Vetter Benedict fühlte sich, da hier an Insecten kein Mangel war, für seine Person ganz glücklich. Er entdeckte zur größten Genugthuung in der Factorei eine Zwergbiene, die ihre Zelle in wurmstichigem Holze anbaute, dazu einen, Sphex«, der seine Eier in jene ihm nicht gehörigen Zellen, wie der Kuckuck in fremde Nester, ablegte, und er studirte sie, selbst ohne Brille und Loupe, so gut es eben anging. An Muskitos war nahe den Wasseradern auch kein Mangel, ja, diese zerstachen den Gelehrten bis nahe zur Unkenntlichkeit. Wenn Mrs. Weldon aber ihn fragte, warum er sich von den abscheulichen Insecten so zurichten lasse, antwortete er:
»O, Cousine Weldon, das ist eben ihr Instinct (dabei kratzte er sich, bis ihm Blutstropfen durch die Haut traten), deshalb darf man ihnen nicht böse sein!«
Eines Tages, es war am 17. Juni, wäre Vetter Benedict beinahe der glücklichste aller Entomologen geworden. Wir müssen das betreffende Abenteuer, welches so unerwartete Folgen haben sollte, indessen etwas eingehender erzählen.
Es mochte gegen elf Uhr Morgens sein. Eine geradezu unerträgliche Hitze zwang die Insassen der Factorei, sich in ihren Hütten versteckt zu halten, und auch auf den Straßen von Kazonnde begegnete man keinem einzigen Eingebornen.
Mrs. Weldon saß halbschlummernd neben dem kleinen Jack, der schon fest eingeschlafen war.
Selbst Vetter Benedict unterlag dem Einflusse dieser tropischen Temperatur und hatte auf seine Lieblingsjagd verzichtet – freilich nicht ohne großes Herzeleid, denn er hörte in den sengenden Strahlen der Mittagssonne eine ganze Welt von Insecten schwirren. Wohl oder übel hatte er sich jedoch in den kühlsten Winkel seiner Hütte zurückgezogen und auch ihn überwältigte fast der Schlaf bei dieser aufgezwungenen Siesta.
Da, als seine Augen sich schon halb schlossen, vernahm er ein Schwirren, eine Art unerträgliches Surren von Insecten, deren manche in der Secunde fünfzehn bis sechzehntausend Flügelschläge machen sollen, eine Angabe, welche jedoch schon die einfachsten akustischen Gesetze als weit übertrieben erscheinen lassen, da in jenem Falle ein weit höherer Ton hörbar werden müßte, als ihn irgend welche Insecten erzeugen.
»Eine Hexapode!« rief Vetter Benedict, der sofort wieder munter wurde und aus der horizontalen in die verticale Lage überging.
Daß es eine Hexapode sei, welche in der Hütte summte, unterlag wohl keinem Zweifel. Wenn Vetter Benedict einerseits sehr an Kurzsichtigkeit litt, so besaß er andererseits doch ein besonders scharfes Gehör, so daß er ein Insect von einem anderen schon an der Intensität des Summens zu unterscheiden vermochte, und das hier in Frage stehende erschien ihm gänzlich unbekannt, da dieses Geräusch nur von einem Riesen seiner Art herrühren konnte.

Mrs. Weldon saß halbschlummernd neben dem kleinen Jack. (S. 399.)
»Was für eine Hexapode mag das sein?« fragte sich Vetter Benedict.
Eifrig suchte er das Insect zu entdecken, was in Folge der Nichtbewaffnung seiner Augen sehr schwierig war, oder es an dem Schlagen seiner Flügel zu erkennen.

Es machte auf der äußersten Spitze dieses Gesichts-Appendix’ Halt. (S. 403.)
Sein Instinct als Entomolog flüsterte ihm zu, daß hier ein seltener Fang zu machen sei und daß dieses vom günstigen Zufall in seine Hütte verschlagene Insect nicht ein gewöhnliches sein könne.
Vetter Benedict erhob sich schweigend von seinem Lager. Er horchte. Ein schwacher Sonnenstrahl drang bis zu ihm. Da entdeckten seine Augen einen großen, schwarzen, hüpfenden Punkt, der nur nicht nahe genug kam, um für ihn erkennbar zu werden. Er hielt den Athem an und war entschlossen, wenn er irgendwo im Gesicht oder an den Händen einen Stich fühlte, sich nicht zu rühren, um seine Hexapode nicht zu verscheuchen.
