mit der Ruhe. „Gehst du heute nicht ins Büro?“, fragte ich sie.
„Nein, die haben keine Arbeit für mich.“
„Nein? Na, dann gehe ich heute auch nicht.“ Komisch, was war denn da passiert?
Es herrschte eine beängstigende Ruhe, eine Art Taubheit.
Wir telefonierten noch zehn Minuten, danach wollte ich runtergehen, denn man konnte das World Trade Center von der Main Street aus sehr gut sehen. Ich nahm meinen Fotoapparat mit, ich weiß nicht warum, und ging runter.
Die Leute auf den Straßen waren aufgeregt und sahen zum World Trade Center. Ich ging durch Nebenstraßen. Man sah Qualm. Beide Türme rauchten. Ich fotografierte von der Brücke, von verschiedenen Stellen. Das WTC war weit, mindestens 20 Kilometer entfernt von mir. Der Himmel war strahlend blau. Ich stand neben asiatischen Arbeitern, die ihr Büro verließen. Wir standen mitten auf der Straße, waren erschrocken und konnten es nicht fassen. Was war passiert? Sie hörten Radio, liefen immer wieder ins Büro, sahen fern.
Ein zweites Flugzeug war in den anderen Turm geflogen, während ich mit dem Fotoapparat unterwegs war. Alles war unfassbar. Man war wie gelähmt. Ich weiß nicht mehr, was ich wirklich gefühlt habe — Angst hatte ich nicht. Ich war ganz ruhig. Ich nahm es wahr, aber es war unwirklich. Vom Berg in der Seitenstraße in Queens sah ich, wie erst der erste Turm zusammenbrach, dann viel später der zweite.
Wir, die fünf Chinesen und ich, als einzige Europäerin, in der Sonne mitten auf der Straße stehend, waren alle wie benommen. Wir redeten miteinander, stellten Fragen. Wir wussten nicht mehr als der Radiosprecher. „Oh mein Gott!“, waren die Ausrufe. Es war eine bewegte Ruhe, ein Staunen, Unfassbarkeit. Die Hände aufs Gesicht gelegt: „Mein Gott, wie kann das passieren. Was ist los?“ Zusammengefallen. Plumps — weg waren die Türme, die man immer auf dem Weg zur Metro, dem Orientexpress Nummer Sieben und während der Fahrt nach Manhattan sehen konnte. Ich fotografierte, auch die Chinesen fotografierten.
Es war plötzlich eine unheimliche Stille. Ich ging nach Hause. Es war alles unfassbar.
Mein Lover rief mich an. Keiner konnte es fassen. Ein Terroranschlag? Wie was? Und das kann im Land der ungeahnten Möglichkeiten passieren? Das lassen die Amis zu? Das waren meine ersten Gedanken: Wie kann das passieren ... im Land der Superlative?
7. Filippo — Geschäftsführer
Als ich zu diesem Event, Eröffnung des Hardware-Stores in Stamford, Connecticut , eingeladen war, verguckte sich der Geschäftsführer, Filippo, in mich.
Ich betrat den Empfangsraum. Ich kannte Filippo bis dahin nicht. Ich nahm an, der große, dunkelhaarige Mann, umringt von einigen Gästen, sei es. Er sah mich, kam auf mich zu und strahlte, als ob er mich mit jemandem verwechselte. Er begrüßte mich sehr herzlich. Ich stellte mich ihm vor. Die vielen Stunden, die die Veranstaltung dauerte, tauschten wir immer wieder freundliche Blicke aus. Ich merkte, dass ich ihm sehr gefiel.
Uns wurde hauptsächlich die Riesenauswahl an Marmor und Granit vorgestellt. Wir, etwa 20 Leute, schossen viele Fotos, hatten dann eine Gesprächsrunde im Konferenzzimmer, wo ich ja immerzu auf die durchsichtige Bluse der Frau Shakespeare schielen musste, der berühmten Frau aus New York, die ihre Brüste öffentlich immer nur mit leicht durchsichtigem Stoff ohne BH zur Schau stellte. Also ich fand es anstößig. Es passte so gar nicht zu diesem Event in einem Hardwarestore. Die Angestellten wussten nicht, wo sie hingucken sollten.
Als ich mich verabschiedete sagte Filippo zu mir, er wäre in den nächsten Tagen in New York und würde mich gern zum Essen einladen.
Es dauerte nicht lange und er rief mich an. Wir verabredeten uns. Er kam zu mir nach Hause und holte mich nach seinem Geschäftstermin ab. Seinen Trolley ließ er bei mir. Wir nahmen eine Taxe und fuhren zum Grand Central, wo New Yorks Freshest Oyster and Seafood Restaurant ist. Er hatte einen Tisch reserviert. Es ist unbedingt ein Muss, dieses Restaurant zu besuchen, es besteht seit 1913 im Untergeschoss des Grand Central. Nicht nur den wirklich vorzüglichen Fisch sollte man probieren, auch die Architektur ist sehenswert.
Spät abends sind wir wieder zu mir gefahren. Wir legten uns aufs Bett, blieben aber angezogen. Wir hatten so viel zu erzählen. Ein Zug nach Stamford ging stündlich. Wir erzählten aus unserem Leben. Seine Wurzeln waren in Italien. Er war glücklich mit einer Polin verheiratet und schwärmte sehr von seiner Frau. Sie konnte gut kochen, war loyal und fleißig. Er hatte keine Kinder.
Wir küssten uns ab und zu, er streichelte mich zärtlich und meinte: “Du bist schön.“ Wir plauderten bis in den frühen Morgen. Gegen sechs Uhr verließ er mich.
Er lud mich zu sich nach Stamford ein. Ich müsse unbedingt kommen. Er wollte mir ein Büro und eine Wohnung zeigen. Das machte ich dann auch. Es war Februar. Ein kalter aber sonniger Tag. Ich hatte mich sehr elegant angezogen: schwarzer Lederrock, schwarze Stiefel, einen langen gefütterten kamelfarbenen Wildledermantel.
Er holte mich mit seinem Truck vom Bahnhof ab. Er sah gut aus, war in meinem Alter. „Bist du hungrig?“, fragte er mich. Ich bejahte, es war Mittagszeit. Wir fuhren zu einer Pizzeria, die gerade geöffnet hatte. Der Inhaber begrüßte uns. Ich bestellte eine Pizza Pikante, dazu tranken wir Rotwein.
Anschließend hielt er vor einem CD-Shop. „Such dir was aus“, meinte er.
Читать дальше