John Cort, Max Huber und Khamis hatten ein so starkes Bedürfniß nach Nahrung, daß sie nicht im geringsten wählerisch waren. Von dem Büffelstücke, dem Brode und den Bananen ließen sie nur die Knochen und die häutigen Schalen übrig.
Darauf fragte John Cort den jungen Eingebornen, ob die Wagddis ein sehr volkreicher Stamm wären.
»O, es sind viele… sehr viele! Ich habe ihrer eine große Zahl in den Straßen und den Hütten gesehen, antwortete Llanga.
– Ebenso viele Leute, wie in den Dörfern von Burnu oder Baghirmi?
– Jawohl!
– Und sie begeben sich niemals auf die Erde hinunter?…
– O doch; um zu jagen, oder um Wurzeln und Früchte oder auch Wasser zu holen.
– Und sie sprechen auch?
– Gewiß, ich verstehe sie nur nicht. Und doch… zuweilen einzelne Wörter… Wörter, die mir bekannt sind… wie wenn Li-Maï spricht.
– Und der Vater, die Mutter des Kleinen?
– Die sind sehr gut gegen mich. Was ich hier gebracht hatte, kam von ihnen.
– Ich wünsche herzlich, den Leuten dafür danken zu können, sagte Max Huber.
– Wie heißt denn das Dorf in den Bäumen?
– Ngala.
– Giebt es in dem Dorfe auch einen Häuptling? fragte John Cort.
– Ja.
– Hast Du ihn schon gesehen?
– Nein, das nicht. Ich habe aber gehört, daß sie ihn Mselo-Tala-Tala nannten.
– Das sind Worte der Eingebornen! rief Khamis.
– Und was bedeuten sie?
– Der »Vater Spiegel«, antwortete der Foreloper.
So bezeichnen die Congolesen in der That einen Mann, der eine Brille trägt.
Vierzehntes Capitel.
Die Wagddis
Seine Majestät Mselo-Tala-Tala, König des Stammes der Wagddis, Beherrscher des Dorfes in den Lüften… war das nicht genug, die geheimsten Wünsche Max Huber’s zu erfüllen? Hatte seine überschwängliche französische Phantasie ihm nicht alles vorgegaukelt, was er hier verwirklicht fand, alle diese Geheimnisse des Waldes von Ubanghi, neue Volkstypen, unbekannte Wohnstätten, eine ganz außergewöhnliche Welt, von der niemand eine Ahnung hatte? Nun, jetzt war ihm doch wohl nach Wunsch gedient.
Er war auch der erste, sich selbst zu loben wegen seiner richtig eingetroffenen Ahnungen, und er hörte damit erst auf, als John Cort zu ihm sagte:
»Ja, ja, lieber Freund, Du bist wie jeder Dichter mit einem Seherblick begabt und hast deshalb alles vorher errathen…
– Richtig, lieber John, doch welcher Art die Wagddis, die Halbmenschen, auch sein mögen, hab’ ich doch nicht die geringste Lust, mein Leben in ihrer Hauptstadt zu beschließen.
– Aber, liebster Max, wir müssen doch eine Zeit lang hier bleiben, um diese Rasse vom ethnologischen und anthropologischen Standpunkt aus zu studieren und später darüber einen dickleibigen Quartband zu veröffentlichen, der alle Akademien der beiden Welten in Aufruhr versetzen wird.
– Jawohl, erwiderte Max Huber, wir wollen gern beobachten, vergleichen, alle die Frage der Anthropomorphie berührenden Dinge ausspähen, doch nur unter zwei Bedingungen…
– Deren erste wäre…?
– Daß man uns, und das erwarte ich ja, volle Freiheit gewährt, im Dorfe hin- und herzugehen.
– Und die zweite?
– Daß uns, wenn wir uns hier unbehindert bewegt haben, gestattet wird, fortzugehen, sobald es uns paßt.
– An wen sollen wir uns aber deshalb wenden?
– An Seine Majestät den Vater Spiegel, antwortete Max Huber. Doch, das giebt mir die Frage ein: Warum mögen ihn seine Unterthanen wohl so nennen?
– Und noch dazu in congolesischer Sprache? setzte John Cort hinzu.
– Sollte Seine Majestät vielleicht kurz oder weitsichtig sein, und deshalb eine Brille tragen? fuhr Max Huber fort.
– Dabei entsteht wieder die Frage, woher diese Brille stammen möge, bemerkte John Cort.
