Thatsächlich rollte der Zug in östlicher Richtung hinaus, in der, die Harris T. Kymbale einzuschlagen hatte, um nach Charleston zu kommen.
Dennoch hatte sich Hodge Urrican nicht geirrt… er kehrte nämlich nur nach der nächsten Station, Herculanum, zurück, wo Turk ihn erwartete. Wegen seines zurückgebliebenen Koffers war es nämlich zwischen dem Commodore und dem Bahnhofsvorsteher von Herculanum zu einer erregten Auseinandersetzung gekommen, zu einem Wortwechsel, in dessen Verlaufe Turk genanntem Vorsteher drohte, ihn in die Feuerbüchse einer seiner Locomotiven zu stecken. Sein Herr hatte ihn beruhigt; sofort benutzte dieser aber einen eben abgehenden Zug, um im Bahnhofe von Saint-Louis seine Reclamation persönlich anzubringen. Die Sache war leicht genug zu ordnen; der Koffer sollte telegraphisch verlangt und sofort nach Herculanum befördert werden, und in dem Augenblick, wo Hodge Urrican das Vorstandsbureau verließ, um auch nach Herculanum zurückzukehren, war es zu jenem Zusammenstoß mit dem Berichterstatter gekommen.
Da sein Gegner jedoch abgefahren war, schlug sich Harris T. Kymbale den ganzen Zwischenfall aus dem Sinne. Er begab sich nach dem European Hotel zurück, in dem er zufällig selbst abgestiegen war. Nach der Tafel unternahm er einen längeren Spaziergang durch die Stadt, und als er davon zurückkehrte, händigte man ihm einen Brief ein, der mit dem letzten Zuge von Herculanum gekommen war.
Wahrlich, es bedurfte eines chemisch zusammengesetzten Gehirnes wie dessen, das unter dem Schädeldache Hodge Urrican’s glühte, eine Epistel wie die nachfolgende aufzusetzen:
»Herr vierter Partner – Sie besitzen ohne Zweifel einen Revolver, so gut wie ich. Ich werde morgen früh um sieben den Zug benutzen, der von Herculanum nach Saint-Louis abgeht. Ich fordere Sie auf, zu gleicher Stunde den von Saint-Louis nach Herculanum gehenden Zug zu benutzen. Das ändert nichts weder an Ihrer Reiseroute noch an der meinigen.
Diese beiden Züge kreuzen sich um sieben Uhr siebzehn Minuten. Wenn Sie nicht der Mann sind, andere Leute nur zu stoßen, sie zu insultieren, ohne ihnen Genugthuung zu geben, so stehen Sie zum angegebenen Zeitpunkte, und zwar allein, auf dem hinteren Trittbrett des letzten Personenwagens vor dem Gepäckwagen, sowie ich mich auf dem Trittbrett des letzten Wagens meines Zuges befinden werde – da werden wir Gelegenheit haben, ein paar Kugeln zu wechseln.
Commodore Hodge Urrican.«
Man sieht es, immer der schreckliche Mann, und noch hatte er Turk nichts von dem vorliegenden Streite, noch von der Herausforderung gesagt, aus Furcht, die Sachlage weiter zu verschlimmern.
Um aber einen seiner würdigen Gegner zu finden, hätte er sich an keinen Besseren als an den Berichterstatter der »Tribune« wenden können. Dieser fühlte sich ganz auf der Höhe der Situation.
»Nun, wenn dieser Salzhäring sich etwa einbildet, daß ich vor ihm zu Kreuze krieche, rief er, so täuscht er sich gewaltig!… Ich werde zur angegebenen Zeit auf meinem Trittbrett ebenso stehen, wie er auf dem seinigen! Die grüne Flagge eines Journalisten senkt sich nicht vor der orangefarbenen Flagge eines Commodore!«
Man beachte hierzu wohl, daß in Amerika alle Dinge möglich sind und daß man über diesen seltsamen Zweikampf deshalb gar nicht zu staunen braucht.
Am folgenden Tage kurz vor sieben Uhr begab sich Harris T. Kymbale also nach dem Bahnhofe, um den Zug zu benutzen, der über Herculanum nach Columbus an der Grenze von Tennessee geht. Nachdem er einen Platz im letzten Personenwagen, der durch ein Trittbrett mit dem Gepäckwagen in Verbindung stand, gewählt hatte, setzte er sich hier seelenruhig zurecht. Siebzehn Minuten sollten ja noch verstreichen, ehe er sich nach dem Kampfplatz zu begeben hatte.
Die Luft war frisch, der Wind ziemlich stark, und so kam jedenfalls niemand der Gedanke, sich während der schnellen Fahrt außerhalb der Wagen aufzuhalten.
Der Waggon, worin Harris T. Kymbale saß, zählte nur zwölf Passagiere.
Als der Reporter zum erstenmale nach der Uhr sah, wies sie auf fünf Minuten nach sieben. Er brauchte also nur noch zwölf Minuten zu warten, und er wartete mit einer Ruhe, die seinem Gegner jedenfalls abging.
