Durch einen Antrag nach § 717 wird der Streitwert des anhängigen Prozesses nicht erhöht. Auch zurückverlangte Zinsen und Kosten werden dem Streitwert nicht zugerechnet; anders nur, wenn nach § 717 Abs. 2 Ersatz eines weitergehenden Schadens verlangt wird[117].
Ist Schuldner des Anspruchs aus § 717 nicht der Kläger, sondern sein Rechtsnachfolger ( Rn. 15.53), so ist bei Geltendmachung im anhängenden Prozess der Rechtsnachfolger zu verurteilen, obwohl der Kläger gemäß § 265 Partei des Rechtsstreits bleibt[118].
Die Entscheidung über den Schadensersatz- bzw. Bereicherungsanspruch ergeht durch Endurteil, gleichviel ob ihn der Schuldner durch besondere Klage oder durch Antrag im anhängigen Verfahren erhebt. Für dieses Urteil gelten hinsichtlich der Rechtsmittel und der Vollstreckbarkeit die allgemeinen Grundsätze[119].
6. Rechtsnatur des Anspruchs
15.60
Der rechtliche Charakter des Anspruchs aus § 717 Abs. 2 bzw. Abs. 3 ist schwer zu bestimmen. Am einleuchtendsten ist es, ihn als privatrechtlichen Aufopferungsanspruch zu erklären: der Schuldner bekommt einen Ausgleich dafür, dass er die Zwangsvollstreckung aus dem – wie sich in der Rechtsmittelinstanz herausstellt – ungerechtfertigt gegen ihn ergangenen Urteil ohne Abwehrmöglichkeit hat hinnehmen müssen[120]. Der BGH qualifiziert den Schadensersatzanspruch gemäß § 717 Abs. 2 in seiner jüngeren Rechtsprechung als prozessrechtlichen Anspruch, soweit er auf die Erstattung des auf Grund des vorläufig vollstreckbaren Urteils erlangten Betrages gerichtet ist[121]; dies müsste folgerichtig auch für den Erstattungsanspruch aus § 717 Abs. 3 gelten. Soweit dagegen weitergehender Schaden zu ersetzen ist, geht der BGH von materiellrechtlicher Natur des Anspruchs aus (s. Rn. 15.56)[122].
Die h.M. sieht in § 717 einen Fall der Gefährdungshaftung, aber nur deshalb, weil die Ersatzpflicht des Gläubigers unabhängig von seinem Verschulden besteht[123]. Aus dieser Qualifizierung wird dann die Folgerung abgeleitet, dass der Anspruch im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32) eingeklagt werden könne[124]; der BGH ging bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung von dreijähriger Verjährung (entsprechend § 852 BGB a.F.) aus (heute Regelverjährung gem. § 195 BGB)[125], konsequenterweise kommt die analoge Anwendung von § 852 BGB n.F. in Betracht, die der BGH jedoch für die inhaltgleiche Vorgängernorm alten Rechts (§ 852 Abs. 3 a.F.) verneint, weil § 717 Abs. 2 eine Risikohaftung für erlaubtes Verhalten begründe[126].
7. Entsprechende Anwendung des § 717
15.61
Aus § 717 ergibt sich kein allgemeiner Grundsatz, dass die Vornahme einer unberechtigten Zwangsvollstreckung den Gläubiger auch ohne Verschulden schadensersatzpflichtig mache (s.a. Rn. 5.22). Vielmehr sind bezüglich einer entsprechenden Anwendung des § 717 folgende Fallgruppen zu unterscheiden:
15.62
Eine entsprechende Anwendung ist vom Gesetz ausdrücklich vorgesehen,
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wenn ein vorläufig vollstreckbarer Beschluss über die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs im Verfahren der Rechtsbeschwerde aufgehoben wird (§ 1065 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 717); |
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wenn sich die Anordnung einstweiliger Maßnahmen durch ein Schiedsgericht als von Anfang an ungerechtfertigt erweist (§ 1041 Abs. 4); |
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wenn ein unter dem Vorbehalt der Entscheidung über die Aufrechnung ergangenes Urteil im Nachverfahren aufgehoben wird (§ 302 Abs. 4 S. 3, 4); |
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wenn ein unter dem Vorbehalt der Rechte im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess ergangenes Urteil im Nachverfahren aufgehoben wird (§ 600 Abs. 2 i.V. mit § 302 Abs. 4 S. 3 und 4); |
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wenn sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt erweist (§ 945; dazu unten Rn. 52.31 ff., 54.23 ff.); |
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wenn die Vollstreckung eines ausländischen Titels zu Unrecht erfolgte[127]. |
15.63
§ 717 ist wegen der Gleichheit der Interessenlage entsprechend anzuwenden, obwohl das im Gesetz nicht besonders zum Ausdruck gekommen ist,
