»Also, meine Freunde,« sagte er, als Jean seine Erzählung beendet hatte, »ist es Ihre Absicht, sich von Sitka aus nach der Beringstraße zu begeben?«
»Ja, Herr Sergius,« antwortete Jean, »und dieselbe zu passieren, sobald sie zufriert.«
»Sie haben da eine lange und mühselige Reise unternommen, Herr Cascabel!«
»Lang, ja, Herr Sergius! Wahrscheinlich auch mühselig! Was wollen Sie? Wir hatten keine Wahl. Und dann scheuen Gaukler keine Mühe; wir sind daran gewöhnt, durch die Welt zu streifen!«
»Unter diesen Umständen rechnen Sie wohl nicht darauf, noch heuer nach Rußland zu kommen?.«
»Nein,« antwortete Jean, »denn die Meerenge wird nicht vor den ersten Tagen des Oktober passierbar sein.«
»Immerhin,« meinte Herr Sergius, »ist es doch ein kühner und abenteuerlicher Plan.«
»Möglich,« antwortete Herr Cascabel; »aber wenn es keinen anderen Ausweg gab!. Herr Sergius, wir haben Heimweh!. Wir wollen nach Frankreich zurückkehren und wir werden es. Und da wir zur Zeit der Messen durch Perm, durch Nischni kommen werden. nun, so werden wir zusehen, daß die Familie Cascabel dort keinen allzu schlechten Eindruck macht.«
»Wohl; aber was für Hilfsquellen haben Sie?«
»Einige Einnahmen, die wir unterwegs gemacht und die ich durch zwei, drei Vorstellungen in Sitka zu vergrößern gedenke. Die Stadt feiert soeben die Annexion und ich bilde mir ein, daß das Publikum sich für die Leistungen der Familie Cascabel interessieren werde.«
»Meine Freunde,« sagte Herr Sergius, »es würde mir großes Vergnügen bereitet haben, meine Börse mit Ihnen zu teilen, wenn ich nicht beraubt worden wäre.«
»Sie sind nicht beraubt worden, Herr Sergius!« antwortete Cornelia lebhaft.
»Nicht einmal eines halben Rubels,« fügte Cäsar hinzu.
Und er brachte den Gürtel herbei, in welchem die ganze Habe des Herrn Sergius verwahrt war.
»Dann werden Sie die Güte haben, meine Freunde.«
»Nicht doch, Herr Sergius!« antwortete Herr Cascabel. »Ich möchte Sie durchaus keiner Geldverlegenheit aussetzen, um uns aus einer solchen zu ziehen.«
»Sie wollen nicht mit mir teilen?«
»Gewiß nicht!«
»Ah! diese Franzosen!« sagte Herr Sergius, indem er ihm die Hand bot.
»Es lebe Rußland!« rief der junge Xander.
»Und es lebe Frankreich!« versetzte Herr Sergius.
Es war gewiß das erste Mal, daß dieser doppelte Ruf auf jenen fernen Territorien Amerikas ausgetauscht wurde.
»Und jetzt haben wir genug geplaudert, Herr Sergius,« sagte Cornelia. »Der Arzt hat Ihnen Stille und Ruhe empfohlen, und Kranke müssen ihrem Arzte stets gehorchen.«
»Und ich werde Ihnen gehorchen, Frau Cascabel,« antwortete Herr Sergius. »Aber ich habe Ihnen noch eine Frage, oder vielmehr eine Bitte vorzulegen.«
»Ich stehe zu Diensten, Herr Sergius.«
»Es ist sogar ein Dienst, den ich von Ihnen erwarte.«
»Ein Dienst?«
»Da Sie sich nach der Beringstraße begeben, wollen Sie mir erlauben, Sie bis dahin zu begleiten?«
»Uns zu begleiten?«
»Ja!. Diese Reise wird meine Durchforschung Alaskas nach Westen hin vervollkommnen.«
»Und wir antworten Ihnen: Mit größtem Vergnügen, Herr Sergius!« rief Herr Cascabel.
»Unter einer Bedingung,« fügte Cornelia hinzu.
»Und welcher denn?«
»Daß Sie alles Nötige thun werden, um Ihre Gesundheit wieder zu erlangen. ohne Widerrede!«
»Da stelle ich auch eine Bedingung; nämlich, daß ich als Ihr Reisegefährte zu den Reisekosten beisteuern darf.«
»Wie es Ihnen beliebt, Herr Sergius!« antwortete Herr Cascabel.
So war denn die Sache zu allseitiger Befriedigung geordnet. Aber das Familienoberhaupt glaubte seinem Plane nicht entsagen zu sollen, einige Vorstellungen auf dem großen Platze von Sitka zu geben, - was ihm Ruhm und Profit zugleich eintragen mußte. Die ganze Provinz feierte die Annexion und die Belle-Roulotte hätte zu keiner günstigeren Zeit eintreffen können.
