Herr Cascabel war kein Cirkusdirektor, kein Franconi, Renz oder Schumann, an der Spitze einer Truppe von Kunstreitern, Kunstreiterinnen, Clowns und Taschenspielern. Nein! ein einfacher Jahrmarktsgaukler, der sich auf den Marktplätzen, bei schönem Wetter unter freiem Himmel, bei Regen in einem Zelte sehen ließ. Bei diesem Gewerbe, dessen bedenklichen Wechselfällen er ein Vierteljahrhundert lang die Stirne geboten, hatte er, wie man weiß, jenes runde Sümmchen erspart, welches jetzt unter einem Kombinationsschlosse verwahrt wurde.
Welche Arbeit, welche Anstrengungen, welches zeitweilige Elend das repräsentierte! Jetzt war das Schwerste überstanden.
Die Familie Cascabel bereitete sich zur Rückkehr nach Europa vor. Nachdem sie die Vereinigten Staaten durchzogen, sollte sie sich auf einem französischen oder amerikanischen - nur keinem englischen! - Paketboote einschiffen.
Übrigens war Cäsar Cascabel nicht leicht aus der Fassung zu bringen. Hindernisse existierten nicht für ihn. Höchstens Schwierigkeiten. Er verstand es, sich durchs Leben zu winden und zu schlagen. Er würde ruhig mit dem Herzog von Danzig, einem der Marschälle seines großen Mannes, gesagt haben:
»Bohrt mir ein Loch, so krieche ich hindurch!«
Und er war in der That schon durch viele Löcher gekrochen!
»Frau Cascabel, geborne Cornelia Vadarasse, eine Vollblut-Proven9alin, die unvergleichliche Hellseherin, die Königin der elektrischen Frauen, mit allen Reizen ihres Geschlechtes ausgestattet, mit all den Tugenden geziert, welche einer Familienmutter zur Ehre gereichen, war siegreich aus den großen Wettkämpfen hervorgegangen, zu welchen Chicago die ersten, Athletinnen der Welt' geladen hatte.«
Mit diesen Ausdrücken pflegte Herr Cascabel die Gefährtin seines Lebens vorzustellen. Er hatte sie zwanzig Jahre zuvor in Newyork geheiratet. Hatte er bezüglich dieser Heirat die Meinung seines Vaters eingeholt? Nein! Und zwar erstens, weil sein Vater ihn auch bei der seinigen nicht um seine Meinung befragt hatte, und zweitens, weil der wackere Mann schon damals nicht mehr dieser Welt angehörte. Die Sache hatte sich, das darf man mir glauben, sehr einfach gemacht, ohne all jene präliminären Förmlichkeiten, welche im alten Europa die Vereinigung zweier für einander geschaffener Wesen so ärgerlich verzögern.
Eines Abends, als er sich in der Eigenschaft eines Zuschauers in Barnums Theater auf dem Broadway befand, erstaunte Cäsar Cascabel über die Anmut, die Kraft, die Gewandtheit, welche eine junge französische Akrobatin, Fräulein Cornelia
Vadarasse, am Reck entfesselte. Der Gedanke, die Talente dieser anmutigen Künstlerin mit den seinigen zu verbinden, ihre beiden Existenzen zu einer zu verschmelzen, eine künftige Familie kleiner, ihres Vaters und ihrer Mutter würdiger Cascabels zu gründen, lag für den wackeren Gaukler auf der Hand. Während eines Zwischenaktes auf die Bühne stürzen, sich Cornelia Vadarasse vorstellen, ihr mit geziemenden Worten unter Hinweis auf ihre Zusammengehörigkeit als Franzosen einen Heiratsantrag machen, einen im Zuschauerraume anwesenden ehrsamen Clergyman erspähen, denselben ins Foyer schleppen und auffordern, eine so wohl begründete Ehe einzusegnen, das war in dem glücklichen Lande der Vereinigten Staaten Amerikas eine Kleinigkeit. Und sind diese per Dampf geschlossenen Ehen deshalb weniger glückliche Wenigstens sollte die des Cäsar Cascabel mit Cornelia Vadarasse eine der glücklichsten sein, die jemals auf dieser niederen Welt geschlossen worden.
Zur Zeit, wo diese Erzählung ihren Anfang nimmt, zählte Cornelia Vadarasse vierzig Jahre. Sie war schön gewachsen, vielleicht ein klein wenig voll, mit schwarzen Augen und Haaren, lächelndem Munde, und gleich ihrem Manne im Besitze ihrer sämtlichen Zähne. Was ihre ungewöhnliche Kraft betrifft, so hatte man dieselbe bei jenen denkwürdigen Wettkämpfen ermessen können, wo sie »einen Ehren-Chignon« erhalten. Erwähnen wir, daß Cornelia ihren Mann noch wie am ersten Tage ihrer Ehe liebte und ein unerschütterliches Vertrauen in das Genie dieses außerordentlichen Menschen setzte, der eine der merkwürdigsten Typen des Normannenlandes repräsentierte.
