Endlich, am 9. Mai, und nach einem furchtbaren Windstoße, der zum Glück nicht lange anhielt, zeigten sich gegen drei Uhr nachmittags die Küsten von Texas mit ihren Dünen von blendend weißem Sande und einem schützenden Kranze kleiner Inseln, über denen ganze Völker großer Pelikane dahin flatterten.
Die Schiffsküche hatte bei der Fahrt aber recht viel erspart, denn Tom Crabbe hatte, obwohl er häufig und fast zu häufig den Mund öffnete, seit der letzten Mahlzeit auf der Höhe von Port Eads nicht das geringste verzehrt.
John Milner wiegte sich in der Hoffnung, daß er sich erholen, daß er das abscheuliche Uebel nun überwinden werde, daß er wieder eine menschliche Gestalt bekäme, in der er sich sehen lassen könnte, wenn der »Sherman«, den die Bai von Galveston dann gegen den Wogendrang des offenen Meeres schützte, nicht mehr umhergeworfen würde. Vergebliche Hoffnung! Auch im ruhigen Wasser wollte der Unglückselige noch nicht wieder genesen.
Die Stadt Galveston liegt am Ende einer Sandbank. Ein Viaduct verbindet sie mit dem festen Lande, und über diesen bewegt sich der ganze Handel, vorzüglich die sehr bedeutende Ausfuhr von Baumwolle.
Der »Sherman« glitt durch eine enge Wasserstraße und legte bald an seiner Landungsstelle fest.
John Milner konnte eine laute Verwünschung nicht unterdrücken. Am Quai standen mehrere hundert Neugierige. Durch ein Telegramm unterrichtet, daß Tom Crabbe sich in New Orleans nach Galveston eingeschifft habe, erwarteten sie hier seine Ankunft.
An Stelle des Champions der Neuen Welt, des zweiten im »Match Hypperbone« Abgereisten, konnte dessen Traineur jenen freilich nur eine formlose Masse vorführen, die mehr einem leeren Sacke als einer menschlichen Gestalt ähnelte.
John Milner versuchte noch einmal, Tom Crabbe aus seinem elenden Zustande aufzurütteln.
»Nun… auf!… Geht es denn nicht?…«
Der Sack blieb jedoch ein Sack, und man mußte ihn auf einer Tragbahre nach dem Beach Hotel befördern, wo bereits Zimmer für die Reisenden bestellt waren.
Einige Scherzreden, einzelne Sticheleien wurden hörbar, als man ihn vorübertrug, nichts aber von den gewohnten Hurrahs, die ihn bei der Abfahrt von Chicago begleitet hatten.
Doch war ja noch nicht alles verloren. Nach einer Nacht ruhigen Schlafs und nach einer Reihe passend gewählter Mahlzeiten würde Tom Crabbe schon seine Lebensenergie, seine normale Kraft wiederfinden und nicht mehr das traurige Aussehen bieten…
Wenn John Milner sich in dieser Weise getröstet hätte, würde er sich doch getäuscht haben. Die Nacht brachte noch keine Besserung im Gesundheitszustande seines Gefährten. Die tödtliche Erschöpfung des Riesen war am nächsten Morgen noch dieselbe wie am Abend vorher. Und doch muthete man ihm irgendwelche geistige Thätigkeit, wozu er ja unfähig gewesen wäre, gar nicht zu, sondern erwartete nur eine rein körperliche Wiedereinsetzung in den status quo. Vergeblich! Sein Mund blieb, seit er wieder festen Boden betreten hatte, hermetisch geschlossen. Er verlangte keine Nahrung, und sein Magen ließ die zu den gewohnten Stunden üblichen Hilferufe nicht ertönen.
So verlief der 10. Mai, nicht anders der 11., und am 16. war der letzte Tag, wo Tom Crabbe in Austin eintreffen mußte.
John Milner faßte da den einzigen Entschluß, der ihm geboten schien. Jedenfalls war es besser, zu zeitig als zu spät anzukommen. Sollte Tom Crabbe sich von seiner Erschöpfung erholen, so erfolgte das gewiß ebenso gut in Austin wie in Galveston, und er befand sich dann wenigstens an dem ihm vorgeschriebenen Orte.
Tom Crabbe wurde also auf einem großen Karren nach dem Bahnhofe geschafft und gleich einem Frachtstücke in einen Wagen verladen. Als es halb neun Uhr abends schlug, setzte sich der Zug in Bewegung, während die Gruppen von Wettlustigen, die auf dem Perron zurückblieben, auf einen Partner in so jämmerlicher Form nicht die kleinste Summe – nicht einmal fünfundzwanzig Cents – zu setzen wagten.