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wenn ein Kostenfestsetzungsbeschluss[128] oder ein in § 794 Abs. 1 Nr. 3 genannter Beschluss[129] vollstreckt und dann aufgehoben wird; |
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wenn eine Vorabentscheidung über den Grund des Anspruchs (§ 304) aufgehoben wird und damit auch das bereits vollstreckte Urteil über den Betrag hinfällig wird[130]; |
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wenn ein Zwischenurteil nach § 280, in dem eine prozesshindernde Einrede verworfen wurde, aufgehoben wird und damit auch das bereits vollstreckte Urteil über die Hauptsache hinfällig wird. |
c) Ablehnung einer Analogie
15.64
Nicht entsprechend anwendbar ist § 717 dagegen,
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wenn die Zwangsvollstreckung aus einem endgültigen Titel im Wege der Vollstreckungsgegenklage (§ 767) für schlechthin unzulässig erklärt wird[131], z.B. aus einem Vergleich; nach h.M. soll dies auch bei vollstreckbaren Urkunden[132] gelten; |
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wenn die Zwangsvollstreckung in einen bestimmten Gegenstand im Wege der Drittwiderspruchsklage (§ 771) für unzulässig erklärt wird[133]; |
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wenn die Zwangsvollstreckung aus einem wegen Unbestimmbarkeit des Streitgegenstandes nicht vollstreckungsfähigen Urteils für unzulässig erklärt wird[134]; |
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wenn ein rechtskräftiges Urteil im Wiederaufnahmeverfahren (§§ 578 ff.)[135] oder wenn ein rechtskräftiges Urteil nach Verfassungsbeschwerde[136] aufgehoben wird (§ 95 Abs. 2 und 3 BVerfGG); |
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wenn ein Urteil durch Prozessvergleich aufgehoben wird[137]; |
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wenn ein vollstreckbares Urteil für erledigt erklärt wird[138]; |
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wenn auf Grund nicht rechtskräftiger Feststellungsklage gezahlt wird[139]; |
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wenn ein Verwaltungsakt vollzogen und später aufgehoben worden ist[140]. |
Auch wo § 717 nicht entsprechend anwendbar ist, kann doch ein Anspruch aus Vertrag, Delikt (Verschulden, s. Rn. 5.22) oder ungerechtfertigter Bereicherung (Entreicherung, § 818 Abs. 3 BGB!) in Betracht kommen.
§ 16 Sonstige Vollstreckungstitel
Schrifttum:
I. Anwaltsvergleich und Schiedsspruch:Geimer, Notarielle Vollstreckbarerklärung von Anwaltsvergleichen – Betrachtungen zu § 1044b ZPO, DNotZ 1991, 266 (altes Recht); Veeser, Der vollstreckbare Anwaltsvergleich, 1995; Münzberg, Einwendungen gegenüber vollstreckbaren Anwaltsvergleichen, NJW 1999, 1357; Mankowski, Der Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut, ZZP 114 (2001), 37; Schütze, Der Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut, FS W. Lorenz, 2001, S. 275 ff.
II. Prozessvergleich: Esser, Heinrich Lehmann und die Lehre vom Prozessvergleich, FS H. Lehmann zum 80. Geburtstag, 1956, II, S. 713 ff.; Bonin, Der Prozessvergleich unter besonderer Berücksichtigung seiner personellen Erstreckung, 1957; Arndt, Der Prozessvergleich, DRiZ 1965, 188; Lüke, Die Beseitigung des Prozessvergleichs durch Parteivereinbarung, JuS 1965, 482; Reinicke, Die Rechtsfolgen eines formwidrig abgeschlossenen Prozessvergleichs, NJW 1970, 306; W. Henckel, Fortsetzung des Zivilprozesses nach dem Rücktritt vom Prozessvergleich?, FS Wahl, 1973, S. 465 ff.; Schwab, Das Verfahren zwischen den Instanzen, FS v. Carolsfeld, 1973, S. 445 ff.; Vollkommer, Führen Protokollierungsmängel stets zur unheilbaren Nichtigkeit des Prozessvergleichs?, Rpfleger 1973, 269; Bökelmann, Zum Prozessvergleich mit Widerrufsvorbehalt, FS F. Weber, 1975, 101 ff.; Tempel, Der Prozessvergleich, FS Schiedermair, 1976, S. 517 ff.; Pecher, Zur Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Prozessvergleichs, ZZP 97 (1984), 139; Michel, Der Prozessvergleich in der Praxis, JuS 1986, 41; Bork, Der Vergleich, 1988; Münzberg, Die Auswirkung von Prozessvergleichen auf titulierte Ansprüche und deren Vollstreckung, FS Gaul, 1997, S. 447 ff.; Wagner, Prozessverträge, 1998; Lindacher, Der Prozessvergleich, Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, Bd. III, S. 253 ff.; Langer, Die Funktion des Prozessvergleichs: Im Spannungsfeld zwischen Privatautonomie und Justizgewährungsanspruch, 2014.
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