J. Kastner - Der Fluch von Starcrest

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Das Jahr des Herrn 1863 ist eine düstere, hoffnungslose Zeit in Deutschland. Das einfache Volk ist verarmt. Wer Arbeit hat, schuftet für Groschen. Menschen sterben an Hunger und Epidemien.
In dieser Zeit ist »Amerika« ein Wort der Hoffnung und Sehnsucht - ein Land, wo jeder sein Glück machen und zu Wohlstand kommen kann. Ein magisches Wort auch für den jungen Handwerksgesellen Jacob Adler, der zu Unrecht des Mordversuchs beschuldigt wird und aus Deutschland fliehen muss.
Doch sein Leben in Amerika wird härter und gefahrvoller sein, als er es sich in seinen ärgsten Träumen vorzustellen vermag. Ein Abenteuer wartet auf Jacob Adler, wie es kaum ein zweiter je erlebt hat...

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»Doc Hatfield haben sie also auch«, sagte einer der Männer aus Blue Springs.

Die Nachricht von dem Reiter hatte sich so schnell herumgesprochen, daß laufend neue, schwerbewaffnete Männer zu den Barrikaden gerannt kamen.

Cordwainer knüllte den Zettel zusammen und warf ihn wütend über die umgestürzten Wagen. »Wenn dieser Teufel von Quantrill denkt, er kann uns einschüchtern, hat er sich getäuscht. Wir verteidigen unsere Stadt bis zum letzten Mann.«

»Aber Quantrill hat versprochen, uns zu verschonen, wenn wir uns ergeben«, sagte ein kleiner, grauhaariger Mann, der einen teuren, dunklen Anzug trug. Es war Armstrong Lawrence, Virginias Vater.

»Solche Versprechen hat er schon oft gemacht und nie gehalten!« erwiderte Cordwainer scharf. »Soll ich Ihnen all die Orte aufzählen, die seine Mordbrennern in Schutt und Asche gelegt haben, Armstrong? Die Liste ins lang. Und Ihre Bank käme gewiß nicht ungeschoren davon. Wenn Quantrill mit Ihnen fertig wäre, hätten Sie nicht einmal mehr genug Geld im Tresor, um sich einen Whiskey zu bestellen.«

Das saß. Armstrong sah ein, daß sein Schwiegersohn recht hatte, und machte ein betretenes Gesicht.

»Quantrill wartet auf eine Antwort«, sagte Jacob. »Was tun wir?«

»Er soll seine Antwort bekommen«, sagte Cordwainer mit einem grimmigen Lächeln.

»Das Pferd kommt zurück!« rief die quäkende Stimme des jungen Andy Harper, der sein sommersprossiges Gesicht mit einer Hand beschattete und gegen die Sonne anblinzelte.

Jetzt sahen auch die übrigen Guerillas, die zu Quantrills im Osten der Stadt liegenden Trupp gehörten, den Schecken, der in fast so schnellem Galopp auf ihre Stellung zusprengte, wie er einige Minuten zuvor in die Stadt gelaufen war. Allerdings saß der tote Reiter nicht mehr im Sattel.

Quantrill hatte seine Männer aufgeteilt. Die Hälfte wartete unter George Todd im Westen von Blue Springs auf das Angriffssignal. Die übrigen Leute sollten unter seiner und Bill Andersons Führung von Osten angreifen.

»Hol das Pferd«, befahl Quantrill, als der Schecke kurz vor dem Waldstück, in dem die Guerillas lagerten, langsamer wurde.

Augenblicklich schwang sich Harper in den Sattel seines großen Braunen, trieb ihn aus dem Wald heraus und preschte auf den Schecken zu. Der junge Südstaatler packte die Zügel des Schecken und brachte ihn im schnellen Galopp zu Quantrill.

Im Sattel des reiterlosen Pferdes steckte das blutige Messer, daß der Guerillaführer mit der für Blue Springs bestimmten Nachricht in Gus Petersons Brust gerammt hatte. Jetzt hing wieder eine Nachricht an dem Messer.

Quantrill riß das Messer aus dem Sattel, zog das Blatt Papier von der Klinge und las: »Wir ergeben uns nicht. Kansas City ist bereits durch weitere Kuriere verständigt. Fahr zur Hölle, Quantrill! Major Byron Cordwainer.«

Der Guerillaführer sah in die Runde seiner Männer. »Weitere Kuriere? Was haltet ihr davon?«

»Cordwainer blufft nur«, sagte Custis Hunter. »Ich kenne ihn. Er ist viel zu sehr von sich selbst überzeugt, um mehrere Kuriere loszuschicken. Gus Peterson war als hervorragender Reiter bekannt. Cordwainer hat sicher darauf vertraut, daß er durchkommt.«

In den Augen von Custis Hunter blitzte es auf, aber nur der neben ihm stehende Melvin erkannte das. Es war der Haß, der Custis beherrschte.

Der Haß auf Byron Cordwainer und die Leute von Blue Springs. Der Haß auf Virginia, die ihn verraten und Cordwainer geheiratet hatte.

Custis hätte alles gesagt, um Quantrill den Angriff auf die Stadt schmackhaft zu machen.