Erstgeborner aus dieser Jahrmarktskünstlerehe: Jean, dermalen 19 Jahre alt. Wenn er von Natur aus nicht zu Kraftproduktionen, gymnastischen Leistungen, Clown- und Akrobatenkünsten beanlagt war, so ersetzte er diesen Mangel durch eine erstaunliche Gewandtheit mit den Händen und eine Sicherheit des Blickes, welche ihn zum anmutigsten und elegantesten Taschenspieler machten, der übrigens nicht sehr stolz auf seine Erfolge war. Er war ein sanftes, sinniges Wesen, brünett wie seine Mutter, aber mit blauen Augen. Wißbegierig und zurückhaltend, suchte er sich, wo und wann er konnte, zu unterrichten. Er schämte sich keineswegs des Berufes seiner Eltern, aber er begriff, daß man doch besseres thun könne, als dem Publikum Kunststückchen vormachen, und er gedachte dieses Gewerbe aufzugeben, sobald er in Frankreich sein würde. Aber da er tiefe Zuneigung zu seinen Eltern hegte, beobachtete er in Bezug auf diesen Gegenstand die äußerste Zurückhaltung. Wie sollte er übrigens auch dahin gelangen, sich eine andere Stellung in der Welt zu schaffen?
Zweiter Sohn: Ah, dieser, der Zweitgeborene, der Verrenkungskünstler der Truppe, der war wirklich das logische Produkt der Cascabelschen Verbindung! Zwölf Jahre alt, behend wie eine Katze, geschickt wie ein Affe, flink wie ein Aal, ein kleiner, drei Fuß sechs Zoll hoher Clown, der, wenn man seinem Vater glauben wollte, schon als Säugling den »großen Sprung« gemacht, ein wahrer Gassenjunge an Schelmerei und Possen, von schlagfertigem Witze, aber gut geartet, verdiente er manchmal einen Backenstreich und lachte, wenn er ihn erhielt, da er nie sehr nachdrücklich gegeben wurde.
Man wird bemerkt haben, daß der älteste Cascabel sich Jean nannte. Und weshalb dieser Name? Die Mutter hatte darauf bestanden, zu Ehren eines ihrer Großonkel, eines Marseiller Seemannes, Jean Vadarasse, der von den Karaiben verspeist worden - worauf sie sehr stolz war. Offenbar würde der Vater, welcher das Glück hatte, Cäsar zu heißen, einen anderen, historischeren, besser mit seiner geheimen Bewunderung für Kriegshelden in Einklang stehenden Namen vorgezogen haben.
Aber er hatte seiner Frau bei der Geburt ihres ersten Kindes nicht entgegen sein wollen und dem Namen Jean zugestimmt, indem er sich vornahm, sich bei der möglichen Ankunft eines weiteren Sprößlings dafür zu entschädigen.
Und so wurde der zweite Sohn Alexander getauft, nachdem er beinahe zu den Namen Hamilkar, Attila oder Hannibal gekommen wäre. Zur vertraulichen Abkürzung aber hieß man ihn Xander.
Nach dem ersten und dem zweiten Knaben hatte die Familie sich um ein kleines Mädchen vermehrt, welches Frau Cascabel gern Hersilla genannt hätte, welches aber zu Ehren des Märtyrers von Sankt Helena den Namen Napoleone erhielt.
Napoleone zählte derzeit acht Jahre. Sie war ein niedliches Kind, welches sehr hübsch zu werden versprach und das Versprechen auch wirklich hielt. Blond und rosig, mit lebhaften und beweglichen Zügen, sehr graziös und sehr geschickt, war sie bereits in alle Geheimnisse des Seiles eingedrungen; ihre Füßchen glitten und trippelten auf dem Drahtseil dahin, als ob das leichte kleine Ding von Flügeln gehalten würde.
Selbstverständlich war Napoleone der verhätschelte Liebling der Familie Alle beteten sie an und sie war auch anbetungswürdig. Ihre Mutter gefiel sich in dem Gedanken, daß Napoleone eines Tages irgend eine glänzende Partie machen werde. Ist dies doch eine der mit dem nomadischen Gauklecleben verknüpften Chancen! Warum sollte Napoleone, wenn sie groß und hübsch geworden, nicht einem Prinzen begegnen, der sich in sie verlieben und sie heiraten würde?
»Wie in den Märchen?« antwortete Herr Cascabel, der positiver angelegt war als seine Frau.
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