Christa Luginbühl / Monika Luginbühl
Eigenständig im Alltag unterwegs
Alltagskompetenzen in sozialen Einrichtungen kreativ fördern
ISBN Print: 978-3-0355-1991-4
ISBN E-Book: 978-3-0355-1992-1
Fotos: Frank Egle
Dank an: Hanspeter Bosshard, Marianne Bossard, Eliane Hess, Simon Lieberherr, Familie Luginbühl, Luca Patocchi, Melanie Seifert, Sonia Schädeli, Kathrin Scheidegger, Talina Rostetter, Chantal Billaud, Eva Zogg, Moritz Zumbühl, BFF Bern, Berner Schuldenberatungsstelle
1. Auflage 2022
Alle Rechte vorbehalten
© 2022 hep Verlag AG, Bern
hep-verlag.ch
Teil 1: Auftritt Hauswirtschaft: Nicht verstaubt, sondern brillant!
Hauswirtschaft. Schon der Begriff löst bei vielen Menschen negative Assoziationen aus: Pingelige Hauswirtschaftslehrer*innen lassen gesundes, aber bitter schmeckendes Gemüse kleinschneiden, kontrollieren mit dem Zeigefinger die eben geputzte Arbeitsfläche, fordern exakt ausgestochene Weihnachtsguetzli und lassen Menüs auf die Minute und den Rappen genau planen. Auch zu Hause fallen die Assoziationen meist nicht besser aus: aufräumen, putzen … – was daran soll bitteschön interessant sein? Und nun folgt hier zum Auftakt dieses Buches ein Plädoyer für die Hauswirtschaft mit dem nicht eben bescheidenen Titel «Nicht verstaubt, sondern brillant»?!
Nun, liebe kritische Leser*innen, ja, genau das möchten wir Ihnen beweisen: Das Themenfeld Hauswirtschaft ist aus sozialpädagogischer Sicht eine wahre Goldgrube für die Erweiterung der Alltagskompetenzen Ihrer Klient*innen.
Mit dem Lehrplan 21 ist das neue Schulfach Wirtschaft, Arbeit, Haushalt (WAH) entstanden. Es ersetzt den bisherigen Hauswirtschaftsunterricht der 9. Klasse. Dieses Schulfach im dritten Zyklus (7.–9. Klasse) erörtert genau die hier ins Zentrum gestellten Inhalte. Alltagskompetenzen werden nicht mehr nur so verstanden, dass lediglich die erforderlichen handwerklichen und organisatorischen Kompetenzen erlangt werden müssen. Es geht vielmehr umfassend darum, sich als Konsument*in sicher zu bewegen, bewusste Konsumentscheide zu fällen und einen Umgang mit Geld und Verlockungen zu erlernen. – Kurz: sich im Alltag organisieren können. Die Stunden des äusserst sinnvollen Schulfaches ersetzen aber nicht die pädagogische Förderung im Alltag. Und hier sind Sie als Sozialpädagog*in in Ihrer Profession gefragt, indem Sie Menschen fördern, damit diese so eigenständig und selbstbestimmt wie möglich im Alltag leben können. Die Ressourcen dafür liegen denn auch im Alltag selbst, Sie müssen diese nur erkennen und pädagogisch nutzbar machen. Wir geben Ihnen mit dem vorliegenden Buch einen breit gefächerten ersten Überblick, das Thema bietet aber unzählige Vertiefungsmöglichkeiten für das Selbststudium.
Es geht uns mit diesem Buch um nicht weniger als um die Verschiebung des Blickwinkels, um das Setzen eines neuen Rahmens: Hauswirtschaft als zentrales Lernfeld für die Erweiterung der Alltagskompetenzen. Machen Sie sich mit uns auf den Weg, dieses spannende und vielfältige Thema neu zu entdecken!
Einführung
1. Das Plädoyer für die Hauswirtschaft
Erlauben Sie uns zuerst eine Frage: Was bringt Sie besser durch den Alltag, das Fachbuch oder die Klobürste? Nun ja, die Frage ist etwas gewagt und rhetorisch, aber dennoch bringt sie einiges auf den Punkt: Selbstverständlich ist das Fachbuch wichtig, aber wenn Sie die Anforderungen des Alltags – und dazu gehören nun mal auch so banale Dinge wie ein Klo putzen – nicht managen, ergeben sich für Sie ganz schnell Probleme, und zwar fundamentale.
