Buchanan zerrte den Wissenschaftler durch die Gänge des Hotels.
„Los!“, fauchte er nervös. „Los! Geh schneller, sonst mache ich dir Beine!“
MacAndrew und Lymond bildeten die gefährliche Nachhut. Keiner wagte es, sich vom Fleck zu bewegen. Die ganze geladene Gesellschaft schien mitten im Verlauf von einem Hypnotiseur zum Erstarren gebracht worden zu sein.
Als sie das Hotel verlassen hatten, begannen sie zu rennen. Da sie ihre Finger in Lebedevs Smoking gekrallt hatten, musste er mit ihnen laufen.
Sie erreichten keuchend den schwarzen Mercedes. Gavin Fraser hatte für seine Komplizen bereits die Türen geöffnet.
Sie stießen den Russen in das Fahrzeug. Kaum waren alle Beine im Wagen, da zischte das Gefährt auch schon mit durchdrehenden Reifen ab.
„Alles glattgegangen?“, fragte der Fahrer mit vibrierender Stimme.
„Schau lieber auf die Straße“, sagte Buchanan. „Für Fragen ist jetzt keine Zeit.“
Ich hatte aus der Damentoilette laute Schrei gehört und war unverzüglich zurück in den Ballsaal gestürmt. Als erstes blickte ich in blasse Gesichter. Entsetzen und Angst in allen Augen.
Und dann sah ich die drei Teufelsfratzen, die gerade den Russen aus dem Saal zerrten. Ich zog mich augenblicklich zurück, eilte in den angrenzenden Raum und schlich zur Küche. Ich fühlte mich für den gekidnappten Russen verantwortlich. Mein Auftrag lautete, Alexander Lebedev auf Schritt und Tritt zu überwachen.
Ich schnellte aus der Küche, verließ das Hotel und erreichte den geparkten Cadillac, als die Kidnapper den Russen in den Mercedes stießen und gleich darauf losfuhren.
Während die anderen Gäste sich noch in einer nicht enden wollenden Lähmung befanden, handelte ich bereits.
Ich riss die Wagentür auf und drückte mich in den Sitz. Sofort orgelte der Anlasser auf. Und gleich darauf schoss der schwerfällige Cadillac hinter dem schwarzen Gangsterwagen her.
Finley Buchanan zog die knallrote Teufelsmaske keuchend ab. Sein Haar war zerzaust. Er hatte unter dem Plastikgebilde mächtig geschwitzt.
„Lennox!“, stieß er atemlos hervor. „Aidan!“
„Ja?“, kam es von hinten.
„Stülpt ihm den schwarzen Sack über!“
Aidan Lymond langte nach hinten. Seine Finger erwischten den bereitgelegten Stoffsack. Er nahm ihn an sich, faltete ihn auseinander und zog ihn mit MacAndrews Hilfe dem verstörten Wissenschaftler über den Schädel.
Lebedev protestierte zuerst ängstlich, dann energisch. Da fauchte Buchanan: „Schön ruhig, sonst machen wir's noch böser!“
„Was habt ihr mit mir vor?“, stöhnte der Russe verzweifelt unter dem schwarzen Sack.
„Jeder Mensch muss Geld verdienen!“
Finlay Buchanan strich sich das dunkle Haar aus der Stirn. Er war Rechtsanwalt. Seine Praxis hatte noch keine goldenen Tage erlebt. Er hungerte sich so durchs Leben. Aber er verzichtete deshalb nicht darauf, hin und wieder auf großem Fuß zu leben. Das Geld dafür holte er aus den gewinnbringenden Coups, für die er jederzeit zu haben war.
Er war gebürtiger Schotte. Seine Eltern waren arme Leute gewesen, und sein Bruder war es immer noch. So besehen hatte Buchanan einen „gesellschaftlichen Aufschwung“ geschafft. Aber dieser Aufschwung war nicht hoch genug ausgefallen. Deshalb versuchte er nun ein wenig fester an seinem Karriereverlauf zu drehen.
Abgesehen von seinen etwas zu großen, abstehenden Ohren und der ein bisschen zu kurz geratenen Oberlippe war Buchanan ein attraktiver Mann. Vor allem seine elegante Kleidung hob ihn über den Alltagsdurchschnitt seiner Komplizen hinaus. Er hatte auch mehr zu reden als die drei anderen. Was er sagte, wurde gemacht.
Lennox MacAndrew wandte sich mehrmals um, während Gavin Fraser den Mercedes steuerte.
Plötzlich schrie MacAndrew auf, als hätte ihn der Russe ins Knie gebissen.
„Finley!“
„Was ist denn?“
„Wir werden verfolgt!“, keuchte MacAndrew nervös.
„Quatsch!“
„Sieh doch selbst!“
Buchanan war längst herumgefahren. Er sah das abgeblendete Scheinwerferpaar.
„Irgendein Wagen“; knurrte er.
