Die Depesche war lang, doch klar, alles berührend und unzweideutig. Der Empfänger hatte einfach ihren Vorschriften nachzukommen, und er würde am Stichtage auf seinem Posten sein, um die weitere Depesche, das Ergebniß des vierten Auswürfelns, in Empfang zu nehmen. Zu hoffen blieb freilich, daß keine Verzögerungen einträten, denn wenn diese auch nur einen halben Tag ausmachten, genügte es ja, den Erfolg der ganzen Reise zu gefährden.
Jedenfalls wollte Harris T. Kymbale seine Aufgabe mit allem Fleiße lösen. Die Nacht über hielt er sich in Omaha nur auf, weil der nächste Zug erst am Morgen abging. Zu diesem war er am Platze und am Abend stieg er in Julesburg-Jonction aus, an der Stelle, wo die Bahnlinie, nicht weit vom South Platte River, fast die Grenze von Colorado streift.
Diesmal hatte der Journalist von seinem Weggange aus Charleston nichts verlauten lassen, um allen Huldigungen und deren zuweilen bedenklichen Folgen aus dem Wege zu gehen. In Julesburg konnte er sein Incognito freilich nicht weiter bewahren, da hier der für ihn bestellte Wagen bei seinem Eintreffen schon auf ihn wartete.
Seine nach dem Bahnhofe zusammengeströmten Parteigänger begriffen indeß, daß sie ihn unter keinerlei Vorwand aufhalten dürften, daß die Stunden gezählt seien und die Fahrt nach dem Verrufenen Lande in Nebraska in bestimmt abgemessenem Zeitraum ausgeführt werden müsse. Sie waren also die ersten, dem Hauptberichterstatter der »Tribune« nach der Begrüßung auf dem Bahnhofe zu empfehlen, daß er sofort weiterfahren möge. Selbst ein Dutzend jener Anglo-Amerikaner, die mit Einwanderern und einer Anzahl Sioux Bürger der Vereinigten Staaten geworden waren und jetzt die nebraskische Bevölkerung bilden, hatten sich schon eingerichtet, ihn zu begleiten. In Landestheilen, wo man noch manchmal mit zweibeinigen und mit vierbeinigen Raubthieren zusammentrifft, war ein solches Geleit gewiß nicht zu verachten.
»Wie es Ihnen beliebt, meine Herren, erwiderte Harris T. Kymbale, der die sich ihm entgegenstreckenden Hände drückte, doch unter der Bedingung, daß der Wagen uns alle aufnehmen kann…
– Unsere Plätze darin sind vorbehalten… und wenn wir etwas zusammenrücken…« erklärte einer der begeisterten Anhänger.
Seiner Oberfläche nach nimmt Nebraska in der Union die fünfzehnte Stelle ein.
Der Platte oder Nebraskastrom durchzieht es von Westen nach Osten und ergießt sich bei Platte City in den Missouri. Nahe an dessen linkem Ufer verläuft der erwähnte Theil der Union Pacificbahn bis Julesburg-Jonction. Der aufblühende Staat betreibt mehr Landbau als Industrie, seine Bevölkerung nimmt schnell zu und seine Hauptstadt ist das tief im Innern gelegene Lincoln, das gleich im Jahre seiner Gründung zum Vorort des Staates erklärt wurde. Nebraska City, fünfzig Meilen (80 Kilometer) davon entfernt am Missouri gelegen, dient ihm als Hafenplatz.
Es war in der That beklagenswerth, daß Harris T. Kymbale auf dem Gebiete von Californien und von Oregon sich gezwungen sah, für die Strecke von Shasta bis Roseburg ein Reitpferd statt eines Wagens zu benutzen. An Prairien fehlt es nicht in dem sogenannten Great Band von Nebraska, das Waren 1857 und Cole 1865 zuerst näher erforschten. Nachdem der Wagen den Platte auf einer Fähre überschritten und das Fort Grattan hinter sich gelassen hatte, hätte man ihn nur sollen auf dem ebenen Boden hinrollen sehen. Es war ein transcontinentaler Postwagen, einer jener Overlandmails der Gesellschaft Wells und Fargo, die man früher auf dem Bundesgebiete sehr häufig sah, eine Art lebhaft roth angestrichener Landkutsche, die in Lederriemen hing. Sie enthielt nur einen Raum mit neun Plätzen, je dreien auf einer vorderen, einer mittleren und einer hinteren Bank, und hatte feste Halter an der Decke, an die sich die muthigen Reisenden anklammern konnten.
Der vierte Partner saß nebst acht seiner Parteigänger natürlich im Innern der Kutsche. Zwei andere von den letzteren hatten auf einem äußeren Sitz hinter dem Kutschkasten, und zwei weitere auf einem solchen vor diesem neben dem Kutscher Platz genommen, der seine sechs kräftigen Pferde mit verhängten Zügeln antrieb.
