J. Kastner - Der Fluch von Starcrest

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Das Jahr des Herrn 1863 ist eine düstere, hoffnungslose Zeit in Deutschland. Das einfache Volk ist verarmt. Wer Arbeit hat, schuftet für Groschen. Menschen sterben an Hunger und Epidemien.
In dieser Zeit ist »Amerika« ein Wort der Hoffnung und Sehnsucht - ein Land, wo jeder sein Glück machen und zu Wohlstand kommen kann. Ein magisches Wort auch für den jungen Handwerksgesellen Jacob Adler, der zu Unrecht des Mordversuchs beschuldigt wird und aus Deutschland fliehen muss.
Doch sein Leben in Amerika wird härter und gefahrvoller sein, als er es sich in seinen ärgsten Träumen vorzustellen vermag. Ein Abenteuer wartet auf Jacob Adler, wie es kaum ein zweiter je erlebt hat...

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Dieses neue Land schien etwas Besonderes an sich zu haben. Etwas, das die Menschen in ihrem Denken und Fühlen einte, mochten sie äußerlich auch noch so verschieden sein.

Wieder nickte Virginia und wischte mit einem zerknitterten, weißen Taschentuch die Tränen aus ihrem Gesicht. »Ja, ich glaube, daß ich mit ihnen reden möchte, Irene. Ich muß einfach mit jemandem reden. Ich habe sonst niemanden hier.«

»Aber Ihr Vater wohnt doch auch in der Stadt.«

»Mein Vater?« Virginias Gesicht nahm einen verächtlichen Ausdruck an. »Er ist nicht anders als die Cordwainers. Wenn ich mit ihm darüber spräche, würde er .«

Ihr Satz endete abrupt, als er von einem lauten Stöhnen unterbrochen wurde. Sie verzerrte ihr Gesicht vor Schmerzen, und ihr Körper wand sich in Krämpfen.

Irene erkannte sofort, daß das in ihr heranwachsende Leben Virginia zu schaffen machte. Jamies Geburt auf dem sturmgepeitschten Auswandererschiff lag noch nicht sehr lange zurück.

Die junge Deutsche sprang von ihrem Stuhl auf, zog ihr Taschentuch hervor, tauchte es in eine Wasserschüssel, die in einer Ecke auf einer kleinen Anrichte stand, und fuhr mit dem kühlen, feuchten Tuch über Virginias Gesicht, ihre Stirn und ihren Nacken.

Die Frau im Bett atmete heftig und stoßweise, als würde das Kind in ihrem Bauch ihr die Luft abdrücken. Erst allmählich beruhigte sie sich.

Irene wusch das Tuch in der Schüssel aus und legte es dann als feuchten Umschlag auf Victorias Stirn.

»Danke«, keuchte die Schwangere schwach. »Es macht mir schon die ganze Nacht zu schaffen, seit ...«

Sie biß sich auf die Lippen, als sei ihr noch im letzten Moment eingefallen, daß das, was sie hatte sagen wollen, nicht für Irenes Ohren bestimmt war.

»Seit Ihr Mann Sie letzte Nacht geschlagen hat? Wollten Sie das sagen?«

Virginia antwortete nicht, sah die andere Frau nur aus aufgerissenen Augen an. Sie wirkte ängstlich, als befürchtete sie neue Prügel, wenn sie der Fremden von dem erzählte, was zwischen ihr und ihrem Mann vorgefallen war.

»Ich habe den Schlag gehört und dann ein dumpfes Geräusch«, erklärte Irene. »Als sei jemand gestürzt. Waren Sie das?«

»Ja. Ich bin hingefallen, als ... Byron mich schlug.«

»Wie konnte er das tun? In Ihrem Zustand?«

»Ich bin ihm ziemlich gleichgültig.«

»Ist ihm sein Kind auch gleichgültig?«

»Es . ist nicht . sein Kind«, erwiderte Virginia zögernd.

Dann erzählte sie Irene ihre Geschichte.

Nach einer halben Stunde traf der von Walt angeführte Spähtrupp auf George Todd und seine Männer.

Doc Hatfield staunte über die gewaltige Streitmacht, die er auf über hundert Mann schätzte. Zudem führten die Partisanen einen großen Troß an Packpferden, Mulis und leichten Wagen mit sich. Wie Hatfield später erfuhr, transportierten sie die Beute aus einem Überfall auf ein US-Depot bei Liberty, auf der anderen Seite des Big Muddy.

Auf einem Wagen lagen einige Verwundete, die Hatfield behandeln sollte. Aber erst auf der Miller-Farm, wie Todd entschied.

Die Guerillas erreichten die Farm drei Stunden vor Sonnenaufgang. Wie es seine Gewohnheit war, schickte Todd einen Spähtrupp voraus. Und es zahlte sich aus. Die drei Reiter kehrten höchst aufgeregt zurück und meldeten, daß eine größere Einheit auf der Farm ihr Lager aufgeschlagen hatte.

»Reguläre Truppen?« fragte Todd.

»Nein, keine Regulären«, antwortete der Anführer des Spähtrupps.

