Als Secundanten dienten dem ersten John Milner, dem zweiten sein eigner Traineur. Liebhaber und Berufsboxer umringten die beiden, begierig den Vorstoß und die Abwehr der beiden Maschinen von vier Fäustekraft zu beobachten.
Kaum sind die Arme aber zum Kampfe. bereit, da erscheint der Sherif von Arondale, Vincent Bruck, begleitet von einem Geistlichen, Hugh Hunter, dem Methodistenpfarrer des Kirchspiels, einem eifrigen Vertreiber von gleichzeitig antiseptischen und antiskeptischen Bibelausgaben. Durch eine Indiscretion benachrichtigt, eilten beide nach dem geheimen Kampfplatze, um das unmoralische, menschenunwürdige Vorhaben, der eine im Namen der pennsylvanischen, der andere im Namen der göttlichen Gesetze, zu verhindern.
Natürlich fanden sie einen recht schlechten Empfang ebenso seitens der beiden Champions wie seitens der Zeugen und der Zuschauer, die nun einmal in diesen Sport vernarrt und bei dem bevorstehenden Kampfe mit Wetten betheiligt waren.
Der Sherif und der Geistliche versuchten zu sprechen… niemand wollte sie anhören. Sie wollten die beiden Gegner trennen… die anderen hinderten sie daran. Was konnten die Zwei auch ausrichten gegen so breitrückige, musculöse Kämpen, die scheinbar stark genug waren, sie mit einem Stoße zwanzig Fuß weit über den Boden hinzuschleudern?
Die beiden Störenfriede hatten freilich die geheiligte Amtswürde für sich. Sie verkörperten die irdische und die himmlische Autorität, hier fehlte ihnen aber die Unterstützung der Polizeigewalt, die ihrem Auftreten gewöhnlich Nachdruck verlieh.
Eben wollten Tom Crabbe und Cavanaugh, unbekümmert um die Amtspersonen, zur Offensive und zur Defensive übergehen.
»Halt! rief da Vincent Bruck.
– Oder nehmen Sie sich in acht!« setzte der Reverend Hunter hinzu.
Vergeblich; es erfolgten einige Fauststöße, die aber, dank einem gewandten Zurückweichen der Gegner, in die Luft gingen.
Da ereignete sich etwas, was geeignet war, erst die Ueberraschung und dann die Bewunderung derer, die davon Zeugen waren, zu erwecken.
Weder der Sherif noch der Geistliche waren von hohem Wuchse oder besonders kräftig gebaut; es waren zwei magere Männer von mittlerer Größe. Was ihnen aber an roher Kraft abging, das ersetzten sie, wie man sogleich sehen wird, durch Gewandtheit, Geschicklichkeit und Beweglichkeit.
In einem Augenblicke waren Vincent Bruck und Hugh Hunter auf die beiden Boxer zugesprungen. John Milner, der versucht hatte, den Geistlichen aufzuhalten, bekam eine meisterhafte Ohrfeige, die ihn halb bewußtlos zu Boden streckte.
Eine Secunde später wurde Cavanaugh mit einem Faustschlage beehrt, den ihm der Sherif aufs linke Auge versetzte, während Seine Hochehrwürden gleichzeitig Tom Crabbe das rechte Auge fast aus dem Kopfe schlug.
Die beiden Berufskämpfer wollten ihre Angreifer zu Boden hämmern; diese aber wichen ihrem Angriff, sich duckend und mit Affengeschwindigkeit hin und her springend, aus und entgingen auch den bestgezielten Streichen.
Von diesem Augenblick an – zu verwundern war es ja nicht, denn der Vorgang spielte sich vor einem Parquet von Sachkennern ab – ertönten laute Beifallsrufe, kräftige Hurrahs und Hipps nur noch für Vincent Bruck und Hugh Hunter.
Kurz, der Methodist erwies sich außerordentlich methodisch in seiner Weise, nach allen Regeln der Kunst vorzugehen, so daß er, nachdem er Tom Crabbe zum Einäugigen gemacht hatte, diesen auch noch zum Blinden machte, indem er dessen linkem Auge eine ebenso unsanfte Behandlung wie dem rechten angedeihen ließ.
Endlich zeigten sich auch mehrere Polizisten auf der Bühne, und nun erschien es am rathsamsten, schnell Fersengeld zu geben.
In dieser Weise endigte der denkwürdige Kampf zum Vortheil und zur Ehre eines Sherifs und eines Geistlichen, die ihn im Namen des Gesetzes und der Religion ausgefochten hatten.
Mit einer geschwollenen Wange und einem blaurothen Auge geleitete John Milner seinen Tom Crabbe nach Philadelphia zurück, wo sich beide in ihrem Zimmer einschlossen und in Erwartung der nächsten Depesche ihre Schande verbargen.
