Hier galt es aber, sich wohl oder übel zu unterwerfen. Das Excelsior Hotel aufgeben, hieß die Partie aufgeben, an deren Vorschriften nicht zu deuteln war. Es wäre gleichbedeutend mit dem Verzicht auf jede Hoffnung, durch die mögliche Ererbung der Millionen des Heimgegangenen die bisherigen Unkosten ersetzt zu sehen.
Der Haushofmeister hatte sich eben mit weltmännischer Verbeugung zurückgezogen.
»Vorwärts! polterte Titbury heraus. Das Reisegepäck her und zurück nach Chicago! Hier bleib’ ich keine Minute länger… Die Stunde zu acht Dollars!…
– Seh’ mir einer!« antwortete die eigenwillige Matrone.
Die Stadt des Halbmondes – so nennt man die Hauptstadt Louisianas, die 1717 an einer Biegung des sie im Süden begrenzenden Stromes gegründet wurde, saugt sozusagen ganz Louisiana auf. Die anderen Gemeinwesen des Staates, Bâton-Rouge, Donadsonville und Shreveport zählen elf-bis zwölftausend Einwohner. Fünfzehnhundertvierundsiebzig Lieues (2237 Kilometer) von New York und fünfundvierzig (176 Kilometer) von der Mississippimündung gelegen, vereinigen sich hier neun Bahnlinien und fünfzehnhundert Dampfer vermitteln den Verkehr auf den Verzweigungen des Stromes. Da es die Stadt seit dem 18. April 1862 mit den Conföderierten hielt, wurde sie vom Admiral Farragut sechs Tage lang bombardiert und fiel darauf dem General Butler in die Hände.
In dieser Großstadt von zweihundertzweiundvierzigtausend Einwohnern vielfach gemischten Blutes, wo den Schwarzen zwar alle politischen Rechte gewährt sind, doch keine gesellschaftliche Gleichstellung zuerkannt ist, in diesem Rassengemisch von Franzosen, Spaniern, Engländern und Anglo-Amerikanern, in der Metropole eines Staates, der zweiunddreißig Senatoren und neunzig Deputierte zu wählen hat und im Congreß durch vier Mitglieder vertreten wird, hier, wo sich inmitten von Baptisten, Methodisten und Episkopalen ein katholischer Bischofssitz befindet, hier im Herzen von Louisiana sollte nun das aus seinem Hause in Chicago so unerwartet herausgerissene Titbury’sche Ehepaar ein Leben führen, von dem es sich früher auch nicht das geringste hatte träumen lassen. War es aber, da ein unseliges Geschick es einmal so wollte – abgesehen von der etwaigen Rückkehr nach Hause – nicht das Beste, für sein Geld nun auch etwas haben zu wollen? So dachte wenigstens der weibliche Theil des Paares.
Tag für Tag fuhren sie also in ihrer prächtigen Equipage stolz spazieren. Eine lärmende Menge begleitete sie mit spöttischen Hurrahs, denn jedermann kannte die Leute als Knicker, die sich weder in Great Salt Lake City noch in Calais Sympathie zu erwerben vermocht hatten, wie es in Chicago ja auch nicht anders der Fall war. Immerhin! Sie kümmerten sich darum nicht, und nichts hinderte sie, sich trotz allen Mißgeschickes für die großen Favoriten des Matches zu halten.
So zeigten sie sich – zu Wagen – in den Wards des Nordens, in den Vorstädten Lafayette, Jefferson und Carrolton, den eleganten Quartieren mit glänzenden Hôtels, Villen und Landhäusern, die unter dem grünen Dache von Orangenbäumen, Magnolias und anderen blühenden Bäumen halb verborgen lagen, und ebenso erschienen sie auf dem Lafayette-und dem Jacksonplatze. 1
Ein andermal lustwandelten sie auf dem festen, fünfzig Toisen breiten Damm, der die Stadt gegen Ueberschwemmung schützt, auf den Quais, an denen große und kleine Dampfer, Schleppschiffe, Segelfahrzeuge und Küstenfahrer in vier Reihen lagen und von wo jährlich bis zu siebzehnhunderttausend Ballen Baumwolle ausgeführt werden. Wer sich über diese Menge wundert, bedenke, daß der Handelsumsatz von New Orleans sich auf zweihundert Millionen Dollars beläuft.

Brücke von Saint-Louis über den Mississippi.
Ebenso sah man das Ehepaar in den Vororten Algiers, Gretna und Mac Daroughville, wohin man mittelst Ueberfahrt nach dem linken Ufer gelangt und wo die meisten Fabriken, Werkstätten und Lagerhäuser liegen.
