Das waren also schwerwiegende Garantien, die Hermann Titbury bot, ganz abgesehen von dem persönlichen Glücke, das ihn in seinem Leben als Geschäftsmann nie im Stiche gelassen hatte.
Das würdige Paar hatte sich bemüht, nicht nur den kürzesten, sondern auch den billigsten Reiseweg durch das fast unentwirrbare Netz von Eisenbahnen herauszufinden, das einem ungeheuern Spinnengewebe gleich das östliche Gebiet der Union bedeckt. Ohne sich irgendwo aufzuhalten, ohne Gefahr zu laufen, an den Bahnhofbuffets oder in den Restaurants von Hôtels ausgeplündert zu werden – denn sie lebten ausschließlich von mitgeführten Mundvorräthen – von einem Zug zum andern so schnell übergehend, wie beim Taschenspieler die Kugel von der rechten zur linken Hand, für die Sehenswürdigkeiten des Landes mit ebensowenig Interesse wie Tom Crabbe, stets in dieselben Gedanken versunken, immer von Unruhe gepeinigt oder höchstens beschäftigt, die täglichen Ausgaben aufzuschreiben und die für die Fahrt mitgenommene Summe zu zählen und wieder zu zählen, sonst am Tage im Halbtraume, in der Nacht im Schlafe – so durchflogen Herr und Frau Titbury Illinois von Westen nach Osten, den Staat Indiana, dann Ohio, ferner New York und schließlich den Staat New Hampshire. Hiermit gelangten sie endlich am Morgen des 8. Mai an die Grenze von Maine, und zwar am Fuße des zur Gruppe der Weißen Berge gehörigen Mount Washington, dessen schneeiger, von Sturm und Hagel umbrauster, fünftausendsiebenhundertfünfzig Fuß (1676 Meter) aufragender Gipfel den Namen des größten Helden der amerikanischen Republik führt.
Von hier aus kamen Herr und Frau Titbury nach Paris, dann nach Lewiston am Androscoggin, einer gewerbfleißigen Stadt mit dem gegenüberliegenden Auburn, dem Rivalen der bedeutenden Stadt Portland, jenes besten Hafens von Neuengland, der sich an der wohlgeschützten Bucht von Casco ausbreitet. Die Eisenbahn brachte sie darauf nach Augusta, der officiellen Hauptstadt von Maine, deren elegante Landhäuser an den Ufern des Kenne bec zerstreut sind. Von der Station Bangor mußten sie sich noch in nordöstlicher Richtung nach Vaskahogan begeben, wo der Schienenweg aufhört, und endlich die Post bis Princeton benutzen, das eine Nebenbahn unmittelbar mit Calais verbindet.
In dieser Weise verlief also, unter häufiger und lästiger Vertauschung der Bahnzüge, die Fahrt von Maine bis hierher. Lustfahrer besuchten dabei freilich gern die Berggegenden, die Moränenfelder, die Seenplateaus des Landes, ebenso wie die tiefen, fast unerschöpflichen Wälder mit mächtigen Eichen, Canadasichten, Ahornbäumen, Buchen und sonstigen Baumarten der nördlichen Landestheile, die vor der Einführung der eisernen Schiffe das Nutzholz für viele Werften lieferten.
Herr und Frau Titbury – angeblich Field – waren in Calais frühzeitig am 9. Mai eingetroffen, eigentlich auch recht vorzeitig, da sie hier bis zum 19. bleiben mußten. Sie sollten in der kleinen Stadt, einem einfachen Hafen für Binnenschifffahrt mit wenigen tausend Einwohnern, also zehn volle Tage zubringen und wußten doch nicht, was sie beginnen sollten, bis ein Telegramm von Meister Tornbrock sie wieder von hier abrief.
Und doch bietet das so abwechslungsreiche Gebiet von Maine Gelegenheit zu den schönsten Ausflügen. Nach Nordwesten zu liegt die herrliche Gegend, die der Khatadinberg überragt, der aus den Waldmassen eines Seenplateaus bis dreitausendfünfhundert Fuß (1066 Meter) aufsteigt. Ferner findet sich da die sechsunddreißigtausend Seelen zählende Stadt Portland, der Geburtsort des Dichters Longfellow, und belebt infolge ihres bedeutenden Handels mit den Antillen und mit Südamerika. Sie hat zahlreiche Denkmäler, Parke und Gärten, die von den kunstliebenden Einwohnern mit großem Geschmack gepflegt werden; weiter das bescheidene Brunswick mit seinem berühmten Bowdoin-College, dessen Gemäldesammlung zahlreiche Kunstfreunde heranzieht. Zu vergessen sind auch nicht, weiter im Süden an den Küsten des Atlantischen Oceans, die in der warmen Jahreszeit von den reichen Familien der Nachbarstaaten vielbesuchten Seebäder. Wer von jenen nicht wenigstens einige Wochen, vorzüglich auf der wunderschönen Insel Mount Desert und hier im Bar Harbor verweilte, der ginge zu Hause jedes Ansehens verlustig.