Um sieben Uhr vierzehn Minuten stand er auf, nahm auf dem Trittbrette Platz, zog den Revolver aus der Hosentasche, überzeugte sich, daß alle Kammern geladen waren und wartete nun der Dinge, die da kommen sollten.
Sechzehn Minuten nach sieben Uhr vernahm man vom anderen Geleise her ein zunehmendes Rollen – es kam von dem Zuge, der unter Volldampf von Herculanum heranbrauste.
Harris T. Kymbale erhob den Revolver bis zur Stirnhöhe, bereit, ihn in die Horizontale zu senken.
Die Locomotiven flogen aneinander vorüber und schleppten dichte Wolken weißen Dampfes hinter sich her.
Eine halbe Secunde später krachten gleichzeitig zwei Schüsse.
Harris T. Kymbale fühlte den Luftzug von einer Kugel, die seine Wange fast streifte und der er Schlag auf Schlag Antwort gegeben hatte.
Dann verloren sich beide Züge schnell in der Ferne.
Man darf nicht etwa glauben, daß die Passagiere des Waggons sich, weil sie zwei Schüsse hörten, etwa aufgeregt. hätten – nein, das war dazu nicht angethan. Auch Harris T. Kymbale nahm, ohne zu wissen, ob der Commodore im Fluge getroffen worden war, ruhig seinen Platz wieder ein.
Dann ging die Fahrt weiter nach Nashville, der jetzigen Hauptstadt von Tennessee am Cumberland River, einer gewerb-und handelsthätigen Stadt von sechsundsiebzigtausend Seelen, ferner nach Chattanooga, ein Name, der in der Cherokesensprache »Das Rabennest« bedeutet – und es ist auch ein strategisches Nest erster Ordnung, am Eingang der Pässe, durch die sich Sherman den Durchmarsch mit dem föderierten Heer erzwang. Von hier aus zog er damals durch den Staat Georgia, der seiner Lage wegen den Namen »Der Schlüssel zum Süden«, wie Pennsylvanien den »Der Schlüssel zum Norden«, erhalten hat.
Nach dem Secessionskriege ist Atlanta, zum Andenken an seinen langen Widerstand, zur Hauptstadt von Georgia erhoben worden. Die in mehr als hundertfünfzig Toisen Höhe und an der Mündung der gangbaren »Schluchten der Appalachen« gelegene Stadt erfreut sich des besten Gedeihens und ist jetzt auch die volkreichste des Staates.
Nachdem der Zug durch Georgia bis zur Stadt Augusta am Savannahflusse, wo sich große Baumwollspinnereien befinden, dahingeeilt war, gelangte er nach dem Gebiet von Südcarolina, vorüber an der Augusta gegenüberliegenden Stadt Hamburg, und hielt endlich an seinem Ziele Charleston an.
Am Abend des 2. Juni war es, wo der Reporter diese weitbekannte Stadt erreichte, und zwar von Santa-Fé in Neumexiko nach einer Fahrt von etwa fünfzehnhundert Meilen (2500 Kilometer) – einer Reise, bei der sich das feindliche Zusammentreffen mit Hodge Urrican abspielte.
Hier (in Charleston) berichteten die Zeitungen auch schon über die Passage der beiden Unzertrennlichen, des Commodore und Turk’s, durch Ogden am 31. Mai, wo diese sich in größter Eile nach den entlegenen Gebieten Californiens begaben.
»Wahrhaftig, so ist es ja am besten, sagte sich Kymbale. Ich bedauere es nicht, ihn gefehlt zu haben. Es ist ein Bär, sogar ein Seebär, doch immerhin ein Bär in Menschengestalt!«
Die Zeitungen enthielten übrigens keine Andeutung über das Duell auf der Bahnlinie, von dem nur die zwei Personen etwas wußten, die dabei eine Rolle gespielt hatten, und niemals würde, wenn nicht einer der beiden davon sprach… freilich, auf die Verschwiegenheit eines Lieferanten von interessanten Vorfällen zu rechnen…!
Auf den nahe der Küste von Südcarolina gelegenen Inseln war es, wo sich die ersten französischen Ansiedler niedergelassen hatten. Nimmt dieser Staat bezüglich seiner Ausdehnung auch nur die neunundzwanzigste Stelle unter den Bundesstaaten ein, so hat er doch nicht weniger als elfhundertzweiundfünfzigtausend Einwohner. Er ist reich durch seine langstapelige, seine Baumwolle, durch seine Ernten an vortrefflichem Reis und er enthält auch große Phosphatlager. Leider war er durch den Bürgerkrieg arg heimgesucht worden. Viele Eigenthümer mußten damals ihren Grund und Boden verkaufen, der damit jüdischen Wucherern in die Hände fiel. Man trifft hier noch recht viele Franzosen, Nachkommen jener Hugenotten, die nach der Aufhebung des Edicts von Nantes ihre Heimat verlassen mußten, doch sind, wie Elisée Reclus bemerkt, deren Namen im Laufe der Zeit meistentheils anglisiert worden.
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