Um im Leben gut zurechtzukommen, müssen wir für uns selbst sorgen können. Dafür müssen wir eine Reihe von Alltagskompetenzen beherrschen. Die meisten Menschen entwickeln diese Alltagskompetenzen nicht in der Schule, sondern zu Hause im familiären Umfeld. Klient*innen der Sozialpädagogik leben häufig ganz oder teilweise in Institutionen. Einige verbringen nur die Wochenenden in der Herkunftsfamilie oder mit den Partner*innen. Entsprechend verlagern sich die Alltagsaufgaben in die Institution, und das bedeutet: Die Klient*innen der Sozialpädagogik sind darauf angewiesen, dass sie im institutionellen Umfeld alltagspraktischen Lernchancen erhalten. Dabei fällt den Angehörigen trotzdem weiterhin eine wichtige Rolle zu, denn für eine nachhaltige, systemische Arbeitsweise ist es wichtig, das Herkunftssystem der Klient*innen wann immer möglich einzubeziehen und zu beteiligen. Im Sinne des lebenslangen Lernens brauchen auch Erwachsene, die in Wohnheimen leben, entsprechende Förderung. Das Ziel der sozialpädagogischen Arbeit ist es, Menschen zu unterstützen und zu befähigen, möglichst eigenständig und in weitgehend selbstbestimmten Lebenszusammenhängen ihren Alltag gelingend zu gestalten und dabei am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und teilzunehmen. Dazu gehört als Basis auch, dass Klient*innen lernen, möglichst eigenständig für sich selbst zu sorgen. Wenn es Ihnen in Ihrer Vorbildfunktion und als sozialpädagogische Begleitperson also gelingt, das negative Image der Hauswirtschaft abzustreifen, können Sie das sich bietende Potenzial für die Erweiterung der lebenspraktischen Befähigung aktiv und vielfältig nutzen. Im Folgenden geben wir Ihnen einen kurzen Überblick, welche Förderfelder im Buch thematisiert werden.
Selbstwirksamkeit erleben, Erfolgsmomente ermöglichen: Der Alltag der Klient*innen der Sozialpädagogik zeichnet sich in der Regel nicht primär durch Erfolge aus. Oftmals befinden sich die Klient*innen in komplexen Problemlagen und haben schon viele belastende Erfahrungen gemacht. Selbstwirksamkeitsförderung ist daher ein zentrales Ziel. Im Bereich Hauswirtschaft können Sie Ihren Klient*innen sichtbare und schnell erreichbare Momente des Erfolgs ermöglichen. Mit Kochen und Backen liegt das auf der Hand – aber auch im Bereich Putzen ist es möglich. Denken Sie nur kurz nach, wie das bei Ihnen zu Hause läuft: Sie haben sich endlich überwunden, die Fenster ihrer Wohnung zu putzen. Am Abend kommt Besuch vorbei – was sagen Sie? «Schau, die Fenster! Man sieht nicht mal das Glas, so sauber sind sie geworden.» Solche Momente des Stolzes sind auch für Ihre Klient*innen wichtig.
Umfassende Alltagskompetenzen fördern: Das eigenständige Verrichten von Alltagsarbeiten im Haushalt fördert eine Vielzahl an wichtigen Basiskompetenzen, beispielsweise die Finanz- oder Konsumkompetenz, Kompetenzen in den Bereichen Konsumethik, Haushaltsarbeiten oder Ernährung, Sozialkompetenz in Tischsituationen, Medien-, aber auch Planungs- oder Selbststeuerungskompetenz sowie Reflexionsfähigkeit. Die Tatsache, dass haushaltsbezogene Arbeiten regelmässig und in überblickbaren Sequenzen erledigt werden müssen, erlaubt ein tägliches Trainieren und Erweitern dieser Kompetenzen.
Soziale Kompetenzen erweitern: Sozialpädagogische Arbeit wird meist in Gruppen durchgeführt. Hauswirtschaft ist ein tolles Lernfeld, um soziale Kompetenzen zu trainieren. Kooperation und Teamwork sind erforderlich, etwa dann, wenn zur richtigen Zeit das Abendessen auf dem Tisch stehen soll. Die verschiedenen Kompetenzen und das unterschiedliche Vorwissen der Klient*innen können gut kombiniert werden und bei einer gelungenen Umsetzung stärkt der gemeinsame Erfolg das «Wir-Gefühl» der Gruppe. Auch das Thema «Gäste empfangen» eignet sich hervorragend, damit Klient*innen ihre Sozialkompetenz weiterentwickeln können und Wertschätzung und Anerkennung erfahren. Zudem ermöglichen hauswirtschaftliche Tätigkeiten, durch eine eigenständige Aktivität an der Lebenssituation von anderen teilzuhaben, zum Beispiel jemanden eine Freude zu machen mit einem selbstgebackenen Kuchen. Generell werden dabei Dialog-, Konflikt-, und Kooperationsfähigkeit trainiert.
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