Nach langem Hinundherfliegen setzte sich das summende Insect auf seinen Kopf. Vetter Benedict’s Mund erweiterte sich einen Augenblick zu einem Lächeln, und zu welchem glückseligen Lächeln! Er fühlte, wie das leichte Thier über seine Haare spazierte. Schon ergriff ihn das kaum widerstehliche Verlangen, mit der Hand nach jenem zu haschen; doch er beherrschte sich und that wohl daran.
»Nein, nein! dachte er; ich würde es verfehlen oder, noch schlimmer, ihm gar ein Leid zufügen! Sieh da, wie es marschirt! Es steigt abwärts. Ich fühle seine niedlichen Füße auf meinem Schädel! Das muß eine wohlgebildete Hexapode sein. Du himmlische Güte, gieb nur, daß sie zur Spitze meiner Nase herabklettert und dort ein wenig verweilt, damit ich sie sehen und vielleicht bestimmen kann, wohin sie nach Ordnung, Familie, Art oder Unterart gehört!«
So dachte Vetter Benedict. Aber der Weg war weit von seinem etwas spitzen Schädel bis zum Ende der etwas langen Nase. Und wie viele andere Wege konnte das launische Insectwählen, wie nach der Gegend der Ohren oder des Hinterhauptes, wobei es der eifrige Gelehrte im ganzen Leben nicht zu Gesicht bekommen hätte, ganz abgesehen von der Möglichkeit, daß es jeden Augenblick wieder auffliegen, die Hütte verlassen und in den blendenden Sonnenstrahlen verschwinden konnte, wo es sonst mitten im Geschwirr und Gesumm seiner Brüder und Verwandten, das lockend von draußen ertönte, sein kurzes Leben vertändelte.
Vetter Benedict verhehlte sich das Alles nicht. Nie hatte er während seiner Entomologen-Laufbahn so erwartungsvolle Minuten durchlebt. Da krabbelte eine afrikanische Hexapode von unbekannter Art, Abart oder Unterabart auf seinem Haupte herum, und er konnte sie nur unter der einzigen Bedingung zu Gesicht bekommen, daß jene sich herbeiließ, auf einen Zoll Entfernung vor seinen Augen vorüberzulaufen.
Vetter Benedict’s heißer Wunsch sollte jedoch erfüllt werden. Nachdem das Insect auf dem ziemlich struppigen Haupthaar wie auf einem wild aufgeschossenen Gebüsch umhergewandelt war, kletterte es den Stirnabhang des Gelehrten hinab, der nun wirklich Hoffnung schöpfte, daß es sich auf den Gebirgskamm seiner Nase hinaus begeben werde. Einmal auf diesem Kamme, warum sollte es dann nicht auch bis zu dessen frei auslaufendem Ende marschiren?
»Ich an seiner Stelle, ich ginge bis dahin!« dachte der würdige Gelehrte.
Weit richtiger wäre freilich, daß an Stelle Benedict’s jeder Andere sich einen derben Schlag vor die Stirn gegeben hätte, um das stechende Insect zu zermalmen oder doch in die Flucht zu jagen. Sechs Füße so auf der eigenen Haut dahinspazieren zu fühlen – von der Furcht vor einem empfindlichen Stiche ganz zu schweigen – ohne auch nur die leiseste Bewegung zu machen, dazu gehört gewiß auch ein specieller Heldenmuth. Der Spartaner, der seine Brust von einem Fuchse verzehren ließ, der Römer, der seine Hand dicht über glühende Kohlen hielt, bedurften dabei keiner größeren Selbstbeherrschung als Vetter Benedict, der ohne Zweifel von jenen beiden Helden abstammte.
Nach vielfachen kleinen Umwegen kam das Insect am oberen Theile der Nase an. Einen Augenblick zauderte es, wodurch dem Vetter Benedict schon alles Blut nach dem Herzen getrieben wurde. Kehrte die Hexapode jetzt etwa nach oben zurück oder bewegte sie sich weiter nach abwärts?
Sie stieg bergab. Vetter Benedict fühlte die behaarten Füßchen schon auf seiner Nasenwurzel. Das Insect wich weder nach rechts noch nach links ab. Es hielt sich zwischen den beiden leise zitternden Nasenflügeln, auf dem leicht gebogenen Kamm dieser Gelehrten-Nase, welche zum Tragen einer Brille wie geschaffen schien. Es überschritt den kleinen, durch den fortwährenden Gebrauch genannten optischen Instrumentes eingedrückten Graben und machte wirklich auf der äußersten Spitze dieses Gesichts-Appendix’ Halt.
Читать дальше