„Würde ich auch sagen“, presste MacAndrew hervor.
„Aber?“
„Aber dieser Wagen ist seit dem Hotel hinter uns her, und da fällt es mir verflucht schwer, an einen Zufall zu glauben, Finley.“
„Bist du sicher, dass der Wagen uns schon seit dem Hotel folgt?“
„Shit! Natürlich bin ich mir sicher!“
„Dann muss etwas geschehen“, brummte Buchanan mit schmalen Augen.
„Und was?“
„Aidan!“, sagte Buchanan scharf.
„Hm?“
„Dreh das Fenster runter und bring den Verfolgerwagen zum Stehen!“
„Mit 'ner Kugel?“
„Mit 'ner Seifenblase wird's wohl kaum gelingen!“, bellte Buchanan gereizt.
Aidan Lymond kurbelte das Fenster herunter. Als er sich nach draußen beugte, verlangte Buchanan vom Fahrer, er solle rasch Gas zurücknehmen. Fraser gehorchte sofort. Der Mercedes wurde merklich langsamer. Der Verfolgerwagen holte auf. Lymond hob die Waffe, auf der immer noch der klobige Schalldämpfer saß.
„Na los!“, schrie MacAndrew nervös. „Mach doch schon, Aidan!“
Und Lymond begann zu feuern. Dicke, grelle Feuerlanzen fauchten aus dem Schalldämpfer. Die Schüsse waren nicht zu hören. Fraser zitterte bis in den Gasfuß hinunter. Dicke Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Er hasste Gewalt in jeder Form. Und das da war Gewalt in höchster Potenz. Hierbei konnte ein Mensch zu Tode kommen. Und nichts fürchtete Gavin Fraser mehr als das. Er wollte an keinem Mord beteiligt sein, weder direkt noch indirekt. Kidnapping war das Äußerste, wofür er sich hergab. Doch bei Mord war bei ihm der Ofen aus.
Und nun beschoss der gewissenlose Lymond den Verfolgerwagen. Das konnte die schlimmste Katastrophe geben. Deshalb stand dem Fahrer der eiskalte Schweiß auf der Stirn.
Er hoffte für den Verfolger, dass er mit dem Leben davonkommen möge.
Als ich die orangefarbenen Mündungsblitze aufzucken sah, duckte ich mich instinktiv. Ich erkannte den Körper des Gangsters, der weit aus dem Mercedes hing. Das Licht ihrer Scheinwerfer erhellte seine rote Teufelsfratze. Er sah unheimlich aus.
Drei Schüsse blieben ohne Wirkung. Ich hatte natürlich sofort den Cadillac zurückfallen lassen, um nicht Gefahr zu laufen, von dem Kidnapper getroffen zu werden.
Doch da auch das Gangsterauto seine Geschwindigkeit vermindert hatte, blieb der Abstand ungefähr gleich. Und dann klatschte die vierte Kugel in den linken Vorderreifen des Cadillacs.
Das Fahrzeug machte sofort einen wilden Satz nach links. Ich umklammerte verbissen das Lenkrad, steuerte dagegen, während ich gleichzeitig auskuppelte, aber nicht bremste, denn bei dieser Geschwindigkeit hätte ich mich mit der mächtigen Limousine vermutlich überschlagen, wenn ich auf die Bremse getreten hätte.
Keuchend zerrte ich am Lenkrad. Der Gangsterwagen nahm wieder Fahrt auf. Ich konnte ihm nicht mehr folgen, sondern war atemlos darum bemüht, einen folgenschweren Unfall zu verhindern. Der Cadillac tänzelte mit kreischenden Pneus über die Betonpiste. Ein Glück, dass um diese Zeit kein Verkehr mehr über die Landstraße rollte. Ich brauchte die ganze Breite, um den Wagen schließlich ohne einen Kratzer zum Stehen zu bringen.
Wütend stieg ich aus.
Der Gummimantel hatte sich von der Felge gelöst. Von dem zerschossenen Reifen war so gut wie nichts mehr vorhanden.
Und von den Kidnappern konnte man dasselbe behaupten. Es war den Verbrechern geradezu spielend gelungen, sich ihres einzigen Verfolgers zu entledigen und sich mit unbekanntem Ziel ungehindert abzusetzen. Allein der Gedanke daran, dass ich das nicht verhindern konnte, machte mich rasend vor Zorn. Schlappen wie diese konnte ich auf den Tod nicht ausstehen.
Ich war mir nicht zu fein, den Reifen selbst zu wechseln. Zu warten, bis in zwei, drei Stunden mal jemand vorbeikam, schien mir nicht sinnvoll zu sein. Deshalb legte ich selbst Hand an, und ich machte die Sache zumindest genauso gut wie jeder Mechaniker. Schmutzig bis ans Kinn und ein wenig abgeschlafft von der Anstrengung ließ ich mich wieder in den Cadillac fallen.
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