Neuntes Capitel.
Zweihundert Dollars täglich.
Einen Fetisch für das Titbury’sche Ehepaar?… Gewiß machte sich das Bedürfniß für einen solchen geltend, und wäre es nur ein Endchen des Stricks, mit dem der Räuber Bill Arrol gehenkt worden war… es wäre hochwillkommen gewesen. Doch, wie der Beamte in Great Salt Lake City erklärt hatte, man müsse ihn erst fangen, dann würde er gehangen… und das schien sich nicht so bald erfüllen zu sollen.
Dieser Fetisch, wenn er Hermann Titbury das Gewinnen der Partie gesichert hätte, wäre ja mit den ihm im Cheap Hotel gestohlenen dreitausend Dollars nicht zu theuer bezahlt gewesen. Vorläufig besaß die blaue Flagge aber kaum noch einen Cent, und wüthend und nicht weniger durch die ironischen Antworten des Sherifs verletzt, verließ deren Träger das Polizeiamt und suchte Frau Titbury wieder auf.
»Nun, Hermann, fragte diese, wie steht’s mit dem Schurken, dem elenden Inglis?
– Er heißt gar nicht Inglis, antwortete Titbury, auf einen Stuhl niedersinkend, sein wirklicher Name ist Bill Arrol…
– Ist er denn verhaftet?
– Das soll erst geschehen.
– Aber wann?
– Sobald man ihn erwischt hat.
– Und unser Geld?… Unsere dreitausend Dollars…
– Für die geb’ ich keine fünfzig Cents mehr!«

In ihrem Zimmer eingeschlossen, erwarteten sie die nächste Depesche. (S. 366.)
Jetzt sank Frau Titbury, eine Ruine, auf einem Armstuhle zusammen. Da die ausgezeichnete Frau aber alles schnell überwand, erhob sie sich bald wieder, und als ihr Mann, der in tiefster Niedergeschlagenheit dasaß, dann fragte:
»Was sollen wir nun beginnen?
– Abwarten!
– Abwarten… was denn?… Etwa daß dieser Bandit Arrol…
– Ach nein, Hermann, das Telegramm des Meister Tornbrock abwarten, das ja bald eintreffen muß. Nachher werden wir ja sehen…
– Doch woher Geld nehmen?…
– Wir haben Zeit genug, uns welches kommen zu lassen, und würden wir auch bis aus Ende der Vereinigten Staaten geschickt…
– Was mich bei dem Pech, das uns in allem verfolgt, gar nicht wundern würde.
– Komm, folge mir,« antwortete Frau Titbury entschlossen.
Beide verließen das Hôtel, um sich nach dem Telegraphenamt zu begeben.
Die ganze Stadt hatte inzwischen, wie man sich leicht denken kann, von den Mißgeschick des Titbury’schen Ehepaares gehört. Freilich schien Great Salt Lake City für die Leute nicht mehr Theilnahme zu empfinden, wie Calais, von wo diese geraden Weges herkamen. Doch es fehlte hier nicht allein an Theilnahme für sie, sondern auch an Vertrauen. Wer hätte je etwas auf Leute zu setzen gewagt, denen so unangenehme Dinge begegneten, auf Stiefkinder des Glücks, die nach zwei »Ziehungen« immer erst nach dem vierten Felde gelangt waren… auf solche Nachzügler, gegen die ihre Mitbewerber einen so großen Vorsprung hatten? Nicht fünfzig gegen eins wollten die Leute auf sie zu wetten wagen.
Hatten sich auch einige Personen im Vorraum des Postamtes eingefunden, als das Pärchen hier erschien, so waren das doch nur Neugierige, eigentlich mehr Spottvögel, die den »guten Letzten« – so nannte man den unglücklichen Titbury – im stillen auslachen wollten.

Philadelphia – Die Universität.
Sticheleien prallten an diesem jedoch ebenso ab, wie an seiner Gattin. Ihnen verschlug es wenig, ob sie von den Agenten hoch taxiert wurden oder nicht; wer weiß denn, vielleicht stiegen sie durch einen besonders glücklichen Wurf doch plötzlich noch im Curse. Bei Betrachtung seiner Landkarte hatte Titbury ausgerechnet, daß sie, wenn die Würfel etwa zehn Augen ergäben – eine Zahl, die, weil er mit dem vierzehnten Felde nach Chicago käme, verdoppelt werden mußte – mit einem Sprunge nach Michigan, dem Nachbarstaate von Illinois, kämen. Das wäre zweifellos der glücklichste Wurf, den sie sich nur wünschen konnten… doch würde dieser auch erfolgen?
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