Ein Glück, daß der Champion der Neuen Welt und sein Traineur nicht die fünfundsiebzig Millionen Hektar, die der Staat Texas einnimmt, zu durchmessen hatten. Sie brauchten nur die hundertsechzig Meilen zwischen Galveston und der Hauptstadt des Staates zurückzulegen.
Es wäre ja wünschenswerth gewesen, die von dem prächtigen Rio Grande und so vielen andern Flüssen bewässerten Gegenden zu besuchen, den Antonio, den Brazos, den Trinity, der in der Bai von Galveston mündet, und auch den Colorado zu besichtigen, dessen vielfach gewundene Ufer mit Perlenaustern übersäet sind. Dieses Texas mit seinen endlosen Prairien, wo früher die Comanchen hausten, ist überhaupt ein herrliches Stück Erde. Im westlichen Theile mit Urwäldern bedeckt, die zahllose Magnolien, Sykomoren, Pekan- (Walnuß-)bäume, Akazien, Palmen, Eichen, Cypressen und Cedern enthalten, prangen hier auch die üppigsten Felder mit Orangen, Nopal (Cochenille-)pflanzen und mit den wunderbarsten Caeteen, während im Nordwesten stolze Höhen schon an die Felsenberge erinnern. Dabei erzeugt das Land vorzüglicheres Zuckerrohr als das der Antillen, in seinem Tabak von Nocogdoches eine bessere Sorte als die von Maryland oder Louisiana; es enthält Farmen von vierzigtausend Acres (1 Acre gleich 0∙405 Hektar) mit einem Thierbestand von ebensoviel Häuptern, und seine großen Ranchos züchten zu Hunderttausenden die schönsten, edelsten Pferde.
Doch, was konnte das Tom Crabbe interessieren, der niemals etwas sah, oder John Milner, der nie auf etwas anderes als auf Tom Crabbe blickte?
Gegen Abend hielt der Zug zwei Stunden im Bahnhofe von Houston, bis wohin flach gehende Fahrzeuge gelangen können. Hier sind große Niederlagen für die Waaren erbaut, die auf dem Trinity, dem Brazos und dem Colorado zugeführt wurden.

Sie sehen theilnahmslos zu, wie die Fischerfahrzeuge mit jeder Ebbe hinausziehen. (S. 127.)
Am nächsten Tage, am 13. Mai, stieg Tom Crabbe am Ziele seiner Reise im Bahnhofe von Austin aus dem Wagen. Ein wichtiger Mittelpunkt der Industrie, begünstigt durch den Strom, der hier durch eine Barre gestaut wird, ist die Landeshauptstadt auf einer Terrasse des Nordufers des Colorado erbaut, in einer Gegend, wo Eisen, Kupfer, Mangan, Granit, Marmor, Gips und Thon in großer Menge vorkommen. Eine Stadt von mehr amerikanischem Charakter als viele andre in Texas, und erwählt zum Sitz der Regierung des Staates, zählt sie sechsundzwanzigtausend Einwohner fast ausschließlich angelsächsischer Herkunft. Sie ist nur eine einfache Stadt, während die am Rio Grande Doppelstädte sind – mit Holzhäusern an der einen Stromseite und Luftziegelbauten an der andern – wie die halb mexikanischen Ortschaften El Paso und El Presidio.
Eigentliche Amerikaner gab es in Austin nur solche, die jetzt aus Neugier hergekommen waren, vielleicht um ein paar Wetten einzugehen und den zweiten Partner kennen zu lernen, den die Würfel aus dem fernen Illinois hierher verschlagen hatten.
Im Ganzen waren die Leute hier mehr vom Glück begünstigt, als die in Galveston und in Houston. Als er den Fuß auf das Pflaster von Austin setzte, erwachte Tom Crabbe wieder aus der beunruhigenden Stumpfsinnigkeit, die alle Sorgen, alle Bitten, alle Beschwörungen John Milner’s nicht zu bannen vermocht hatten. Wohl erschien der Champion der Neuen Welt anfänglich etwas zusammengegangen, etwas schlaff und nicht so recht ungezwungen, doch das war ja nicht zu verwundern, da er, seit der »Sherman« im offenen Meere schaukelte, nichts andres als Seeluft geschluckt hatte. Der Riese hatte sich eben darauf angewiesen gesehen, sich vom eignen Fett zu ernähren; doch auch auf eine solche Kost gesetzt, hätte es ihm gewiß für längere Zeit noch nicht an Nährmaterial gefehlt.
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