„Bei dir ist es nicht mehr gemütlich, seit dieses Monster von einem Hund auch da wohnt“, knurrte sie grimmig.
„Luna ist kein Monster!“, stellte Vanessa richtig. „Luna ist ein wahnsinnig lieber Hund.“
„Ha, ha, ha!“, machte Sarah verächtlich. „Luna sieht aus wie das Krümelmonster aus der Sesamstraße, nur hässlicher, wenn du mich fragst.“
„Ich hab' dich aber nicht gefragt!“
Nun war auch Vanessas gute Laune dahin. Manchmal wusste sie wirklich nicht, warum sie mit Sarah befreundet war. Die Freundin konnte echt zickig sein.
„Wenn du weiter maulen willst, dann geh besser nach Hause“, sagte Vanessa nun verärgert. „Ich hab' nämlich keine Lust, mir den ganzen Nachmittag deine schlechte Laune anzusehen, nur weil du dich wieder mit der Bohnenstengel angelegt hast.“
„Ich hab' keine schlechte Laune“, widersprach Sarah. „Ich will nur aus der Schule weg, und zwar schnell!“
„Wir könnten schon lange draußen sein, wenn du nicht...“ Vanessa schluckte den Rest des Satzes hinunter. Warum sollte sie Sarahs Laune weiter verschlechtern, wenn es auch anders ging?
„Schau, da vorne sind Philipp und Marcel!“, rief sie ihrer Freundin aufmunternd zu. „Wenn wir uns beeilen, holen wir sie noch ein.“
„Ich renne doch Jungs nicht nach“, sagte Sarah hochnäsig. „Wenn die was von uns wollen, sollen sie warten.“
„Seit wann hast du was gegen die beiden? Ich dachte immer, du fändest sie okay. Vor allem Marcel.“
„Marcel kann mir gestohlen bleiben“, behauptete Sarah ärgerlich. „Hast du nicht mitbekommen, dass er sich seit Neuestem andauernd mit Michelle trifft?“
„Mit Michelle? Marcel? Das glaubst du doch selbst nicht!“, rief Vanessa belustigt aus. „Marcel interessiert sich nur für dich, Sarah. Wenn du das noch nicht gemerkt hast, bist du blind!“
„Ach, lass mich doch mit Marcel in Ruhe!“, fauchte Sarah.
Vanessa kannte Sarah lange und gut. Deshalb merkte sie genau, dass Sarah bedrückt war. Das hing bestimmt nicht nur mit dem Rüffel zusammen, den die Englischlehrerin ihr in der letzten Stunde erteilt hatte. Sarah war an Rüffel von Frau Bohnenstengel gewöhnt. Also musste es etwas anderes sein.
Sie zogen ihre Räder aus dem Unterstand. Vanessa wartete, bis Sarah ihren Rucksack aufgeschnallt hatte. Dann fragte sie beiläufig: „Hast du zu Hause wieder mal Knatsch, Sarah?“
Sarah zuckte mit den Schultern. „Nicht mehr als üblich. Vergiss es, Vanessa. Fahren wir jetzt endlich zu dir raus?“
„Na klar. Du weißt doch, Luna wartet...“
Vanessa schwang sich in den Sattel ihres brandneuen Mountain-Bikes. Es war ein Geschenk von ihren Eltern.
Sarah setzte sich auf ihr altes, klappriges Fahrrad. Nicht ohne Neid sah sie zu Vanessa rüber.
„Dein Rad ist echt die Wucht!“, stellte sie fest. „Ich wollte, ich hätte auch so eins!“
Vanessa nickte. Es tat ihr ehrlich leid, dass Sarahs Eltern nicht so betucht waren wie ihre eigenen. Außerdem hatte Sarah zwei jüngere Geschwister, die auch Wünsche hatten. Für sie war ein teures Fahrrad nicht erschwinglich.
„Mach dir nichts draus“, versuchte sie Sarah zu trösten. „So toll ist das Rad gar nicht. Ich meine, ich fahre ja damit nicht in die Berge. Ich hätte viel lieber ein Rennrad gehabt, aber mein Vater...“
„Du hast bestimmt keinen Grund, dich über deinen Vater zu beschweren“, fand Sarah. „Kauft dir so ein Wahnsinnsrad, und du meckerst daran herum.“
„Tu ich ja gar nicht“, sagte Vanessa schnell. Sie fuhr los und nahm sich vor, Sarah erst einmal in Ruhe zu lassen. Bestimmt würde sie in den nächsten Stunden damit herausrücken, was sie bedrückte.
