Nach der ersten Viertelstunde waren, wie Will Stanton, der die Meilensteine des Weges im Auge behielt, ansagte, die ersten fünf Lieues (19∙49 Kilometer) überwunden, und es bedurfte also nur der Einhaltung des bisherigen Tempos, um das Ziel einige Minuten vor zwölf Uhr zu erreichen.
Wenn sich der Fahrt erst kein Hinderniß entgegenzuthürmen schien, so änderte sich das leider bald, als das Triplett über eine weite Ebene flog, indem sich plötzlich ein wüthendes Geheul vernehmen ließ.
Robert Flock that unwillkürlich einen Schrei, wobei er die Federspule aus dem Munde verlor.
»Coyolten! rief er, Coyolten!«
In der That handelte es sich um Coyolten, um etwa zwanzig jener schrecklichen Prairiewölfe. Jedenfalls von Hunger gequält, sprangen die gefährlichen Thiere auf das Triplett schneller zu, als dieses entweichen konnte.
»Haben Sie einen Revolver zur Hand? fragte Will Stanton, ohne die Schnelligkeit der Fahrt zu vermindern.
– Ja, antwortete Harris T. Kymbale.
– Halten Sie sich bereit, Feuer zu geben… und auch Du, Flock, mit dem Deinigen… Ich muß die Steuerung behalten. Wir wollen aber alle drei kräftig in die Pedale treten, vielleicht gelingt es doch, der Meute zu entfliehen.«
Ihr entfliehen?… Es zeigte sich bald, daß das unmöglich war.
In tollen Sprüngen jagten die Coyolten dem Triplett nach, begierig, sich auf den Reporter und seine Begleiter zu stürzen, die rettungslos verloren waren, wenn sie zum Stürzen kamen.
Da krachten zwei Schüsse, und tödtlich getroffen kollerten zwei Wölfe heulend auf die Straße. Nur noch wüthender stürzten die anderen auf die Maschine zu, die ihrem Anprall nur durch eine scharfe Wendung ausweichen konnte, welche Harris T. Kymbale beinahe aus dem Sattel geschleudert hätte.
»Fest treten!… Fest!« rief Will Stanton.
Die Ketten spannten sich so straff an, daß die Zähne des Uebersetzungsrades knirschten und zu brechen drohten.
In der zweiten Viertelstunde waren weitere fünf Lieues zurückgelegt. Mehr als vorher galt es aber jetzt, sich gegen die Coyolten zu wehren, die nach den Radnaben sprangen und deren Krallen an den stählernen Speichen kratzten. Die Revolver wurden bis zur letzten Patrone abgefeuert, und von der auf die Hälfte verminderten Herde lagen etwa ein Dutzend Wölfe verendet auf der Straße.
Da gelang es Harris T. Kymbale, der die Lenkstange losließ, seinen Revolver aufs neue zu laden, und seine nächsten sechs Schüsse trieben die noch übrigen Coyolten glücklich in die Flucht.
Es war jetzt elf Uhr fünfzig Minuten. In der Entfernung von etwa zwei Lieues tauchten die ersten Häuser von Olympia auf.
Das Triplett durchflog diese Strecke mit der Schnelligkeit eines Expreßzuges, erreichte die Stadt und sauste durch diese, alle Polizeivorschriften nicht beachtend und auf die Gefahr hin, einen der fünftausend Stadtbewohner zu zermalmen, im gleichen Tempo bis zur Postanstalt, wo es ankam, als es vom Thurme eben zwölf zu schlagen anfing.
Harris T. Kymbale sprang zur Erde. Zu Tode erschöpft, kaum noch zu athmen fähig, theilte er die Menge der Neugierigen, die das Eintreffen des vierten Partners erwarteten, und stürzte in den Vorraum, als die Uhr eben den zehnten Schlag that.
»Ein Telegramm für Harris T. Kymbale… rief der Beamte am Telegraphenschalter.
– Hier!« antwortete der Hauptberichterstatter der »Tribune«, der darauf bewußtlos auf eine Bank niedersank.
Dank der Opferwilligkeit und der Energie seiner Gefährten, war der Günstling des heiligen Cycle noch rechtzeitig eingetroffen. Die Herren Will Stanton und Robert Flock aber hatten – mit fünfzehn Lieues in sechsundvierzig Minuten und dreiunddreißig Secunden – den bestehenden Weltrecord glänzend verbessert!
Elftes Capitel.
Das Gefängniß von Missouri.
