«Ich verstehe, Sir.»
Duaresq gab seinem Bootssteurer ein Zeichen und kicherte dann.»Das bezweifle ich. Aber halten Sie Augen und Ohren offen. Ich nehme an, daß die Dinge sehr bald in Fluß kommen werden.»
Bolitho sah zu, wie Dumaresq in die Gig kletterte, und lenkte seine Schritte dann zurück zur Residenz.
Machte sich Dumaresq überhaupt Sorgen, was aus Egmont und seiner Frau wurde? Oder benutzte er sie nur als Lockvögel für seine
Falle?
Abseits der Residenz gab es zwei oder drei kleine Bungalows, die normalerweise höheren Beamten oder Offizieren, die zur Inspektion herkamen, zur Verfügung standen.
Bolitho nahm an, daß solche Besucher selten waren; wenn sie kamen, brachten sie sicher alles zu ihrer Bequemlichkeit Erforderliche selbst mit. Das Haus, das ihm zugewiesen worden war, bestand praktisch nur aus einem Raum. Die Moskitofenster waren voller Löcher, die eine nie ermüdende Armee von Insekten gebohrt hatte. Palmenwedel streiften Dach und Wände, und er vermutete, daß bei einem heftigen Gewitter das Wasser wie durch ein Sieb eindringen würde.
Er hatte sich vorsichtig auf das große, handgeschnitzte Bett gesetzt und putzte eine Lampe. Insekten schwirrten herbei und flogen gegen das heiße Glas. Ihm taten die weniger begünstigten Menschen auf der Insel leid, wenn selbst der Gouverneur vom Fieber gepackt werden konnte.
Vor der nur lose schließenden Tür knarrten die Bodenbretter, und Stockdale schaute herein. Er war mit sechs weiteren Männern an Land gekommen, um ein» wachsames Auge auf Wind und Wetter «zu haben, wie er es ausdrückte.
Mit seiner keuchenden Stimme meldete er:»Alles eingeteilt, Sir. Wir gehen abwechselnd Wache. Josh Little übernimmt die erste. «Er lehnte sich gegen den Türrahmen, und Bolitho hörte, wie das Holz protestierend knarrte.»Ich habe zwei Leute an dem anderen Haus postiert. Es ist ganz ruhig dort.»
Bolitho dachte daran, wie Aurora ihn angesehen hatte, als sie und ihr Mann von Bedienten des Gouverneurs eilig in den Nachbarbungalow geleitet wurden. Sie schien beunruhigt, verängstigt durch den plötzlichen Wechsel der Ereignisse. Es hatte geheißen, Egmont besäße Freunde in Basseterre, aber man hatte ihm nicht erlaubt, sich zu ihnen zu begeben; statt dessen war er immer noch ihr Gast. Oder besser: ihr Gefangener.
Bolitho sagte:»Gehen Sie schlafen. «Er berührte seine Narbe und zog eine Grimasse.»Mir ist, als wäre das erst heute geschehen.»
Stockdale grinste.»Saubere Arbeit, Sir. Ein Glück, daß wir den alten Knochensäger hatten.»
Er trollte sich nach draußen, und Bolitho hörte ihn leise vor sich hin pfeifen, als er einen Platz fand, an dem er sich ausstrecken konnte. Seeleute vermochten überall zu schlafen.
Bolitho legte sich zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und starrte in die Schatten jenseits der nur schwach brennenden Flamme.
Es war alles vergebens gewesen. Garrick hatte die Insel bestimmt schon verlassen. Er mußte besser unterrichtet gewesen sein, als Duma-resq vermutete. Nun konnte er sich ins Fäustchen lachen, wenn er an die britische Fregatte und ihre spanische Begleiterin dachte, die da unschlüssig vor Anker lagen, während er.
Bolitho fuhr mit einem Ruck hoch und griff nach seiner Pistole, als die Planken vor der Tür wieder knarrten. Er beobachtete, wie sich der Türgriff senkte, und fühlte sein Herz gegen die Rippen schlagen, als er die Entfernung schätzte und überlegte, ob er schnell genug auf die Füße kommen konnte, um sich zu verteidigen.
Die Tür öffnete sich einige Zentimeter, und er sah ihre schmale Hand am Rand.
In Sekunden war er aus dem Bett. Als er die Tür ganz aufzog, hörte er sie flüstern:»Bitte, mach das Licht aus!»
Einen verwirrenden Augenblick lang hielten sie einander hinter der wieder geschlossenen Tür umschlungen. Außer Auroras heftigen Atemzügen gab es keinen Laut. Bolitho wagte nichts zu sagen, aus Angst, damit den unglaublichen Traum zu vertreiben.