Solche Ausflüge freilich von zwei von ihrer Felsenbank losgerissenen und dann neunhundert Meilen weit beförderten Mollusken zu verlangen, das wäre vergebliche Liebesmüh gewesen – nein, diese verließen Calais keinen Tag und keine Stunde lang. Sie blieben ganz für sich, erwogen ihre Aussichten und verwünschten instinctiv die andern Partner, nachdem sie sich schon hundertmal die Verwendung des neuen Vermögens überlegt hatten, wenn der Zufall sie zu zweihundertfünfzigfachen (Mark-)Millionären machen sollte. Ob sie dadurch wohl nicht in einige Verlegenheit kämen?…
Sie… wegen jener Millionen?… Keine Sorge! Sie würden schon verstehen, diese in sichern Werthpapieren, in Bank-, Bergwerks-und Industrieactien anzulegen und würden ihr ungeheures Einkommen einstreichen, ohne es für wohlthätige Zwecke zu verzetteln. Den Uebernhuß legten sie dann wieder zinstragend an, ohne sich etwas für verfeinerten Lebensgenuß oder für Vergnügungen zu gönnen, kurz, sie lebten dann gewiß ganz wie früher, nur ihrer Liebe für Dollarstücke hingegeben, verzehrt von der auri sacra fames als arme Schlucker, als Knicker, als Mitglieder der Akademie des Grauen Elends!
Wahrlich, wenn das Schicksal dieses widerwärtige Ehepaar begünstigte, mußte es ganz besondere Gründe dazu haben – welche, das wäre wohl schwer zu errathen gewesen. Und dann geschah das zum Nachtheile der andern Partner, die – selbst ohne Tom Crabbe oder den Commodore Urrican auszuschließen – jedenfalls der Schätze William I. Hypperbone’s würdiger waren und davon gewiß einen besseren Gebrauch machen würden.
Jetzt befinden sich die beiden, unter dem Namen Field verborgen, also am nordöstlichen Ende des Bundesgebiets in der kleinen Stadt Calais. Sie langweilen sich in ihrer Ungeduld und sehen nur theilnahmslos zu, wie die Fischerfahrzeuge mit jeder Ebbe hinausziehen und, mit ihrer Beute an Makreelen, Häringen und Salmen beladen, mit der Fluth zurückkehren. Dann schließen sie sich wieder in ihrem Zimmer der Sandy Bar ein und zittern bei dem Gedanken, daß ihr Geheimniß durchschaut, ihr wahrer Name bekannt werden könnte.
Calais liegt ja nicht so tief im Innern von Maine verloren, daß die Gerüchte von dem berühmten Match seinen Bewohnern nicht hätten zu Ohren kommen können. Sie wußten recht gut, daß ihr Neuenglandstaat dabei als das zweite Feld des Spieles galt, und der Telegraph hatte ihnen mitgetheilt, daß der zweite Ausfall des Würfelns – eins und eins – den Partner Hermann Titbury zwang, sich in ihrer Stadt aufzuhalten.
So verstrichen der 9., 10., 11. und 12. Mai unter schlimmster Langeweile in der wenig Zerstreuung bietenden Stadt. Auch Max Real würde es hier nicht besser ergangen sein. Wenn man nur längs der mit Holzbauten besetzten Straßen hingehen oder auf den verkehrsarmen Quais umherspazieren konnte, verging die Zeit unendlich langsam. Da nun die Depesche, die die nächste Reise vorschreiben sollte, erst am 19. zu erwarten war, mußte sich einer mit unendlicher Geduld rüsten, um die noch übrigen sieben langen Tage auszuhalten.
Und doch bot sich dem Titbury’schen Ehepaar hier die verlockendste Gelegenheit zu einem Abstecher ins Ausland, da sie dazu nur den Saint-Croixstrom, dessen linkes Ufer zur Dominion of Canada gehörte, zu überschreiten brauchten.
Hermann Titbury war auch ein solcher Gedanke gekommen und am Morgen des 13. machte er sogar einen dahin zielenden Vorschlag.
»Nein, zum Kuckuck mit diesem Hypperbone! rief er ärgerlich, warum mußte er auch grade die unangenehmste Stadt von Maine wählen, um dahin die Partner zu verbannen, die das Unglück haben, zu Anfang der Partie die Nummer zwei zu bekommen!
Читать дальше