Mit automatischer Regelmäßigkeit rollte um neun Uhr siebenundvierzig der Depeschenstreifen aus dem Apparate ab.
Er brachte eine verderbliche Nachricht.
Wie wir wissen, hatte Max Real heute, am 2. Juni, wo er bei seiner Mutter in Chicago weilte, den Ausfall des Würfelns erfahren, ebenso wie ihm einige Tage darauf die Anzahl der Augen bekannt werden mußte, die Harris T. Kymbale nach Norddakota, Lissy Wag nach Missouri und den Commodore Urrican nach Wisconsin hin wies.
So beklagenswerth der letzte Wurf für Titbury indeß auch war, so war er doch nicht weniger merkwürdig, und es mußte einer ein Pechvogel erster Sorte sein, in dieser Weise genasführt zu werden.
Man bedenke nur, die Würfel hatten – durch zwei und drei – fünf Augen ergeben, wodurch vom vierten Felde aus das neunte erreicht wurde. Das neunte Feld war aber Illinois, was eine Verdoppelung der Zahl fünf bedingte, und das vierzehnte Feld war wiederum Illinois, die fünf daher dreimal zu nehmen. Das ergab also fünfzehn Augen, die den betreffenden Spieler nach dem neunzehnten Felde, nach New Orleans in Louisiana verwiesen, das auf William I. Hypperbone’s Karte als Gasthaus bezeichnet war.
Wahrlich, mehr Unglück konnte einer gar nicht haben!
Verfolgt von den Scherzreden der Anwesenden, begaben sich Herr und Frau Titbury in ihr Hôtel zurück – freilich mit der Haltung von Leuten, die eben einen tüchtigen Keulenschlag auf den Schädel bekommen haben. Frau Titbury hatte aber ein festeres Schädeldach als ihr Eheherr, und blieb nicht, wie dieser, besinnungslos auf dem Platze.
»Nach Louisiana!… Nach New Orleans! rief Titbury, sich die Haare raufend. Ach, warum sind wir solche Tröpfe gewesen, diesen Wettlauf mitzumachen…
– Bei dem wir auch jetzt noch aushalten! erklärte Frau Titbury, die trotzig die Arme kreuzte.
– Wie?… Du denkst gar…
– Nach Louisiana abzufahren.
– Da haben wir aber mindestens dreizehnhundert Meilen (2092 Kilometer) zurückzulegen…
– Das werden wir auch noch fertig bringen.
– Wir haben da wieder einen Einsatz von tausend Dollars zu entrichten.
– So bezahlen wir ihn.
– Wir müssen auch zweimal würfeln lassen, ohne mitzuspielen.
– So spielen wir einfach nicht mit.
– Wir müssen uns aber gegen vierzig Tage in jener Stadt aufhalten, wo das Leben, nach allem, was man hört, entsetzlich theuer ist.
– So bleiben wir so lange dort!
– Wir haben aber kein Geld mehr…
– So lassen wir uns wieder etwas senden.
– Das will ich einmal nicht…
– Aber ich, ich will es!«
Kate Titbury hatte, wie man sieht, auf alles eine Antwort. In ihr lebte offenbar etwas von einer alten Spielerin, was jetzt neu aufflackerte. Freilich, die Luftspiegelung jener Millionen von Dollars, die sie lockte, sie berückte, hypnotisierte…
Hermann Titbury wagte keinen Widerspruch, der ja doch vergeblich gewesen wäre. Was er über die Folgen des letzten unglücklichen Wurfes gesagt hatte, war ja völlig richtig… dieser bedingte eine lange, kostspielige Reise, eine Fahrt durch die ganze Union von Nordwesten nach Südosten; dazu kam der theure Lebensunterhalt in der reichen Stadt New Orleans und der lange Aufenthalt daselbst obendrein, da die Spielregeln verlangten, hier zu warten, bis zweimal gewürfelt war, und erst dann in die Partie wieder einzutreten.
»Vielleicht, wendete Frau Titbury ein, sendet der Zufall beizeiten einen anderen Partner dahin, der dann an unsere Stelle tritt…
– Ja, wen denn? rief Titbury, sie sind uns doch alle weit voraus?
– Könnten sie denn nicht nach Ueberschreitung des Zieles wieder zurückgehen oder, wie der greuliche Commodore Urrican, die Partie gar von vorn anfangen müssen?«
Gewiß konnte dieser Fall sich ereignen; das Chicagoer Ehepaar hatte aber immerhin nur recht trübe Aussichten.
»Und um das Unglück voll zu machen, fuhr Titbury fort, dürfen wir uns das Hôtel, wo wir absteigen möchten, nicht einmal auswählen!«
Nach den Worten: neunzehntes Feld, Louisiana, New Orleans, enthielt das unselige Telegramm thatsächlich auch noch den Zusatz: Excelsior Hotel.
