»Abgemacht, Herr Cascabel.«
»Vortrefflich, meine Freunde!. Welch eine Vorstellung!. Welch eine Attraktion für das Publikum!«
Und als die beiden Matrosen davongegangen waren, wurde Herr Cascabel von einem solchen Lachkrampfe ergriffen, daß sein Gürtel in Stücke flog. Cornelia glaubte, er bekomme einen Ohnmachtsanfall.
»Cäsar, es ist nicht vernünftig, nach dem Frühstück so zu lachen!« sagte sie.
»Ich?. lachen, meine Gute?. Aber ich bin ja gar nicht dazu aufgelegt!. Wenn ich lache, so geschieht es unbewußt!. Im Grunde bin ich sehr traurig!. Bedenke doch, es ist ein Uhr, und der treffliche Herr Sergius ist noch immer nicht zurück!. Und er wird nicht zur Stelle sein, um als Taschenspieler der Truppe zu figurieren!. Welches Pech!«
Während Cornelia hierauf zu ihren Kostümen zurückkehrte, ging Cascabel aus, um einige Gänge zu thun, die ihm, wie er kurz sagte, unerläßlich erschienen.
Die Vorstellung sollte um vier Uhr beginnen - wodurch die Beleuchtung überflüssig wurde, die im Permer Cirkus viel zu wünschen übrig ließ. War doch auch die junge Napoleone frisch genug und ihre Mutter selber hinreichend »wohl konserviert«, um das Tageslicht nicht scheuen zu müssen!
Man kann sich kaum vorstellen, welchen Eindruck das Plakat Cäsar Cascabels in der Stadt gemacht hatte, gar nicht zu reden von der Trommel Clou-de-Girofles, der seine erstaunlichsten Wirbel eine volle Stunde lang in allen Straßen erschallen ließ. Er wäre im stande gewesen, sämtliche Reußen auf einmal aus dem Schlafe zu trommeln!
Die Folge davon war, daß zur festgesetzten Stunde eine große Menge von Zuschauern zu den Eingängen des Cirkus strömte: der Gouverneur von Perm und seine Familie, eine gewisse Anzahl von Beamten, Offiziere der Citadelle, einige bedeutende Kaufleute des Ortes und auch viele jener kleinen Händler, welche zum Jahrmarkt gekommen waren, kurz, ein ungeheurer Andrang seitens des Publikums.
Am Eingange lärmten die Musikanten der Truppe, Xander, Napoleone, Clou, mit Klappenhorn, Posaune und Trommel, sowie Cornelia, die in fleischfarbenem Tricot und rosenrotem Gewande auf der großen Trommel polterte. Das gab ein wunderbares Getöse, ganz dazu angethan, die Ohren der Musiks zu entzücken.
Dazwischen schrie Cäsar Cascabel korrekt und verständlich auf Russisch:
»Herein!. Spazieren Sie herein, meine Herren und Damen!. Der Platz kostet vierzig Kopeken. ohne Unterschied!. Spazieren Sie herein!«
Und sobald die Herren und Damen auf den Cirkusbänken Platz genommen hatten, verschwand das Orchester, um sich seiner programmmäßigen Rolle bei der Vorstellung zu widmen.
Der erste Abschnitt ging vorzüglich. Die kleine Napoleone auf dem straffen Seil, der junge Xander mit seinen ClownVerrenkungen, die gelehrten Hunde, der Affe John Bull und der Papagei Jako mit ihren ergötzlichen Kunststücken, Herr und Frau Cascabel mit ihren Kraft- und Geschicklichkeitsproben, sie alle erzielten wahrhaft große Erfolge. Bei dem stürmischen Beifall, welcher diesen Künstlern ersten Ranges so gerechterweise zu teil wurde, ging auch Jean nicht leer aus. Vielleicht, da seine Gedanken bei anderen Dingen weilten, zauderte seine Hand, vielleicht waren seine equilibristischen Talente einen Augenblick beeinträchtigt. Aber das war nur dem Auge des Meisters sichtbar und das Publikum merkte nichts davon, daß der arme Junge nicht ganz bei der Sache sei!
Was die lebendige Pyramide betrifft, die dem Zwischenakte voranging, so wurde ihre Wiederholung einstimmig verlangt.
Im übrigen war Herr Cascabel von verblüffender Verve und guter Laune, indem er seine Künstler dem Publikum vorstellte und wohlverdiente Hurrarufe für dieselben erbat. Nie hatte dieser hervorragende Mann glänzender bewiesen, wie weit eine energische Natur sich zu beherrschen vermag. Die Ehre der Familie Cascabel war gesichert Es war ein Name, den die Moskowiten stets mit Bewunderung und Achtung aussprechen würden.
