Der Staat Missouri bildete früher nur einen Bezirk von Louisiana, ist aber seit seiner Aufnahme in die Union (1821) selbstständig geworden Saint-Louis selbst war 1764 von Franzosen gegründet worden.
Von diesem Staate wären nicht weniger als elf Städte wegen ihrer Bedeutung für Handel und Industrie zu nennen, und drei davon zählen schon über hunderttausend Seelen. Die eine, Kansas, gegenüber dem zum gleichnamigen Staate gehörenden Kansas City, war schon, wie wir wissen, von Max Real bei seiner ersten Reise besucht worden, als er den Missouri bis zu dieser Doppelstadt hinabfuhr. Es giebt aber auch noch andere, wie Jefferson City, den Regierungssitz des Staates, das wegen seiner malerischen Lage auf einer das Missourithal beherrschenden Terrasse die Aufmerksamkeit der Touristen in hohem Grade verdient.
Die erste Stelle nimmt indeß Saint-Louis ein, das sich zehn Meilen (16 Kilometer) weit am Ufer des großen Stromes hinzieht. Diese Metropole hieß ehemals Mount City, weil sie von einer Kette weißer Kalksteinberge umgeben ist. Ihre Bodenfläche ist um ein Viertel größer als die von Paris, und dabei sind mit ihr halb verwachsene städtische Gemeinwesen, wie East-Saint-Louis. Brooklyn, Cahokia und Prairie du Port, die freilich zum Staate Illinois gehören, noch nicht einmal eingerechnet.
Das war also die Stadt, die das frühere Mitglied des Excentric Club für die Theilnehmer am Match zum Gefängniß – das freilich die ganze Stadt umfaßte – ausersehen hatte. Von einer Einkerkerung in geschlossene Mauern war dabei natürlich keine Rede. Nein, Lissy Wag brauchte keine Gemeinsamkeit mit Verbrechern zu fürchten, Jovita Foley und sie sollten ihrer Freiheit nicht verlustig gehen. Sie behielten volle Bewegungsfreiheit in der schönen Stadt mit achtzehn Parken, von denen einer nicht weniger als fünfundfünfzig Quadratkilometer (fast eine geographische Quadratmeile) mißt.
Die beiden Freundinnen hatten sich also ein Unterkommen zu suchen, und am Nachmittage des 11. bezogen sie zusammen ein Zimmer im Cleveland Hotel.
»Na, da wären wir ja in dem schrecklichen Gefängniß, rief Jovita Foley, doch ich gestehe, für ein schreckliches Gefängniß erscheint mir Saint-Louis sehr angenehm.
– Ein Gefängniß bleibt es dennoch, Jovita, so lange einem nicht erlaubt ist, es zu verlassen.
– O sei nur ruhig, mein Schatz, wir kommen beizeiten wieder heraus!«
Jovita Foley hatte – zugleich mit ihrem natürlichen Frohsinn – seit der Zusendung der dreitausend Dollars ihre frühere Zuversicht gänzlich wiedergewonnen. Das verdankte sie dem wackeren Humphry Weldon, und noch an demselben Tage war der Erlös aus dem Check an die Ordre des Meisters Tornbrock in Chicago eingesendet worden.
Dieselbe Zuversicht erfüllte bis jetzt freilich noch nicht wieder die Kreise der Wettlustigen und die Vertreter der Agenturen. Obwohl die Tageszeitungen von Saint-Louis die Anwesenheit der fünften Partnerin im Cleveland Hotel gemeldet hatten, stellte sich kein Interviewer hier ein. Was konnte man auch von Lissy Wag erwarten, die das Pech gehabt hatte, in das Feld von Missouri zu gerathen?
Und doch sollte diese Hast vielleicht eher, als jemand erwartete, zu Ende sein. Morgen am 12. wurde ja wiederum gewürfelt und das wiederholte sich bekanntlich alle zwei Tage.
»O, wer weiß… wer weiß?« rief Jovita Foley in einem fort.
Die beiden Freundinnen benutzten nun ihre Mußezeit am Nachmittag zum Besuche einiger Theile der Stadt, die eine Bodensenkung, parallel mit dem Bett des Mississippi, in zwei ungleiche Hälften trennt. Die prächtigen Läden der Hauptstraßen, mit ihren kostbaren Schmucksachen und herrlichen Kleiderstoffen nebst schönsten Pelzwaaren, boten ihnen eine unvergeßliche Augenweide. Vorzüglich Kürschnerwaaren gab es hier in reicher Auswahl, was bei dem häufigen Vorkommen von Opossums, Damwild, Füchsen, Moschuskatzen und Wolverenen im Lande, womit die hiesigen Indianer starken Handel treiben, ja nicht zu verwundern ist. Außerdem finden sich viele Bisonochsen und Büffel auf den weiten Prairien in der Nachbarschaft des Stromes, auf welche Herden von Wölfen unablässig Jagd machen.