In ihrem pomphaften Wagen ließen sie sich ferner durch die langen, eleganten Straßen fahren, die jetzt Ziegel-und Werksteinbauten umsäumen, welche an Stelle durch wiederholte Feuersbrünste zerstörter hölzerner Häuser getreten sind, und mit Vorliebe rollten sie durch die Königs-und Saint-Louisstraße dahin, die das französische Viertel rechtwinkelig durchschneiden. Hier bewunderten sie die reizenden Wohnstätten mit grünen Persiennes, mit ihren von Springbrunnen belebten Höfen, die mit den herrlichsten Blumenbeeten geschmückt sind.
Dann beehrten sie mit ihrem Besuche wieder das Capitol an der Ecke der genannten Straßen, ein altes Gebäude, das im Bürgerkriege zum Parlamentspalaste umgestaltet wurde und worin die Senatoren und Deputierten tagen. Für das Hôtel Saint-Charles, eines der bedeutendsten der Stadt, hatten sie dagegen nur ein Gefühl von Verachtung, das ja bei Gästen des unvergleichlichen Excelsior Hotel ganz erklärlich erscheint.
Gelegentlich besichtigten sie den architektonisch hervorragenden Universitätspalast, die rein gothische Kathedrale, das Zollhaus und die sogenannte Rotunde mit ihrem ungeheueren Saale. Hier findet der Bücherfreund eine reiche Auswahl von Lesestoff, der Flaneur einen Promenadenweg unter den offenen Galerien, der Speculant in Werthobjecten und Staatspapieren eine immer belebte Börse, wo die Makler der Agenturen fieberhaft umherschwärmten und die so oft wechselnden Curse der Theilnehmer am Match Hypperbone mit gellender Stimme ausriefen.
Dazwischen unternahmen sie auf ihrer eleganten Dampfyacht Ausflüge auf dem stillen Gewässer des Ponchartrainsees und bis nach den Mündungen des Mississippi.
Endlich sahen sie die Liebhaber großer lyrischer Tonwerke in der ihnen überlassenen Loge sitzen, wo sie die jedem musikalischen Verständniß verschlossenen Ohren pflichtschuldigst dem Orchester zuwendeten.
So lebten sie wie in einem Traume – doch welches Erwachen mußte das geben, wenn sie wieder in die nüchterne Wirklichkeit zurückkehrten!
Uebrigens hatte sich inzwischen doch etwas merkwürdiges ereignet. Die Geizhälse, die Knicker, die Filze gewöhnten sich an diese neue Lebensweise, sie wurden durch ihre abnorme Lage gleichsam betäubt, berauschten sich, im physischen Sinne des Wortes, an der stets verschwenderisch besetzten Tafel, wo sie auf die Gefahr von Gastratgien und einer Magenerweiterung für ihre späteren Tage hin keinen Bissen übrig ließen. Freilich mußten für jeden von beiden an das Excelsior Hotel täglich hundert gute Dollars entrichtet werden.
So verlief die Zeit, obwohl sich die Titburys darüber nur sehr unvollkommen Rechenschaft ablegten. Da ihr Aufenthalt im Gasthause dem Anscheine nach nicht unterbrochen werden sollte, mußten sie vierzehnmal die Vornahme des Auswürfelns in Chicago abwarten, ehe sie wieder berechtigt waren, weiter zu reisen. Von achtundvierzig zu achtundvierzig Stunden wurde das Ergebniß der »Ziehung« in der Rotunde ebenso bekannt gegeben wie im Auditorium selbst.
Das Auswürfeln vom 8. Juni hatte den Commodore Hodge Urrican, wie wir wissen, nach Wisconsin versetzt, und ebenso wissen wir, daß der geheimnißvolle X. K. Z. am 10. nach Minnesota geschickt worden war.
Niemals war Louisiana als nächstes Ziel bestimmt worden, weder am 12., wo für Max Real, noch am 14., wo für Tom Trabbe gewürfelt wurde. Am 16., wo nun Hermann Titbury an der Reihe gewesen wäre, wenn das Schicksal ihn nicht in das neunzehnte Feld verbannt hätte, wurde damit ausgesetzt. Am 18. hatte Meister Tornbrock die Würfel für den vierten Partner, Harris T. Kymbale, über die Tafel im Auditorium rollen lassen.
Waren die Ehegatten also verurtheilt, die für sie ebenso angenehme wie für ihren Geldbeutel verderbliche Existenz die vollen sechs Wochen fortzuführen. die ihr gezwungener Aufenthalt in Louisiana dauerte?…
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