Aber wenn das Publikum diesem Teile des Programms mit Interesse gefolgt war, mit welcher Ungeduld erwartete es nicht den zweiten! Während des Zwischenaktes sprach man in den Couloirs von nichts anderem.
Nach einer Pause von zehn Minuten, welche den Zuschauern gestattet hatte, sich draußen an der Luft zu erfrischen, kehrte die Menge zurück; kein Platz blieb unbesetzt.
Ortik und Kirschef waren bereits vor einer Stunde von ihrem Rundgange zurückgekehrt und hatten ein halbes Dutzend Gehilfen mitgebracht. Man errät, daß es eben jene früheren Spießgesellen von ihnen waren, die sie im Uralpasse wiedergefunden hatten.
Herr Cascabel musterte seine neuen Figuranten sehr aufmerksam.
»Güte Köpfe!.« rief er. »Gute Gesichter!. Schöner Bau!. Vielleicht von etwas zu anständigem Äußeren, um die Rolle von Räubern zu spielen!. Aber mit Hilfe von struppigen Perücken und schauerlichen Bärten werde ich schon etwas aus ihnen machen!«
Und da Herr Cascabel erst am Schlusse des Stückes auftrat, hatte er die nötige Zeit, um die Rekruten vorzubereiten, zu kostümieren, zu frisieren, mit einem Worte, um präsentable Räuber aus ihnen zu machen.
Dann klopfte Clou-de-Girofle dreimal auf den Fußboden. In einem gut eingerichteten Theater würde bei den letzten Klängen des Orchesters der Vorhang in die Höhe gegangen sein. Wenn es hier nicht so geschah, so war es, weil sich auf Reitbahnen keine Vorhänge zu befinden pflegen, selbst wo sie zu Bühnen dienen.
Man möge aber darum nicht glauben, daß es gänzlich an Dekorationen oder doch einem Anschein von Dekorationen fehlte. Rechts stellte ein Schrank mit darauf gemaltem Kreuze die Kirche vor oder vielmehr die Kapelle, deren Glockenturm vermutlich hinter den Coulissen stand; in der Mitte bildete die Reitbahn einen sehr natürlichen Dorfplatz; zur Rechten gaben einige geschickt gruppierte Stauden in Kübeln eine recht klare Idee vom Schwarzwalde.
Das Stück begann unter tiefem Schweigen. Wie niedlich Napoleone war in ihrem gestreiften, ein wenig verblichenen Kleidchen, den hübschen Hut wie eine Blume auf das blonde Haar gesetzt, mit ihrer so treuherzigen und zärtlichen Miene! Der erste Liebhaber, Xander, in orangefarbenem, an den Nähten verschossenem Wamms, hofierte ihr mit solch leidenschaftlichen Gesten, daß ein Dialog die Sache nicht verständlicher gemacht hätte! Und der Eintritt Clou-de-Girofles mit seiner albernen, strohgelben Perücke, den langen, schlenkernden Beinen, der dummen und arroganten Miene, der bebrillten Nase! Und der Affe, der ihm Gesichter schnitt und der Papagei, dessen Geplapper so geistreich schien! Nichts konnte gelungener sein, als dieser Jahrmarktsnarr!
Nun erscheint Cornelia, eine Frau, die schrecklich sein wird, wenn sie einmal Schwiegermutter geworden ist. Sie bescheidet Xanders Werbung um Napoleone abschlägig; und dennoch fühlt man, daß unter ihren vornehmen, mittelalterlichen Flittern ein Herz pocht.
Große Sensation, als Jean als italienischer Carabinier auftritt. Er ist sehr traurig, sehr niedergeschlagen, der arme Junge! Er scheint eher an alles andere als an seine Rolle zu denken! Er möchte lieber an Xanders Stelle sein und Kayette zur Braut haben, so daß er sie direkt zum Altar führen könnte! Und wie viele verlorene Stunden, wo ihnen noch so wenige des Zusammenseins blieben!
Indessen war die dramatische Situation so packend, daß sie den Schauspieler mit sich fortriß. Es wäre unmöglich gewesen, in einer solchen Rolle kein ungeheures Talent an den Tag zu legen. Man bedenke! Ein Bruder, der in Carabinier-Uniform aus dem Kriege zurückkehrt und die Partei einer Schwester gegen die hochmütigen Befehle einer Mutter und die lächerlichen Ansprüche eines Gecken ergreift!
Prächtig, die Herausforderungsscene zwischen Jean und Clou-de-Girofle! Dieser Dummkopf zittert vor Furcht, daß er mit den Zähnen klappert, daß sein Blick unstet und seine Nase übermäßig lang wird, - so lang, als hätte ihm ein Degen den Kopf durchbohrt und stäke ihm beim Gesicht heraus.
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