Luna hatte eine Pfütze in die Diele gesetzt und den weißen Teppich angefressen. Vanessa sah beides sofort, als sie die Haustür aufschloss. Aber noch bevor sie ihren Hund ausschimpfen konnte, schnellte Luna auf ihren vier kurzen Beinen wie ein Gummiball hoch und landete direkt in ihren Armen. Voller Begeisterung leckte sie ihr übers Gesicht und vollführte ein wahres Freudengeheul zur Begrüßung.
„Böser Hund!“, schimpfte Vanessa aber doch. Sie setzte das grauweiße Tier auf den Boden. „Was hast du da gemacht? Darfst du das?“
Luna winselte leise und versuchte weg zu laufen.
„Hiergeblieben, Luna!“, rief Vanessa. Sie packte sie an ihrem roten Halsband und zog sie zu der Pfütze. „Da, schau! Böser Hund.“ Sie gab ihr einen leichten Klaps aufs Hinterteil.
Danach hätte sie schwören können, dass der Hund weinte. Er jaulte und winselte zum Steinerweichen und legte sich flach auf den Bauch. Seine Knopfaugen sahen so traurig aus, dass Vanessa sich nicht gewundert hätte, wenn Tränen aus ihnen geströmt wären.
Sie richtete sich auf und sagte zu Sarah: „Da siehst du es. Luna kann einfach nicht sechs Stunden lang dicht halten. Sie ist zu klein dazu. Aber wenn meine Mutter mitbekommt, dass sie schon wieder ins Haus gemacht hat...“
„Wir können es ja wegwischen“, meinte Sarah schnell. „Dann merkt deine Mutter nichts von dem Unglück.“
„Und der Teppich? Siehst du nicht, dass Luna ein Stück davon abgefressen hat? Bestimmt, weil sie sich einsam fühlte. Himmel noch mal, Sarah, was soll ich bloß machen? Meine Eltern sind den ganzen Tag nicht zu Hause. Ich kann den Hund doch nicht mit in die Schule nehmen, oder?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht doch“, antwortete Sarah nachdenklich. „Stören würde er doch nicht, oder?“
„Ich weiß nicht, was Luna einfällt, wenn sie die vielen Hosenbeine in unserer Klasse sieht“, lachte Sarah. „Vielleicht hat sie Lust hineinzubeißen. Und für die krummen Beine unserer geliebten Bohnenstengel kann ich schon gar nicht garantieren.“
Endlich war es ihr gelungen, Sarah zum Lachen zu bringen. Sarah lachte so herzlich, dass Luna begeistert um sie herumsprang. Der Hund hatte eine Vorliebe für lustige Leute.
„Ach, das müsste herrlich sein!“, japste Sarah. „Ich stell mir vor, wie die Bohnenstengel mit ihren krummen Beinen und dem langen Schlabberrock ins Klassenzimmer stolziert, ihr blödes Englischbuch unter dem Arm und mit ihrem Spinnengesicht... du weißt schon. Und dann saust Luna unter unserem Tisch hervor und beißt ihr mir nichts, dir nichts in die Wade… ach bitte, Vanessa, nimm den Hund doch morgen mit in die Schule. Ich wette, er springt die Bohnenstengel sofort an, wenn er sie sieht. Ich würde das tun, wenn ich ein Hund wäre, das schwöre ich dir.“
Vanessa lachte mit. Sie lachten und kicherten, wie sie es oft taten, wenn sie etwas witzig fanden. Vanessa war froh darüber, dass Sarah wieder gute Laune hatte. Jetzt wurde der Nachmittag vielleicht doch noch richtig gemütlich.
„Ich geh schnell einen Lappen holen“, sagte sie zu Sarah. „Lässt du Luna mal eben in den Garten?“
„Ja, mach' ich.“ Sarah öffnete die Haustür, und Luna raste los.
Als Sarah eine halbe Stunde später immer noch nicht zurück war, fing Vanessa an, sich zu wundern. Wo war sie bloß abgeblieben? Es hätte doch genügt, den Hund mal eben in den Garten zu lassen...
Aber Sarah schien mit Luna spazieren gegangen zu sein.
Vanessa öffnete die Haustür und spähte in den Garten. Dort war weder von Sarah noch von Luna eine Spur zu sehen. Also zog sie ihre Jacke über und ging durch den Garten auf die Straße. Sie sah in beide Richtungen, aber sie entdeckte immer noch nichts. Sarah und Luna blieben verschollen.
„Das gibt's doch gar nicht“, murmelte Sarah vor sich hin. Sie ging zuerst in Richtung Innenstadt. Den Weg zum Park hatte Sarah bestimmt nicht eingeschlagen. Sie fand Parks langweilig.
Vanessa ging fünf Minuten, ohne eine Spur von ihrer Freundin oder Luna zu entdecken. Sie begann sich allmählich Sorgen zu machen. Sie kehrte um und ging schnell in Richtung Park.
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