»Freischärler also«, murmelte Todd vor sich hin. »Fragt sich nur, auf welcher Seite sie stehen.«

»Das konnten wir nicht herausfinden, Lieutenant«, sagte der Spähtruppführer. »Es war zu dunkel.«

Todd hob ruckartig seinen kantigen Kopf, und seine Augen funkelten den anderen an. »Was nützt mir ein Spähtrupp, wenn er nicht ausspäht, ob wir Freund oder Feind gegenüberstehen?«

Der andere hob entschuldigend die Schultern und ließ sie in einer Geste der Ratlosigkeit wieder sinken. Er fühlte sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut.

»Alles muß man selbst erledigen«, brummte Todd unwillig und trat auf den Einspänner mit Hatfield und dem bewußtlosen Gus Peterson zu. »Jetzt sind Sie gefordert, Doc. Sie wollten Ihren verwundeten Freund doch so rasch wie möglich auf die Farm bringen, um ihn zu operieren. Tun Sie es!«

»Allein?«

»Yeah. Wir warten in sicherer Entfernung ab und beobachten Sie. Wenn Sie auf Quantrill treffen, soll er einen uns bekannten Reiter ausschicken. Kommt dieser Reiter nicht spätestens drei Minuten, nachdem Sie die Farm erreicht haben, eröffnen wir das Feuer.«

»Aber auf der Farm leben Frauen und Kinder!«

»Dann nicht mehr«, sagte der Guerillaführer hart.

Der Arzt erkannte, daß er Todd nicht umstimmen konnte. Also befolgte er seinen Befehl. Die Reiter umzingelten die Farm, und dann lenkte Hatfield seinen Wagen auf die beleuchteten Gebäude zu.

Auf der Farm herrschte reges Treiben. Die Neuankömmlinge konnten sich erst seit kurzer Zeit hier aufhalten. Als Hatfield die Millers verlassen hatte, hatte er nichts von einer anrückenden Einheit bemerkt.

Gespannt wie ein indianischer Bogen kurz vor dem Schuß, hielt Hatfield auf die Farm zu. Er war sich bewußt, dem Tod noch nie so nahe gewesen zu sein wie in diesen Minuten.

Hinter ihm warteten über hundert Männer mit schußbereiten Waffen darauf, was sich auf der Farm ereignen würde.

Und vor ihm entstand jetzt auch Aufregung, als der sich schnell nähernde Einspänner von den Männern bemerkt wurde, die dabei waren, auf Ben Millers Hof ihr Lager aufzuschlagen.

Die Männer ließen die Seile los, mit denen sie einen zusätzlichen Corral für ihre Pferde errichteten, weil Ben Millers Stall und sein aus groben Holzbalken errichteter Corral nicht ausreichte, um alle Tiere unterzubringen. Sie ließen die Hämmer fallen, mit denen sie die Heringe der Zelte in den Boden trieben. Und auch die Spaten, mit denen sie schmale Gräben aushoben, die verhindern sollte, daß das unermüdlich vom Himmel prasselnde Wasser durch die Zelte floß. Alle griffen nach ihren Waffen, gingen in Deckung und warteten ab, wer da auf sie zukam.

So sehr sich Hatfield auch anstrengte, er konnte nicht erkennen, ob er es mit Freund oder Feind zu tun hatte. Er hatte keine Kenntnis von Unions-Freischärlern in der Gegend. Byron Cordwainers Freiwilligenkompanie ausgenommen. Aber trotzdem war die Anwesenheit weiterer Jayhawkers nicht ausgeschlossen. Im Gegensatz zu regulären Truppen waren die irregulären Reiter sehr beweglich, heute noch weit im Norden des Big Muddy und morgen schon auf dem südlichen Ufer.

Die Gedanken des Arztes kreisten darum, was er tun sollte, falls es sich tatsächlich um Anhänger der Union handelte.

Einfach Alarm schlagen und hoffen, daß die Männer auf der Farm aus dem sich unweigerlich entspinnenden Gefecht als Sieger hervorgingen?

Oder versuchen, dem Anführer der Männer innerhalb kürzester Zeit die Lage zu verdeutlichen?

Als er die Farm fast erreicht hatte, verließ ihn der Mut. Im Licht der Laternen konnte er einige der Männer erkennen. Die meisten trugen zivile Kleidung, aber ein paar waren mit mehr oder weniger vollständigen Uniformteilen versehen. Es waren durchweg Uniformen der konföderierten Truppen.

Ein paar Bewaffnete sprangen vor, richteten ihre Waffen auf den Arzt und befahlen ihm lauthals, sofort anzuhalten. Augenblicklich riß Hatfield an den Zügeln und befahl Nelly stehenzubleiben.

Die Bewaffneten umringten den Einspänner.

»Gehört ihr zu Quantrill?« fragte der Arzt hastig.

»Warum fragst du das?« fragte ein vollbärtiger, wild aussehender Mann, der zwei großkalibrige Revolver auf Hatfield gerichtet hielt.

»Weil mich George Todd schickt. Seine Männer haben die Farm umzingelt. Wenn nicht sofort ein ihm bekannter Reiter zu ihm kommt, läßt er hier alles zusammenschießen.«

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