Er hätte sich übrigens auch nicht über die Art und Weise zu beklagen gehabt, wie das Schicksal ihn als Tourist und als Spieler behandelte. Durch das erste Auswürfeln von zwölf Augen nach Neumexiko geschickt, war ihm jetzt durch zehn – vier und sechs – Augen das zweiundzwanzigste Feld, Südcarolina, an der Grenze des Bundesgebietes, und darin Charleston, dessen bedeutendste Stadt, als Ziel angewiesen. Es war ihm überdies nicht unbekannt, daß die Wettlustigen sich in den Agenturen um ihn rissen, daß er auf allen Märkten der Erde zum Satze von eins gegen neun »verlangt« war – ein Verhältniß, das seine Mitbewerber nie erreicht hatten – und daß man ihn überall als Hauptfavoriten erklärt hatte.
Glücklicherweise hatte der Reporter bei der Abfahrt aus Santa-Fé es nicht gehört, wie Isidorio, der höchst praktische Wagenführer, erklärte, er werde nicht fünfundzwanzig Cents auf ihn zu verwetten wagen, und folglich vertraute Kymbale nach wie vor ruhig seinem guten Sterne.
In der Zeit vom 21. Mai bis zum 4. Juni sollte er sich nach dem südlichen Carolina begeben, und da die Reise von der Station Clifton aus mittels Eisenbahn jedenfalls ohne Schwierigkeiten erfolgte, hatte er keine besondere Eile.
Harris T. Kymbale verließ Santa-Fé also am 21., und diesmal kam er mit einem reichlichen Trinkgelde davon und brauchte den neuen Kutscher nicht erst mit Hunderttausenden, nicht einmal mit Hunderten von Dollars zu ködern. Noch am Abend desselben Tages traf er in der Station Clifton ein, von wo aus das Dampfroß ihn nach Ueberschreitung des Breitengrades, der die Südgrenze des Staates Colorado bildet, in Denver, der Hauptstadt dieses Bundesstaates, absetzte.
Ohne Rücksicht auf die Bemerkung des ehrwürdigen Bürgermeisters von Buffalo, nach der er nicht sich selbst, sondern den Wettenden gehöre, die auf ihn gesetzt hätten. hielt Harris T. Kymbale hier folgendes Selbstgespräch und entwarf folgende Pläne:
»Da bin ich nun in einen der schönsten Theile der Union gekommen… mit den Felsengebirgen im Westen, im Osten mit den fruchtbarsten Ebenen, mit einem von Blei, Silber und Gold gespickten Erdboden, durch den Ströme von Petroleum hinfließen… nach einem Gebiete, nach dem sich Auswanderer durch seine Naturschätze und müßige Leute durch seine prächtigen Badeorte, die Heilsamkeit seines Klimas und die Reinheit seiner Atmosphäre gleichmäßig hingezogen fühlen!… Dazu kenne ich dieses herrliche Land noch nicht und habe jetzt die Gelegenheit, es kennen zu lernen. Kann ich wohl darauf rechnen, daß mich der Zufall im Verlaufe der Partie noch einmal hierher verschlüge?… Das ist doch gar zu unsicher. Nach Südcarolina zu gelangen, hab’ ich andererseits drei bis vier Staaten zu durchqueren, die ich bereits besucht habe und die mir nichts Neues zu bieten vermögen. Da ist es wohl am besten, die ganze mir verfügbare Zeit Colorado zu widmen, und das soll denn auch geschehen. Bin ich nur am Vormittage des 4. Juni in Charleston, so weiß ich nicht, was meine Partner gegen mich einwenden könnten. Uebrigens thu’ ich, was mir gefällt, und die, denen das nicht paßt, ei nun, die mögen…« u. s. w. u. s. w.
Statt also auf der Bahn, die von hier aus Oaklay, Topeka und Kansas verbindet, seine Reise fortzusetzen, bezog Harris T. Kymbale am 21. ein hübsches Hôtel in der Hauptstadt Colorados.
Immerhin verweilte er nur fünf Tage, bis zum Abend des 26., in diesem Staate. Ein Reporter ist jedoch – das wird niemand wundernehmen – im Stande, in so kurzer Zeit mehr auszurichten, als jeder andere Mensch in der doppelten Frist. Das ist eine Sache des professionellen Trainings. Zum Beweise dürfte es genügen, einen Blick auf die Blätter des Notizbuches zu werfen, dessen sich Harris T. Kymbale dann als Unterlage zu seinen Artikeln für die »Tribune« bediente.
»22. Mai. – Denver besichtigt. Elegante Stadt; breite, schattige Straßen prächtige Läden, ganz wie in New York oder Philadelphia; Kirchen, Bankhäuser, Theater, Concertsäle, große Universität für den Fernen Westen; ungeheuere Niederlagen; luxuriöse Hôtels und Restaurants. Café Français; vorzüglich gut daselbst.
