»Nein, das können wir nicht. Verstehen die Feinde, Leitern herzustellen, so genügt ein Scheinangriff auf der einen, um den Feind auf andrer Stelle über die Pallisaden zu bringen. Ich denke mit Dunkelwerden den Pottawatomie hinauszusenden, daß er sich nach Blackwater umsieht und Botschaft nach Fort Jefferson bringt. Meine heimliche Befürchtung, daß auch zugleich jenes Fort angegriffen sein könnte, ist durch des Indianers Aussage vollständig geschwunden. Wir hier müssen ruhig die Dinge an uns herankommen lassen.«
Die Türe des Sergeantenhauses ging auf und Miß Schuyler erschien in derselben. Durch den Inhalt des Mantelsacks, welchen der Pottawatomie auf seinem Pferde mitgeführt hatte, war es ihr ermöglicht worden, das Reitkleid abzulegen und sich umzukleiden; sie erschien in einem einfachen dunklen Gewand, von welchem das bleiche Antlitz sehr abstach.
Ihr Vater und Edgar gingen auf sie zu.
»Ich hielt es nicht länger in dem engen Stübchen der guten Frau aus, es trieb mich, die Wälle zu sehen, welche uns vor den Feinden schützen.«
»Komm, mein Kind,« sagte der Oberst und nahm ihren Arm, »die Luft wird dir gut tun. Auch wird Frau Wood dir ein Heim im Kommandantenhause bereiten, nicht so?« wandte er sich an diese, welche hinter Frances hergekommen war.
»Ist schon geschehen, Herr Oberst, alles, was wir Gutes hatten, ist in Miß Schuylels Zimmer gebracht worden.«
Der für sie bestimmte Raum, im Giebel des Offiziershauses liegend, war von der Raubgier der Indianer verschont geblieben.
Die Zerstörung, welche deren Hand im Fort hervorgerufen hatte, war einigermaßen beseitigt worden, doch sah es noch wild genug ringsum aus, und Frances' Gesicht wurde noch eine Nuance bleicher, als sie den Blick umherschweifen ließ, doch sagte sie nichts.
Der Oberst geleitete sie nach dem Wall und ließ sie einen Blick auf den See werfen, der in seiner ruhigen Schönheit vor ihnen lag.
Lange sah Frances durch eine der Schießscharten.
Die stillen Wälder spiegelten sich in den klaren Fluten zugleich [267] mit dem unbewölkten Himmel. Wasservögel schwammen lustig auf dem See umher und neckten sich im muntern Spiele.
»Welch ein Bild des Friedens, Vater,« sagte sie, nachdem sie den Eindruck voll hatte auf sich wirken lassen.
»In der Tat, ein herrlicher Anblick.«
»Und zu denken, daß unter dieser friedlichen Stille der grause Mord lauert.« Ein Schauer überlief ihren Leib.
»Mein Herzenskind muß sich nicht solchen Gedanken hingeben; ist die Lage, in der wir uns befinden, gleich ernst, so bedrohen uns doch keine unmittelbaren Gefahren.«
»Wir stehen in der Hand Gottes, Vater.«
»Ja, Frances, und auf ihn wollen wir vertrauen, er wird die Anschläge unsrer Feinde zunichte machen.«
Sie wandte ihr Auge von dem See und sagte: »Ich will jetzt mit Hilfe der Sergeantin für deine Behaglichkeit sorgen.«
»Tue das, Kind, wir wollen nach der beschwerlichen Reise einen langen Schlaf tun.«
Er führte sie wieder hinab und sie betrat mit Frau Wood das Kommandantenhaus.
»Wir müssen nun wohl etwas Kriegsrat halten, Herr Graf, um zu erörtern, was wir in unsrer Lage tun können. Es ist geboten, die Meinung aller zu hören, welche mit uns die Gefahr teilen.«
Johnson, der Konstabel, die beiden Indianer wurden herbeigerufen und ließen sich mit dem Oberst und Edgar neben dem Offiziershause nieder, während Michael, Heinrich und Sumach auf den Wällen weilten.