Kurz. dieser Tag war nicht verloren zu nennen.
Am nächsten Morgen erweckte ihre Ungeduld Jovita Foley schon sehr früh, da Meister Tornbrock an diesem Tage, dem 12. Juni, wieder würfeln sollte.
Sie ließ Lissy Wag ruhig schlummern und ging aus, um darüber etwas zu erfahren.
Zwei Stunden… zwei volle Stunden blieb sie aus, doch welches Erwachen hatte die fünfte Partnerin, die beim Geräusch einer heftig aufgeschlagenen Thür und bei dem Hereinstürmen Jovita Foley’s erschreckt emporschnellte.
»Befreit, meine Liebe, befreit! rief diese jubelnd.
– Was sagst Du?…
– Acht, durch fünf und drei Augen. Er hat sie…
– Er…?
– Und da er sich im vierundvierzigsten Felde befand, kommt er damit nach dem zweiundfünfzigsten!
– Welcher, Er’ denn?
– Und da das zweiundfünfzigste Feld das Gefängniß ist, hat er unseren Platz einzunehmen…
– Ja, aber wer in aller Welt?
– Max Real. mein Schatz… Max Real…
– Ach der arme junge Mann! antwortete Lissy Wag. Da wär’ ich lieber selbst hier geblieben.
– Das wäre mir…!« rief die triumphierende Jovita Foley, die bei dieser Bemerkung wie eine Gemse in die Höhe sprang.
Die Mittheilung war richtig. Der letzte Würfelfall setzte Lissy Wag in Freiheit. In Saint-Louis sollte an ihre Stelle Max Real treten und sie sollte dessen Platz in Richmond, Staat Virginien, einnehmen. Bis dahin war es eine Strecke von siebenhundertfünfzig Meilen (1207 Kilometer), eine Fahrt von fünfundzwanzig bis dreißig Stunden.
Um sich dahin zu begeben, hatte sie, vom 12. bis zum 20., mehr als genügend Zeit. Das hinderte aber ihre ungeduldige Gefährtin, die sich vor Freude kaum fassen konnte, nicht, sofort zu rufen:
»Nun also vorwärts…
– Nein, Jovita, nein, antwortete Lissy Wag bestimmt.
– Nein?… Und warum denn?
– Ich halte es für geboten, Herrn Max Real hier zu erwarten. Das sind wir dem unglücklichen jungen Manne schuldig.«
Jovita Foley beugte sich dieser Begründung, doch mit dem Vorbehalt, daß der neue Gefangene nicht über drei Tage zögern würde, die Schwelle seines Gefängnisses zu betreten.
Max Real traf jedoch schon am nächsten Tage, am 13., auf den Bahnhofe von Saint-Louis ein. Er sowohl wie die fünfte Partnerin schienen unter dem Einflusse einer Art Suggestion zu stehen, denn wenn diese ihn hier zu erwarten wünschte, beeilte sich jener, hier anzukommen, bevor sie abgereist wäre.
Arme Frau Real! Was mußte die vortreffliche Mutter empfinden bei dem Gedanken, daß ihr Sohn auf seinem so vielversprechenden Wege plötzlich angehalten worden war!
Max Real wußte natürlich aus den Zeitungen, daß Lissy Wag im Cleveland Hotel wohnte. So bald er sich hier einstellte, wurde er auch von den beiden Freundinnen empfangen, während Tommy in einem nahe gelegenen Hôtel die Rückkehr seines Herrn erwartete.
Mehr erregt, als sie durchblicken lassen wollte, trat Lissy Wag dem jungen Maler entgegen.
»Ach, Herr Real, sagte sie, wie bedauern wir Sie…
– Und aus vollem Herzen! fiel Jovita Foley ein, die ihn nicht im mindesten bedauerte und es nicht dahin bringen konnte, durch ihre Blicke einige Theilnahme auszudrücken.
– O nein, Miß Wag, antwortete Max Real, als er nach einem etwas zu schnellen Treppenaufstieg wieder zu Athem gekommen war, nein, ich bin nicht zu bedauern… wenigstens wünsche ich es nicht, da mir das Glück vergönnt worden ist, Sie zu befreien…
– Ach ja, da haben Sie recht! rief Jovita Foley, die diese ebenso freimüthige wie unangenehme Antwort nicht zu unterdücken vermochte.
– Halt, halt, Jovita! ermahnte sie Lissy Wag. Sie ist nicht überlegt genug, Herr Real, mir dürfen Sie dagegen glauben, daß es mich tief bekümmert…
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