Denver gegründet 1858 an der Vereinigung des Cheery Creek und des Platte River. 1859 gab es hier erst drei Frauen. Dasselbe Jahr das erste Kind geboren. Zwanzig Jahre später fünfundzwanzigtausend Einwohner. Anhaltende Einwanderung. Heute nahezu hundertsiebentausend Seelen.
Denver genannt die Unvergleichliche, die Stadt ohne Rivalin. Luft erster Wahl, Sauerstoff erster Sorte, bei viertausendachthundertzweiundsiebzig Fuß (1485 Meter) Meereshöhe. Große Bergkette des Colorado im Westen, siebentausendfünfhundert Fuß (2286 Meter) hoch, unten ganz grün, am Gipfel stets weiß. Rund um die Stadt viele Landhäuser. Gewinne ich die Partie, so baue ich mir eines am Ufer des Cheery Creek, einem reizenden Plätzchen für eine Villegiatur. Werde Wagen, Pferde, Hunde, weiße und schwarze Diener haben. Bin vom Gouverneur des Staates sehr gut aufgenommen worden. Hat mich ermuthigt und gelobt, auch – ich glaube nicht ohne Ursache – eine große Summe auf mich gewettet.«
»23. Mai. – Ausflug bis nach den zu Städten herangewachsenen Bergmannsdörfern Auroria, Golden City, Golden Gate und Oro City, lauter Namen von gutem, doch nicht so lautem Klange wie Leadville, die Stadt des Bleies, wo jährlich von diesem einundsiebzigtausend Tonnen aus der Erde geholt werden. Eine neuere Stadt, für mich, sie zu besuchen, zu fern.«
»24. Mai. – Mit der Eisenbahn bis Pueblo (südliches Colorado) längs des Fußes der großen Bergkette. Wichtiges Industriecentrum wegen der Steinkohlengruben und der Petroleumquellen. Kaufe eine oder zwei, wenn ich die Partie gewinne. Durch Colorado Springs, genannt die Stadt der Millionäre, gekommen; berühmt durch ihre warmen Quellen, von wirklichen oder angeblichen Kranken bereits viel besucht. Die Fontaine gesehen, das ist aber ein Fluß, der Colorado Springs durchzieht und sich bei Pueblo in den Arkansas ergießt, auch den merkwürdigen Monument Park mit seinen architektonischen Felsgebilden und seinem wunderbaren Panorama. Colorado steht in den Vereinigten Staaten an erster Stelle bezüglich der Ausbeute an Blei, an zweiter bezüglich der an Silber und Gold (jährlich über hundertzwanzig Millionen) und an dritter Stelle bezüglich seiner Oberfläche von hundertviertausend Quadratmeilen (299.500 Quadratkilometer).«
»25. Mai. – Zurückgekehrt aus der Schweiz – natürlich der amerikanischen – in der östlichen Verzweigung der Coloradokette; ebenso schön wie der Nationalpark von Wyoming und vielleicht schöner als die europäische Schweiz. Ich spreche freilich als Bürger der Vereinigten Staaten. Hier findet man im Norden, in der Mitte und im Süden unvergleichlich schöne Parke. Mit welchem Entzücken erinnere ich mich des Parks von Fair Play mit seinem Rahmen majestätischer Berge, auf die der vierzehntausend Fuß (4267 Meter) hohe Lincoln herniederschaut. Habe die Jumeauxseen bewundert in einer breiten, vom Arkansas durchströmten Thalschlucht, getrennt durch eine lange Moräne, der eine zweiundeinehalbe Meile (4 Kilometer) lang und anderthalb Meilen (1∙4 Kilometer) breit, der andere etwa halb so groß. Bliebe gern vierzehn Tage in dem guten Hôtel von Derry. Habe schon beschlossen, ein Landhaus in Denver und zwei Kohlengruben in Colorado mit meinen zukünftigen Millionen anzukaufen. Warum sollte ich mir den Besitz einer Sennhütte am Ufer der Twin Lakes versagen?…
Die großen Pics der Felsenberge gesehen, die der Sierra Madre im höchstgelegenen Theile Amerikas, die Urgesteinmassen, die sich auf einer Bodenfläche von dreihundertfünfundsiebzig Meilen (571 Kilometer) Seitenlänge aufthürmen. Außer Rußland könnte man fast die größten Staaten Europas darauf unterbringen. Das wahrhafte Rückgrat Nordamerikas, das mit seinen westlichen Ausläufern ein Viertel der Vereinigten Staaten bedeckt Nehmt die Alpen, die Pyrenäen und den Kaukasus zusammen, und das reichte noch nicht aus, die Felsengebirge aufzubauen!
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