Hiermit war nicht zu rechten. Ob ersten oder zwanzigsten Ranges, dieses Hôtel hatte der befehlerische Verstorbene einmal als Absteigequartier vorgeschrieben.
»Wir gehen nach dem Excelsior Hotel… damit abgemacht!« begnügte sich Frau Titbury zu antworten.
Das war einmal die Art der ebenso entschiedenen wie geizigen Frau. Dennoch kränkte sie nicht wenig der Gedanke an die schon erlittenen Verluste, die dreihundert Dollars Strafe, an die gestohlenen dreitausend Dollars, die bisherigen laufenden Ausgaben, an die, die sich jetzt nothwendig machten, und an solche, die die Zukunft noch mit sich bringen könnte. Die Erbschaft allein glänzte vor ihren Augen, die diese fast verblendeten.
An Zeit, sich nach seinem Posten zu begeben, konnte es dem dritten Partner eigentlich nicht fehlen… er hatte dazu ja fünfundvierzig Tage übrig. Heute war der 2. Juni, und es genügte, wenn die grüne Flagge sich am 15. Juli in der Hauptstadt von Louisiana entfaltete. Jedenfalls konnte aber, wie Frau Titbury erwähnt hatte, ein anderer von den »Sieben« an dem einen oder dem anderen Tage ebendahin geschickt werden, und dann mußten sie eben im neunzehnten Felde verweilen, um diesem ihren Platz abzutreten. Besser war es also, seine Zeit nicht etwa in Great Salt Lake City zu verzetteln. Die Titburys beschlossen deshalb, sich sofort auf den Weg zu machen, sobald von der Fint National Bank in Chicago, Dearnborn and Monroe Streets, wo Titbury ein laufendes Conto hatte, das telegraphisch verlangte Geld eingetroffen wäre.
Diese Angelegenheit beanspruchte nur zwei Tage. Am Vormittage des 4. Juni konnte Titbury bei der Bank in Great Salt Lake City fünftausend Dollars erheben, die nun leider keine Zinsen mehr geben sollten.
Am 5. Juni verließen Herr und Frau Titbury, von niemand beachtet, Great Salt Lake City, leider auch ohne das Strickendchen, das vielleicht das Glück zu ihren Gunsten umgestimmt hätte, wenn Bill Arrol schon gehenkt gewesen wäre.
Die von den Partnern im Match Hypperbone überhaupt vielfach benutzte Union Pacificbahn brachte sie nun durch Wyoming nach Cheyenne, und dann durch Nebraska bis nach Omaha City.
Aus Sparsamkeitsrücksichten – die Fahrt war auf den Stromdampfern billiger als auf der Eisenbahn – gelangten die Reisenden auf dem Missouri nach der Stadt Kansas, ganz wie Max Real bei seiner ersten Fahrt. Von Kansas aus erreichten sie Saint-Louis, wo Lissy Wag und Jovita Foley nicht zögern sollten, ein Unterkommen zu suchen, um hier die Zeit ihrer Gefangenschaft abzusitzen.
Von den Fluthen des Missouri auf die des Mississippi überzugehen, das erforderte nur einen einfachen Wechsel der Schiffe. Dampfer giebt es auf diesen Strömen sehr zahlreich, und wer sich mit dem letzten Platze begnügt, kann darauf auffallend billig reisen. Versieht man sich dann an den Halteplätzen noch zu niedrigem Preise mit den nöthigen Nahrungsmitteln, so lassen sich die täglichen Ausgaben noch weiter einschränken. Das thaten natürlich Herr und Frau Titbury, indem sie angesichts der späteren Kosten eines vielleicht lange dauernden Aufenthaltes im Excelsior Hotel von New Orleans jetzt so viel wie möglich knauserten.
So nahm denn der Dampfer »Black Warrior« an Bord die beiden Ehegatten auf, die er nach der Hauptstadt Louisianas befördern sollte. Dazu hatte er nur dem Laufe des »Vaters der Gewässer« zwischen den Staaten Illinois, Missouri, Arkansas, Mississippi und Louisiana zu folgen, für die der gewaltige Strom eine mehr natürliche Grenze bildet, als die Längen-und Breitengrade, die sie an ihren anderen geodätischen Grenzen scheiden.
Es ist kaum zu verwundern, daß die prächtige Wasserader von mehr als viertausendfünfhundert Meilen (7240 Kilometer) Länge im Laufe der Zeit verschiedene Namen erhalten hat, z. B. Misi Sipi, d. h. in der Algonquinensprache »Großes Wasser«, ferner Rio d’El Spiritu Santo durch die Spanier; Colbert, in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, durch Cavelier de la Salle, endlich Buade durch den Forschungsreisenden Joliet, bis er unter der poetischen Feder Chateaubriand’s der Meschacebo wurde.
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