Ein anderes Mal war ich mit ihm im deutschen Konsulat zu einem Liederabend. Ich hatte den Abend dann aber keine Lust mehr, Viktor mit nach Hause zu nehmen. Wir verabschiedeten uns an der Metro . Jeder fuhr in seine Richtung.
4. Brief an meine Freundin
Liebe Roswitha,
es ist unglaublich. Nachdem ich dir heute früh die E-Mail geschickt hatte, ist es inzwischen schon wieder kurz vor 13 Uhr.
Aber ich war fleißig, habe am PC an meiner Biografie für eine Bewerbung gearbeitet und im Internet gesurft. Just for fun. Ich bewerbe mich mal bei diversen Firmen, um zu sehen, welche Chancen ich noch habe. Das habe ich ab und zu auch als Vollbeschäftigte in Deutschland gemacht.
Der zweite Kaffee ist in der Maschine, dazu gibt es Cookies (immer schön süße Sachen essen, damit ich für meinen Lover an den richtigen Stellen zunehme.
Mein Dallmayr Prodomo ist leider schon ausgetrunken. Jetzt teste ich Kaffees, die ich hier kaufen kann, probiere heute einen italienischen. Na ja, der Geschmack ist nicht so der meine.
Mein Rücken schmerzt vom Sitzen auf dem Melkschemel . Hier ist natürlich alles nach seinem Geschmack eingerichtet. Ich vermisse meinen ergonomischen Bürostuhl. Gestern war ich nicht gut drauf, hatte Bauchschmerzen und lag den ganzen Tag im Bett, davon eine Stunde in der Badewanne. Als er von der Arbeit kam, sah er meinem Gesicht sofort an, dass etwas mit mir nicht stimmte. Ich erzählte ihm, wie ich mir das Interieur meines nächsten Apartments vorstellte — ohne jeglichen Schnickschnack, kühl, kein Bild an der Wand, nackt. Er fragte, wo er bleibe. Ich antwortete: “Du bekommst deinen eigenen Raum, den du dir nach deinem Geschmack gestalten kannst.“
Jetzt bin ich schon fünf Wochen hier, langsam muss ich mal meinen A... bewegen. Ich gehe morgen zu einer Career Fair ins World Trade Center, muss ja auch mal raus. Ich habe aber keine Lust und verschiebe es immer wieder.
Wenn es nach meinem Lover ginge, würde er mich sofort heiraten. Es wäre der einfachere Weg ein Dauervisum für die USA zu erhalten, meint er. Er weiß nur nicht, dass ich kein Dauervisum haben möchte.
Es ist immer aufregend für mich, durch Manhattan zu spazieren. Ich besuchte Freunde am Union Square und in der Madison Avenue. Ich hatte meine bis dato teuersten Pumps an. Sie kosteten 560 Mark. Ich schenkte sie mir zu meinem fünfzigsten Geburtstag — einen Slingpumps aus Schlangenleder mit roten Riemchen und roten High Heels von einer namhaften italienischen Firma. Ich erinnere mich genau, wie ich nur mit Handgepäck, meinem Trolley, den ich mit zum Büro nahm, nach Büroschluss zum Flughafen fuhr und nach New York flog. Was haben die Leute auf meine Pumps geguckt! Unglaublich, vor allem die Verkäuferinnen in den Läden wie Gucci, Armani etc. quatschten mich an und haben mindestens zehnmal gesagt: Haben Sie tolle Schuhe an! Ich bin stolziert wie ein Hahn. Nach vier Stunden durch die Geschäfte laufen hatte ich ungemeine Fußschmerzen. Ich wollte mir schon ein Taxi nehmen, aber der Geiz siegte. Ich wollte mein weniges Geld zusammenhalten.
Als ich in der Madison Avenue spazierte, wünschte ich mir für eine Sekunde dort zu wohnen. Aber was nützt das ganze Geld? Ich ziehe der Geldbeziehung eine emotionale Liebesbeziehung zurzeit wenigstens noch vor. Ich brauche meinen Sex. Das Geld ist momentan immer knapp, aber wir haben so vieles, was uns anzieht und die Beziehung so aufregend macht.
Am Montag war hier Columbus Day. Ich bin um neun Uhr aus dem Bett gesprungen. Na, er auch gleich. Er ist zwar New Yorker, aber ich zeige ihm New York. Als Kind war er das letzte Mal bei dieser Parade. Wir sind zur 5th Avenue und haben uns die Parade angesehen. Es war ein herrlich sonniger Tag mit vielen neuen Eindrücken. Wir haben den Bürgermeister Giuliani, Hillary Clinton und viele andere Persönlichkeiten gesehen.