»Es ist nicht zu leugnen, Männer,« begann der Oberst, »daß wir uns in einer sehr bedenklichen Lage befinden. Zwar sind Wall und Pallisaden hoch, doch nicht hoch genug, um ein Uebersteigen gänzlich zu verhindern. Greift der Feind mit Entschlossenheit an, so sind wir zu gering an Zahl, um den Angriff abwehren zu können. Ich habe leider keinen Zweifel, daß Peschewa die unter Kapitän Blackwater heranziehenden Truppen angegriffen und zurückgeworfen hat, sonst hätten wir schon von ihnen gehört; wir sind also auf uns allein angewiesen. Ich habe die Absicht, hier den Potta-watomie, sobald die Nacht hereingebrochen ist, nach Fort Jefferson zu senden, aber Hilfe von dort kann frühestens in vier Tagen hier sein. Das ist unsre Situation, und nun sagt eure Meinung, Männer, darüber, was wir tun können, um uns zu retten.«
»Colonel,« nahm nach einigem Schweigen Johnson das Wort, [268]
»ich denke nicht, daß Peschewa angesichts von sechs oder sieben guten Büchsen einen Sturm am Tage wagen wird, und nachts fechten die Indianer höchst ungern. Hat er sich mit Ihren Truppen geschlagen, so wird das nicht ohne Verluste abgegangen sein, selbst wenn er Sieger geblieben sein sollte. Alles dies läßt mich nicht an einen offenen Angriff glauben. Auch dürfte es den Roten schwer werden, Leitern zu verfertigen, und ohne diese kann Peschewa nicht stürmen.«
»Es ist sehr zu fürchten,« ließ Weller sich vernehmen, »daß die blutigen Schurken, welche ich im Namen des Gesetzes dieser Staaten verfolge, sich den Ottawas angeschlossen haben, und diese verstehen auch Leitern herzustellen. Im Notfall genügten auch junge Bäume, um die Pallisaden zu erklettern, wenn sie sich der Aeste als Sprossen bedienen. Daß sie angreifen werden, wenn sie die Soldaten zurückgeschlagen haben, ist außer allem Zweifel; sie kennen unsre Schwäche, und das Fort mit seinen reichen Schätzen an Waffen, Munition und so vielen andern Dingen, welche ihnen wert dünken, reizt sie übermächtig. Wie ich gesehen habe, sind ja zahlreiche Boote da, ich wäre dafür, diese in der Nacht zu benutzen, uns nach dem andern Ende des Sees zu begeben, und den Weg durch die Wälder zu suchen.«
»Den Gedanken habe ich auch schon gehabt,« sagte der Oberst, »aber ich halte es meiner Tochter wegen für unmöglich, in den Wäldern einer Verfolgung von seiten der Indianer zu entgehen. Selbst wir Männer hätten dazu wenig Aussicht, wenn diese leichtfüßigen Krieger auf unsrer Spur sind. Auch wissen sie, daß wir Kanoes haben, und der Gedanke, über den See zu entfliehen, liegt so nahe, daß sie sicher Vorsichtsmaßregeln getroffen haben, um unsre Flucht zu entdecken, dann haben wir sie auf den Fersen. Der See ist an einigen Stellen so schmal, daß eine Büchsenkugel dessen Mitte erreicht.«
»Was meinst du, Enkel des großen Panthers der Wyandots,« wandte sich der Oberst an Athoree, »lasse der Häuptling uns seinen Rat hören.«
Athoree erhob sich und sagte mit der ruhigen Würde, welche den meisten Indianern besonders bei Beratungen eigen ist: »Denken nicht, daß Ottawa angreifen, solange die Sonne scheint, er schon viel Leute verloren. Er gestern fechten, heute fechten, er müde, greifen nicht am Abend an; wenn er kommen, kommen am Morgen, ehe Sonne da. Das rechte Zeit, wenn fliehen in Kanoe, er bald wissen, sehr weiter Weg zu den Ansiedelungen, weiße Rose kleine Füße, sie nicht viel gehen, holen ein, nehmen Skalp von Männern, führen weiße Rose gefangen fort.« [269]
»Da wäre Tod noch besser,« murmelte erbleichend der Oberst, der wie alle wohl verstand, daß Athoree in der bilderreichen Art seines Volkes mit der weißen Rose seine Tochter bezeichnete.
»Nicht fliehen in Kanoe über See. Rose nicht gehen können, nicht verwundeter Mann gehen können.«
Der Oberst schlug sich vor die Stirn: »Wie schäme ich mich meines Egoismus, ich denke nur an mein Kind und nicht an die verwundeten Kameraden. Es ist ja kein Gedanke an Flucht möglich, wir müssen den Feind hier ruhig erwarten.«
»So tun, ja. Wenn Ottawa kommen, nicht gehen auf Wall, zu wenig Männer. Große Büchse schießen weit, nicht nah.« Er hatte wohl erkannt, daß wenn der Angreifer im Graben war, das Geschütz nicht auf ihn gerichtet werden konnte. »Warum gehen nicht in klein Haus?« er deutete auf das Haus des Sergeanten, »es sehr dick Holz, machen noch dicker. Fenster zu, Türen zu, nur Loch für Büchse. Tragen Gewehr hinein,« er deutete auf die auf dem Wall befindlichen Soldatenflinten, »Brot, Wasser, Pulver, wehren uns dort, ein Tag, zwei Tag. Nicht leicht nehmen. Warten bis Hilfe kommt. Dies alles.«
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