In ihm brannte das Feuer weiter, das Starcrest und seinen Vater verzehrt hatte. Jetzt verzehrte es ihn, nur auf andere Art. Niemals würde er die von Byron Cordwainer angeführten Todesreiter vergessen, die an jenem Morgen über die Plantage hergefallen waren.

Jetzt sollte Blue Springs dasselbe erleben, das war Custis' Rache. Quantrills Männer sollten das Werkzeug seiner Rache sein, seine Todesreiter.

»Selbst wenn nicht«, meinte der Guerillaführer und ließ achtlos den Zettel fallen. »Wir müssen Blue Springs unbedingt nehmen. Zuviel hängt davon ab. Auch wenn General Ewing Bescheid weiß, kann er wegen der gekappten Telegrafenleitung die Nachricht so rasch nicht nach St. Louis weitergeben. Der Zug wird also planmäßig in Blue Springs ankommen. Und bis General Swings Truppen hier sind, haben wir die Sache wahrscheinlich längst erledigt.«

Er schwang sich in den Sattel seines Braunen, zog einen seiner beiden schweren Revolver und gab kurz hintereinander drei Schüsse in die Luft ab. Das Zeichen zum Angriff.

»Vorwärts, Männer. Blue Springs gehört uns!«

Die Guerillas sprangen auf ihre Pferde und folgten unter lautem Gejohle ihrem Anführer, der in schnellem Galopp auf die Barrikaden zuhielt.

Als sie die drei Schüsse hörten, zuckten fast alle Männer in den Verteidigungsstellungen unwillkürlich zusammen. Das, worauf sie so lange gewartet hatten, schien jetzt einzutreten.

Mittlerweile waren alle wehrfähigen Männer der Stadt alarmiert und warteten in ihren Stellungen auf den Feind.

Der tauchte in überwältigender Zahl auf den Blue Springs umgebenden Hügelkuppen auf und sprengte die Anhöhen hinunter, auf die Stadt zu. Über dem Guerillatrupp, der die Ostseite von Blue Springs angriff, wehte eine schwarze Flagge.

»Ihr Bluff hat nicht geklappt, Mr. Adler«, sagte Cordwainer zu Jacob. »Ich habe mir gleich gedacht, daß Quantrill nicht auf die Sache mit den zusätzlichen Kurieren hereinfällt.«

»Es war ein Versuch«, sagte Jacob fast tonlos.

Er fühlte sich seltsam. Äußerlich völlig ruhig, aber innerlich zum Zerreißen gespannt. Seit er von seiner Wanderschaft in seinen Heimatort Elbstedt zurückgekehrt war, hatte er viele gefährliche Situationen durchstehen müssen. Aber dies hier war anders. Das lange Warten und die Gewißheit, daß das Verhängnis schließlich doch eintreten würde, zerrten mehr an den Nerven als alles, was er bisher erlebt hatte.

Außerdem bedrückte ihn der Gedanke, auf Menschen schießen zu müssen. Doch er wußte, daß er es tun mußte. Um die Bürger von Blue Springs zu retten, seinen Freund Martin, Irene und den kleinen Jamie.

»Noch nicht schießen, Männer«, hielt Cordwainer, der mit gezogenem Revolver an den Barrikaden stand, seine immer unruhiger werdenden Leute zurück. »Wartet mit der ersten Salve, bis sie näher heran sind. Ich gebe das Kommando.«

Die heranstürmenden Reiter versuchten die Verteidiger zu provozieren, indem sie laute Schreie ausstießen und immer wieder aus ihren Revolvern feuerten, obwohl die Entfernung, die die beiden Gruppen noch voneinander trennte, einen sicheren Schuß nicht zuließ.

Im Westen von Blue Springs bot sich ein ähnliches Bild.

Dort hielt Ellery Cordwainer seine Männer davon zurück, zu früh auf George Todds Reiter zu schießen.

»Nehmt eure Gegner genau aufs Korn«, empfahl Byron Cordwainer den Männern, als die ersten Kugeln der Feinde splitternd in die Barrikaden fuhren. »Macht euch bereit zum Schießen.«

Das waren sie längst und warteten nur auf den Befehl des Majors.

Auch Jakob hatte einen der Reiter aufs Korn genommen, einen schlaksigen Burschen, der einen großen Braunen ritt. Er kannte den anderen nicht, wußte nichts von ihm. Und doch war er bereit, ihn zu töten. Jacob mußte es tun, weil der andere ihn töten wollte.

War das die Natur des Krieges?

»Feuer!« erscholl Cordwainers Ruf. »Zeigt es diesen verdammten Bushwackers!«

Ohne nachzudenken zog Jacob den Abzug seines Karabiners durch. Sein Schuß ging im Orkan der ersten Salve unter. Pulverrauch wallte hinter den Barrikaden auf, biß in die Augen der Verteidiger und belegte ihre Zungen mit einem bitteren, übelkeitserregenden Geschmack.

Der schlaksige Bursche, auf den Jacob gezielt hatte, warf die Arme in die Luft und stürzte seitlich aus dem Sattel. Ein Fuß hing noch im Steigbügel. Der getroffene Reiter wurde von seinem Pferd mitgeschleift. Beim hastigen Nachladen verlor ihn Jacob aus den Augen.

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