– Mag das sein, woher es will, meinte Max Huber, wenn wir erst imstande sind, mit diesem Souverän zu verhandeln, ob er nun unsere Sprache versteht oder wir die seinige gelernt haben, jedenfalls machen wir ihm dann den Vorschlag, ein Schutz-und Trutzbündniß mit Amerika und Frankreich abzuschließen, er aber wird darauf nicht umhin können, uns das Großkreuz des Wagddischen Hausordens zu verleihen.«
Max Huber sprach sich recht zuversichtlich aus, indem er darauf rechnete, daß sie sich hier würden frei umher bewegen und das Dorf nach Belieben verlassen können. Wenn aber Khamis, John Cort und er in der Factorei nicht wieder erschienen, wer könnte da auf den Gedanken kommen, sie im Dorfe Ngala im Herzen des großen Waldes zu suchen? Kam überhaupt niemand von der Karawane zurück, so konnte das nur dahin gedeutet werden, daß diese im Gebiete des oberen Ubanghi mit Mann und Maus zu Grunde gegangen sei.
Die Frage, ob Khamis und seine Gefährten als Gefangene in der Hütte eingesperrt bleiben sollten, fand da fast augenblicklich ihre Entscheidung. Eben schwengte die Thür an ihren Lianenbändern zurück und Li-Maï erschien in der Oeffnung.
Zunächst ging der Kleine auf Llanga zu und überhäufte ihn mit Liebkosungen, die dieser gutherzig erwiderte. John Cort fand dabei Gelegenheit, sich das seltsame Geschöpfchen näher anzusehen. Da die Thür aber offen blieb, schlug Max Huber vor, hinauszugehen und sich unter die Luftbewohner zu mischen.
Jetzt befanden sie sich also im Freien und wurden von dem kleinen Wilden – so durfte man ihn wohl nennen – der seinen Freund Llanga an der Hand hielt, geleitet. Sie sahen sich an einer Art Straßenkreuzung, über die viele Wagddis, »ihren Geschäften nachgehend«, von allen Seiten hineilten.
Der Platz war mit Bäumen bepflanzt, oder vielmehr von deren Kronen beschattet, während die Stämme das merkwürdige Bauwerk in der Luft trugen. Dieses selbst ruhte, etwa hundert Fuß über der Erde, auf den Hauptästen mächtiger Bauhinias, Wollbäume und Baobabs. Auf fest mit Pflöcken und Lianen verbundenen Planken war eine Lage festgestampfter Erde ausgebreitet, und da deren Unterstützungspunkte sehr haltbar und zahlreich waren, bewegte sich der künstliche Boden unter dem Fuße nicht im geringsten. Selbst wenn heftige Stürme durch die hohen Wipfel brausten, erlitt die ganze Anlage kaum eine leise Erschütterung.
Durch die Lücken im Laubwerke brachen die Sonnenstrahlen herein; gerade heute war das Wetter sehr schön. Breitere Stücke blauen Himmels wurden hinter den untersten Zweigen sichtbar. Eine mit starkem Dufte geschwängerte Brise erfrischte die Luft.
Während die Gruppe der Fremden dahinwandelte, betrachteten sie die Wagddis, Männer ebenso, wie die Frauen und Kinder, ohne besonderes Erstaunen. Diese wechselten mit einander im raschen Tone nur einzelne Worte oder schnell herausgestoßene, kurze, völlig unverständliche Sätze. Der Foreloper glaubte darunter zuweilen einige congolesische Ausdrücke zu vernehmen, was ja kaum zum Verwundern war, da Li-Maï wiederholt das Wort »Ngora« ausgesprochen hatte.
Immerhin blieb die Sache unerklärlich. Noch mehr aber: John Cort hörte sogar zwei oder drei deutsche Wörter, darunter das Wort »Vater«, und er unterrichtete seine Genossen von dieser auffallenden Beobachtung.
»Ja, was willst Du denn, lieber John? antwortete Max Huber.
Ich erwarte sogar, daß einer dieser Burschen mir auf den Bauch klopft und mich dazu – in französischer Sprache – fragt: »Na, wie geht’s denn, Alterchen?«
Von Zeit zu Zeit ließ Li-Maï Llangas Hand los und lief wie ein lebhaftes, lustiges Kind zu dem einen und dem anderen hin.
Er schien sehr stolz darauf zu sein, die Fremden durch die Straßen des Dorfes führen zu können. Das that er offenbar nicht ohne Zweck und Ziel, sondern geleitete sie mit Berechnung hier und dort hin so daß man gar nichts besseres thun konnte, als dem fünfjährigen Führer zu folgen.
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