Am 6. Juni im Mammoth Hotel war es, wo Lissy Wag nach sechstägigem Aufenthalt an den Höhlen von Kentucky die ihr so verderbliche Meldung erhalten hatte. Der Wurf von sieben, durch vier und drei, und diese Augenzahl verdoppelt, verwies sie nach dem zweiundfünfzigsten Felde, nach Missouri.
Die Reise dahin war ja weder beschwerlich noch lang, da die beiden Staaten an einer Ecke, bei Cairo, aneinanderstoßen. Die Entfernung von den Mammuthhöhlen bis Saint-Louis betrug nur zweihundertfünfzig Meilen (402 Kilometer) und erforderte nicht mehr als acht bis zehn Stunden Bahnfahrt. Doch welche schlimme Nebenumstände knüpften sich daran!
»O über das Unglück! rief Jovita Foley. Um wie viel besser wäre es, wie der Commodore Urrican nach dem Ende von Florida, oder wie Herr Kymbale tief nach Washington hineingeschickt zu werden! Mindestens wären wir da von der abscheulichen Partie nicht ausgeschlossen gewesen!
– Ja… der abscheulichen, das ist das rechte Wort, meine arme Jovita! antwortete Lissy Wag. Warum hast Du sie aber auch mitspielen wollen?…«
Das trostlose junge Mädchen gab keine Antwort, und was hätte sie auch sagen sollen? Wollte sie selbst den Match noch immer nicht aufgeben, noch nach Missouri fahren und dort abwarten, bis ein anderer Partner, infolge eines für ihn unglücklichen, für sie aber glücklichen Wurfes, dahin käme, Lissy Wag aus dem Gefängnisse zu befreien und ihren Platz einzunehmen, so wäre das nur unter der Bedingung möglich gewesen, daß ein dreifacher Einsatz in die Büchse erlegt wurde, deren Inhalt dem als zweiten Ankommenden zufallen sollte. War sie denn im Besitz dieser dreitausend Dollars?… Nein… Würde sie sie beschaffen können?… Ebensowenig.
Nur einzelne Personen, die sehr viel auf sie gesetzt hatten, hätten Lissy Wag diese Summe wohl vorschießen können, wenn… ja, wenn sich nur die Aussichten der gelben Flagge nicht gar so sehr getrübt hätten. Als Hodge Urrican »das Todeslos« zog, konnte er wenigstens wieder von vorn anfangen. Selbst Hermann Titbury verließ am vorherbestimmten Tage das Gasthaus in Louisiana und nahm seine Fahrten wieder auf. Weder der eine noch der andere war für unbestimmte Zeit von dem Match ausgeschlossen, während die arme Lissy Wag…
»O über das Unglück! wiederholte Jovita Foley, die nichts als diese Klage mehr über die Lippen brachte.
– Nun… was fangen wir jetzt an? fragte ihre Gefährtin.
– Wir warten… wir warten, meine Liebe!
– Warten?… Auf was denn?…
– Das weiß ich selbst nicht. Uebrigens haben wir vierzehn Tage Zeit, ehe wir ins Gefängniß müssen…
– Nicht aber bis zum Bezahlen des Einsatzes, Jovita, und das setzt uns doch am meisten in Verlegenheit…
– Ach Gott… ja… Lissy… ja freilich. Laß uns indes warten…
– Hier?…
– Beileibe… nein!«
Dieses Jovita aus dem Herzen kommende »Nein« entsprach ganz dem veränderten Verhalten, das die Gäste des Mammoth Hotel jetzt Lissy Wag gegenüber erkennen ließen.
Das bedauernswerthe junge Mädchen sah sich durch den letzten unglücklichen Würfelfall plötzlich verlassen. Noch gestern Favoritin, war sie es seit heute Vormittag nicht mehr. Die Wettlustigen, die Stürmer im »Boom«, die fleißig auf sie gesetzt hatten, hätten sie jetzt lieber herzlos verwünscht. Ins Gefängniß, das arme Mädchen mußte in’s Gefängniß wandern, und die Partie ging voraussichtlich zu Ende, ehe sie daraus befreit wurde. Gleich von der ersten Stunde an wichen ihr alle aus. Das war Jovita Foley nicht entgangen, und es entsprach ja wohl der gewöhnlichen Menschennatur.
Kurz, von diesem Tage an zogen sich alle Touristen von ihnen zurück, und John Hamilton, der Gouverneur von Illinois, bereute es jetzt vielleicht nicht wenig, die beiden Freundinnen so offenkundig geehrt zu haben. Der Oberst Wag und der Oberstlieutenant Foley spielten fortan in der Miliz von Illinois natürlich nur noch eine recht traurige Rolle.
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