Anschließend sind wir durch den Central Park gegangen. Rate mal, wen wir dort trafen? Yoko Ono mit weiblicher Begleitung. „Guck mal, da ist Yoko Ono“, sagte ich plötzlich zu ihm. Ich machte ein Foto von ihr. Wir waren beide in Schwarz gekleidet, ein schönes Paar. Er ist als New Yorker nicht oft außerhalb seines Distriktes unterwegs gewesen. Er freut sich so sehr über alles, was wir gemeinsam machen.
Den Tag vorher waren wir am Time Square. Wir wollten uns einen Actionfilm ansehen. Da wir noch 50 Minuten Zeit hatten, schlug ich vor, in ein Restaurant zu gehen. Als wir uns dann über unsere Steaks hermachten, sagte ich: „Ich will keinen Stress, ich will mein Essen genießen. Wir können ja zur nächsten Vorstellung gehen oder uns lieber CDs kaufen.“
Na, wir haben das Essen und die halben Liter Colt45 sehr genossen, sind dann die neueste Enigma-CD kaufen gegangen und ab nach Hause.
Dort gab es Enigma und Liebe ... Liebe.
Ein bildhübscher Mann mit ausgezeichneten Manieren. Er war vielleicht Anfang 30, hochgewachsen, schlank aber nicht dünn, dunkles, volles, leicht krauses Haar, schöne volle Augenbrauen, blaue Augen. „Hast du aber schöne blaue Augen“, sagte ich einmal zu ihm.
Wir sprachen nie über das Alter, das war in New York so. Es war unwichtig. Die Menschen waren auf der Suche nach jemandem, der sie einigermaßen verstand, der sie wahrnahm, der nicht mit ihnen spielte, der sie vielleicht ein wenig mochte. Die meisten waren sehr einsam — es soll ja die einsamste Stadt der Welt sein, und trotzdem, oder gerade deshalb, zieht sie die Menschen magisch an.
Eine Freundin hatte über ihren Ex, der beim TV arbeitete, Beziehungen zu Eintrittskarten für besondere Events. So kamen wir auf die Gästeliste zu einer Ausstellungseröffnung in Soho. Art and Out Rage. VIP. Sehr gut.
Wir redeten, tranken Champagner, aßen Kanapees. Es war ziemlich voll und man konnte jede Menge Wichtigtuer und Quatschköpfe treffen. Bezüglich der Kunst würde ich sagen, etwas zu viel Nacktheit für New York und Verrücktes — zum Beispiel beschmierte ein Künstler Sandwiches mit Erdnussbutter und wickelte sie in Folie ein. Ich nahm eins mit und lagerte es über mehrere Monate im Kühlschrank, um zu testen, ob es zerfällt — es veränderte sich gar nicht. Als ich in ein neues Studio zog, landete es im Müll.
Anschließend gingen wir noch in eine Bar. Wir stellten uns direkt an den Tresen. Irgendjemand lud uns zu einem Drink ein. Plötzlich stand Evans neben mir. Er kam auch von dieser Ausstellung. Er fand mich attraktiv und es dauerte nicht lange, bis wir uns berührten. Wir tranken, er kam mir immer näher, ich saß auf dem Hocker und er lehnte sich mehr und mehr an mich, strich über meine Haare. Er war auch ganz in Schwarz gekleidet und gefiel mir. Susanne war mit jemandem im Gespräch, irgendeinem Dänen.
Wir nahmen zu dritt ein Taxi nach Hause. Erst setzten wir Susanne in der 57th Street West ab, dann fuhren wir bis zu mir, 88th East. Evans stieg mit aus. Ich sagte, er müsse nicht aussteigen. „Ich nehme dich nicht mit nach oben. Aber wenn du willst, können wir uns gern treffen.“ Wir redeten ein wenig, dann rief er eine Taxe und fuhr weiter Richtung Norden.
Ein paar Tage später besuchte er mich. Meine Freundin aus Maryland war zu Besuch. Sie kochte Shrimps mit Reis. Er brachte den Wein. Sie war ganz begeistert von ihm. Wir schwärmten beide von seinem Charme, der so natürlich war. Für New York außergewöhnlich.
Ich lud ihn ein, mit uns einen Freund zu besuchen, es war der Neue von meiner New York Freundin, die vor zwölf Jahren in New York hängen geblieben war, sich von jemandem schwängern, dann nach vier Jahren scheiden ließ und jetzt mit dem Kind alleine lebt. Carsten war für paar Monate im Jahr dienstlich in New York. Er arbeitete weltweit für eine deutsche Bank. In New York mietete die Bank für ihn ein riesiges Apartment, für 6.000 Dollar Miete monatlich. Er lud uns zum Abendbrot ein.
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