Sie flüsterte:»Ich mußte kommen. Es war schon schlimm genug auf dem Schiff. Aber zu wissen, daß du hier bist, während…«Mit leuchtenden Augen schaute sie zu ihm auf.»Verachte mich nicht, weil ich schwach geworden bin.»
Bolitho hielt sie fest an sich gedrückt, fühlte ihren Körper durch das lange dünne Gewand und wußte, daß sie verloren waren. Mochte die Welt jetzt in Stücke fallen — nichts konnte ihnen diesen Augenblick nehmen.
Wie Aurora an den Posten vorbeigekommen war, schien ihm unbegreiflich, aber es kümmerte ihn nicht. Doch dann fiel ihm Stockdale ein. Daran hätte er gleich denken sollen.
Seine Hände zitterten heftig, als er sie an den Schultern hielt und ihr Haar, ihr Gesicht, ihren Hals küßte.
«Ich helfe dir. «Sie löste sich etwas von ihm und ließ ihr Gewand zu Boden fallen.»Nimm mich in deine Arme.»
In der Dunkelheit zwischen den beiden kleinen Bungalows lehnte Stockdale sein Entermesser gegen einen Baum und setzte sich daneben. Er beobachtete, wie das Mondlicht die Schwelle der Tür beleuchtete, die er vor einer Stunde sich hatte öffnen und wieder schließen gesehen, und dachte an die beiden, die jetzt beisammen waren. Für den Leutnant war es wahrscheinlich das erstemal, dachte Stockdale wohlwollend. Er hätte keine bessere Lehrerin finden können, das war gewiß.
Lange vor Anbruch der Morgendämmerung schlüpfte Aurora leise aus dem Bett und zog sich an. Einen Augenblick noch schaute sie auf die blasse, in tiefem Schlaf liegende Gestalt nieder und strich dabei über ihre Brust, wie er es getan hatte. Dann bückte sie sich und küßte ihn leicht auf den Mund. Seine Lippen schmeckten salzig, vielleicht von ihren Tränen. Ohne noch einmal zurückzublicken, verließ sie den Raum und lief an Stockdale vorbei, ohne ihn zu sehen.
Bolitho trat langsam aus der Tür und auf den sonnengehärteten Weg hinunter. Es kam ihm vor, als schritte er über dünnes Glas. Obwohl er seine Uniform trug, fühlte ersieh immer noch nackt, glaubte nach wie vor, ihre Umarmung zu spüren, ihr atemberaubendes Verlangen, das ihn völlig erschöpft hatte.
Im frühen Sonnenlicht erkannte er einen der Wachposten, der ihn, auf seine Muskete gestützt, neugierig betrachtete.
Wenn er nur wach gewesen wäre, als sie ihn verließ! Dann hätten sie sich nie mehr getrennt. Stockdale kam auf ihn zu und meldete:»Keine Vorkommnisse,
Sir.»
Befriedigt registrierte er Bolithos Unsicherheit. Der Leutnant war verändert: verwirrt, aber wohlauf. Noch etwas durcheinander, aber mit der Zeit würde er die neue Kraft spüren, die sie ihm geschenkt hatte.
Bolitho nickte.»Lassen Sie die Leute antreten!«Er hob den Arm, um seinen Hut aufzusetzen, erinnerte sich aber noch rechtzeitig an die Wunde, die bei der leisesten Berührung pochte und brannte. Aurora hatte ihn sogar das vergessen lassen.
Stockdale bückte sich und hob ein kleines Stück Papier auf, das aus dem Hut gefallen war. Er übergab es mit ausdruckslosem Gesicht.»Ich kann nicht lesen, Sir.»
Bolitho entfaltete den Zettel und las mit verschwimmendem Blick ihre wenigen Worte:»Liebster, ich konnte nicht warten. Denke manchmal an mich und daran, wie schön es war.»
Darunter hatte sie geschrieben:»Der Ort, den dein Kommandant sucht, ist die Insel Fougeaux.»
Sie hatte nicht mit Namen unterzeichnet, aber er konnte beinahe ihre Stimme hören.
«Fühlen Sie sich nicht wohl, Sir?»
«Doch.»
Noch einmal las er die kurze Botschaft. Aurora mußte sie schon mitgebracht und vorher gewußt haben, daß sie sich ihm hingeben würde. Und daß es damit enden würde.
Er hörte Schritte auf dem Sand knirschen und sah Palliser den Weg heraufkommen, hinter sich Midshipman Merrett, dem es schwerfiel, mit dem langen Leutnant Schritt zu halten.
Palliser sagte barsch zu Bolitho:»Alles erledigt. «Er wartete mit lauerndem Blick.
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