Selbstverständlich hatte Herr Cascabel das an Herrn Sergius verübte Attentat zur Anzeige gebracht, woraufhin der Befehl erteilt worden war, der Karnossschen Bande eifriger nachzuspüren.
Am siebzehnten Juni konnte Herr Sergius zum erstenmal ausgehen. Er befand sich viel besser und seine Wunde war dank der Behandlung des Doktor Harry zugeheilt.
Nun lernte er die übrigen Künstler der Truppe kennen: die beiden Hunde, die sich leise an seinen Knieen rieben, Jako, der ihn mit den ihm von Xander einstudierten Worten. »Wie geht's, Herr Sergius?« begrüßte, und endlich John Bull, dessen schönste Grimassen er freundlich entgegennahm. Sogar die beiden alten Pferde, Vermout und Gladiator, wieherten freudig, als er sie mit Zuckerstückchen regalierte. Von nun an zählte Herr Sergius zur Familie, so gut wie die junge Kayette. Er hatte bereits den ernsten Charakter, den emsigen Geist, die über seinen Stand hinausstrebenden Neigungen bemerkt, welche den ältesten Sohn auszeichneten Xander und Napoleone bezauberten ihn durch ihre Anmut und Lebhaftigkeit. Clou amüsierte ihn mit seiner gutmütigen ehrlichen Dummheit. Was Herrn und Frau Cascabel betrifft, so hatte er deren häusliche Tugenden bereits schätzen gelernt. Es waren entschieden Leute von Herz, mit denen er da zu thun hatte.
Man beschäftigte sich eifrig mit Vorbereitungen zur nahen Abreise. Man durfte nichts unterlassen, um den Erfolg dieser Reise auf einer Strecke von fünfhundert Meilen von Sitka bis zur Beringstraße zu sichern.
Das ziemlich unbekannte Land bot allerdings keine großen Gefahren, weder von wilden Tieren, noch von wandernden oder ansässigen Indianern; und man würde bei den verschiedenen, von den Beamten der Pelzgesellschaften bewohnten Faktoreien Halt machen können. Die Hauptsache war, sich mit dem täglichen Lebensbedarfe zu versehen, da die Hilfsquellen des Landes mit Ausnahme der Jagd gleich Null sein mußten.
Selbstverständlich besprach die Familie diese Fragen mit Herrn Sergius.
»Vor allem,« sagte Herr Cascabel, »müssen wir den Umstand im Auge behalten, daß wir nicht während der strengen Jahreszeit zu reisen brauchen.«
»Das ist ein Glück,« antwortete Herr Sergius, »denn der alaskische Winter ist grausam unterm Polarkreise.«
»Dann reisen wir auch nicht blindlings ins Land hinein,« fügte Jean hinzu. »Herr Sergius muß ein tüchtiger Geograph sein.«
»O,« erwiderte Herr Sergius, »in einem unbekannten Lande findet auch ein Geograph sich schwer zurecht. Aber mein Freund Jean hat sich mit seinen Landkarten bis hierher recht gut aus der Sache gezogen und so hoffe ich, daß wir auch zu zweien Erfolg haben werden. Überdies habe ich eine Idee, die ich Ihnen später mitteilen will.«
Sobald Herr Sergius eine Idee hatte, konnte es nur eine vortreffliche sein, und man ließ ihr volle Zeit, zu reisen, um sie dann in Ausführung zu bringen.
Da es ihm nicht an Geld gebrach, erneuerte Herr Cascabel seine Vorräte an Mehl, Schmalz, Reis, Tabak und insbesondere an Thee, welcher in Alaska in großen Mengen konsumiert wird. Dann kaufte er auch in der Niederlage der russischamerikanischen Gesellschaft Schinken, Rauchfleisch, Zwieback und Konserven ein. Angesichts der Zuflüsse des Youkon würde es unterwegs nicht an Wasser fehlen; aber dasselbe konnte durch einen kleinen Zusatz von Zucker und Cognac, oder eigentlich, »Wodka«, einer Art Branntwein, welche bei den Russen sehr beliebt ist, nur an Güte gewinnen. Daher versah man sich reichlich mit Zucker und Wodka. Was den Brennstoff betrifft, so nahm die Belle-Roulotte, trotzdem die Wälder denselben zu liefern hatten, eine Tonne vortrefflicher Vancouverkohle mit; nur eine Tonne, denn man durfte sie nicht zu schwer belasten.
Unterdessen hatte man in der zweiten Wagenabteilung einen Aushilfsverschlag angebracht, mit dem Herr Sergius sich begnügen wollte und der mit gutem Bettzeug versehen ward. Man kaufte auch Decken ein, sowie jene Hasenpelze, deren die Indianer sich im Winter soviel zu bedienen pflegen. Und für den Fall, daß man unterwegs genötigt wäre, das eine oder andere anzuschaffen, versah Herr Sergius sich mit jenen billigen Glasperlen, Kattunstoffen, Messern und Scheren, welche die gangbare Münze zwischen Händlern und Eingeborenen bilden.
Читать дальше