Eigentliche Straßen gab es hier nicht, nur Fährten, die von Lastwagen gezogen waren. Auf den endlosen Ebenen, wo ohne alle Schwierigkeiten Bahngeleise gelegt werden können, werden Straßen wohl auch später kaum gebaut werden. Dann und wann traf der Wagen auf Creeks in der Nähe der Raymond-und Colelagunen, wie den Bourdman und den Niobrara River, die an seichten Stellen leicht zu durchfahren waren, und auch auf einzelne Weiler, wo Wechselpferde bereitstanden.

New-Orleans. – Die Quais.
Am Abend des 8., nach achtundvierzigstündiger, von der Witterung begünstigter Fahrt, traf der Wagen im Gebiete des Verrufenen Landes ein. Hier gab es keine Dörfer, sondern nichts als Prairien, wo die Pferde Futter im Ueberfluß fanden. Für die Bedürfnisse Harris T. Kymbale’s und seiner Begleiter war ebenfalls reichlich gesorgt, denn die Wagenkasten enthielten eine große Menge seiner Conserven und für belegte Brodschnitte gab es Whisky und Gin mehr als genug.
Nach einer unter einer Baumgruppe verbrachten Nacht ließ man den Wagen unter der Obhut des Kutschers zurück und stieg die ersten Abhänge eines wilden Thalgrundes hinab.
William I. Hypperbone hatte wirklich sehr recht daran gethan, diese Gegend von Nebraska zum Labyrinth seines zweiundvierzigsten Feldes zu erwählen.
Zwischen den letzten Bodenwellen der Felsenberge und in der Nähe der Black Hills zieht sich die von Coniferen erfüllte, sechsunddreißig Meilen (60 Kilometer) breite und fünfundachtzig Meilen (136 3/ 4Kilometer) lange Bodensenkung hin, die bis zum Gebiete von Dakota heranreicht. Ueberall thürmen sich runde Kuppen übereinander, die von tausend Pyramiden, Nadeln, Pinakeln und steinernen Glockenthürmen überragt werden. Das ganze Gebiet der Bad Lands ist wirklich ein richtiges Labyrinth, das auf Tausenden von Quadratmeilen mit Schichten von thonigem oder eisenhaltigem Sandboden mit Gehölzen, Säulen und prismatischen Felsenpfeilern bedeckt ist. Da und dort glaubt man Bastionen, Forts und Schlösser zu erblicken, deren rothe, backsteinähnliche Färbung sie scharf von dem durchweg weißen Erdboden abhebt.
Von diesem Winkel Nordamerikas könnte man sagen, daß er eine Welt für sich bildet. In vorgeschichtlichen Zeiten lebten hier auch ganze Herden von Elefanten, Mammuththieren und riesigen Mastodons, deren Skelette man noch heute entweder durch Versteinerung erhalten oder halb zu Staub zerfallen auffindet.
Es scheint eine annehmbare Hypothese zu sein, daß diese Bodensenke einstmals mit Wasser aus den Felsenbergen und den Black Hills angefüllt gewesen sei, das freilich längst durch Risse in den Erdboden eingedrungen ist, denn die ganze Gegend liegt beträchtlich höher als die Meeresfläche. Nach Entleerung des Beckens ist dieses dann zum Beinhaus geworden, worin sich fossile Ueberreste in überraschender Menge angesammelt haben.
Die Fauna der Gegenwart – die übrigens wenig zahlreich ist, weil es hier für Thiere arg an Nahrung mangelt – besteht aus Bisonochsen, langhaarigen Büffeln, aus Schafen mit großen Hörnern und einzelnen graziösen Antilopen. Auf eine stärkere Jagdbeute ist indeß nicht zu rechnen. Harris T. Kymbale und seine Gefährten kamen kein einzigesmal zum Schuß. Ueberhaupt führten sie Feuerwaffen weit mehr mit sich, um sich gegen umherschweifende Banden von Sioux-und Dakotaindianern zu vertheidigen oder die Angriffe von Coyolten, das sind Prairiewölfe, abzuwehren, deren heiseres Gebell in der verflossenen Nacht zu hören gewesen war.
Von einem tiefen Eindringen in die verschlungenen Gänge des Labyrinths war übrigens keine Rede. Es genügte schon, daß der vierte Partner am Eingange zu den Bad Lands in Person erschienen und daß seine Anwesenheit durch eine authentische Bestätigung erwiesen war. Man nahm sich nicht einmal die Mühe, hier ein Schriftstück zu vergraben, wie es der Commodore vor seinem Weggange vom Thale des Todes gethan hatte. Es wurde aber ein solches nach dem Entwurfe von Harris T. Kymbale aufgesetzt und mit den Unterschriften seiner zwölf Begleiter versehen, und das mußte ja genügen, seine Anwesenheit in diesem Theile Nebraskas zu beweisen. Im Schatten der Baumgruppe wurde noch ein letztes Mahl eingenommen, das durch viele und jubelnd aufgenommene Toaste seine besondere Würze erhielt.
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