Inch trat zum Kompaß und beobachtete die Scheibe, als das Schiff aufs Ruder ansprach und dann stetig den neuen Kurs hielt. Es war nur eine kleine Abweichung, aber sie brachte den Kiel aus dem Gefahrenbereich hinaus. Auch die Segel über ihren Köpfen reagierten auf die Änderung, schlugen kurz und füllten sich dann wieder, bis sie eisenhart gewölbt standen.
«Zehn Faden!»
Der Midshipman der Wache kaschierte sein erleichtertes Aufatmen mit einem Husten hinter vorgehaltener Hand, und ein paar Scharfschützen der Marineinfanterie warfen sich belustigte Blicke zu.
«An Deck! Ankerlichter in Luv voraus!»
Bolitho folgte Inch und seinem Ersten Offizier an die Steuerbordreling.
Bis zur Morgendämmerung konnte es nur noch Minuten dauern. Hätten sie ihren alten Plan beibehalten, wären sie jetzt noch meilenweit von der Bucht entfernt gewesen und hätten bei Tagesanbruch jedes französische Kriegsschiff oder Wachboot alarmiert.
Bolitho versuchte, den Gedanken an Browne und die Vorgänge bei der alten Kirche zu verdrängen; er konzentrierte sich ganz auf die schwindenden Schatten und die blinkenden Lichter, die den Ankerplatz der Invasionsflotte bezeichnen mußten.
In der Ferne dröhnte ein Kanonenschuß und widerhallte rollend in der engen Bucht: ein Alarmsignal, das aber zu spät kam. Es war schon in dem Augenblick zu spät gewesen, als sie sich an Remonds schlafendem Geschwader vorbeigeschlichen hatten.
Da der Wind fast genau dwars einkam und das Schiff dabei stark nach Backbord überlegte, bekamen die Rohre der Steuerbordbatterie für die ersten Breitseiten den höchstmöglichen Winkel — besser konnte man es sich gar nicht wünschen. Schon trieben die Stückmeister ihre Leute mit Fausthieben und Tritten an, bis sie fieberhaft mit Taljen und Handspaken arbeiteten.
Inch befahl:»Feuern in der Aufwärtsbewegung, Mr. Graham, aber erst, wenn ich's sage!»
«Großsegel wegnehmen!»
Als das mächtige Segel zu seiner Rah emporstieg und dort beschlagen wurde, mußte Bolitho an eine Bühne denken, vor der sich der Vorhang hob. Nun war auch die Sonne aufgegangen und tastete vom Land her mit ihren ersten Strahlen nach ihnen, während Morgennebel und Holzrauch wie tiefhängende Wolken dicht über das Wasser drifteten.
Vor ihnen lagen die verankerten Schiffe der Invasionsflotte.
Einen Augenblick glaubte Bolitho, das schwache Frühlicht spiele ihm einen Streich; er wollte seinen Augen nicht trauen. Während er etwa hundert Landungsfahrzeuge erwartet hatte, lagen vor ihm nun mindestens dreimal soviel, jeweils zu zweit oder zu dritt so verankert, daß sie den Knick der Bucht ausfüllten wie eine schwimmende Stadt.
In ihrer Nähe ankerte ein mittelgroßes Kriegsschiff; im Fernrohr erkannte Bolitho, daß es sich um ein verkürztes Linienschiff handelte. Er spähte so angestrengt hinüber, daß das Blut in seinen Augäpfeln zu pochen begann.
Aus der Ferne schienen die dicht an dicht gepackten Fahrzeuge friedlich dazuliegen, aber Bolitho konnte sich die Panik vorstellen, die von der zielstrebig heransegelnden Odin ausgelöst wurde. Das Unmögliche war eingetreten: Ein feindliches Schiff befand sich mitten unter ihnen!
«Phalarope ist in Position, Sir«, meldete Inch.
Bolitho schwenkte das Glas, bis er die Fregatte einfing, die ihre Karronaden schon ausgefahren hatte: eine lange schwarze Reihe häßlicher, kurzer, dicker Rohre. Er glaubte, Pascoe auf dem Achterdeck zu erkennen, war sich aber nicht sicher.
«Signal an Phalarope: > Achteraus vom Flaggschiff auf Position gehen!<���»
Ohne sich von den bunten Flaggen ablenken zu lassen, die hastig zur Signalrah aufstiegen, konzentrierte er sich wieder ganz auf den Feind.
Von fern scholl ein klagender Trompetenstoß herüber, und kurz danach rannte das Wachschiff die Kanonen aus, machte aber keinen Versuch, den Anker zu lichten und Segel zu setzen.
Inch vergaß sich vor Erregung und packte Bolithos Arm; er deutete zum Land.
«Da sehen Sie, Sir! Der Turm!»
Bolitho stellte sein Teleskop auf den Turm ein, der wie ein einzelner Wachtposten auf dem Hügelkamm aufragte. Über seiner Mauerkrone fuchtelten wild die Metallarme des Semaphors — ein weithin sichtbarer Hilferuf.
Doch wenn es Browne gelungen war, den anschließenden Telegraphen auf dem Kirchturm zu zerstören, dann würde niemand diese Signale empfangen und an Remonds Geschwader weiterleiten können. Wenn der Alarm andererseits in die Gegenrichtung weitergegeben wurde, die ganze Strecke entlang bis Lorient, dann war es zu spät, die Invasionsflotte noch zu retten.
Odins Klüverbaum glitt am einen Ende der verankerten Reihen vorbei, die etwa eine halbe Meile voraus eine undurchdringliche Barriere bildeten.
Pulverdampf stieg vom Wachschiff auf, und dann verriet rollender Kanonendonner, daß die Franzosen nun hellwach geworden waren.
Einzelne Kugeln warfen querab von Odin hohe Gischtfontänen auf, bewirkten aber nichts weiter als Hohn- und Spottgeschrei in den Batteriedecks.
Graham wandte kein Auge von Inch, der seinen Säbel jetzt langsam über den Kopf hob.
«Bei der Aufwärtsbewegung! Zielt genau, Leute!»
Eine Bö griff in die oberen Segel von Odin und drückte das Schiff noch stärker nach Lee, so daß sein Kupferbeschlag sichtbar wurde. Darauf hatte Inch nur gewartet. Sein Säbel zischte nieder.
Ein Midshipman, der sich in die offene Luke zum unteren Batteriedeck geklemmt hatte, schrie:»Feuer!«riedeck geklemmt hatte, schrie:»Feuer!»
Aber seine schrille Stimme ging unter im betäubenden Aufbrüllen der Achtzehnpfünder des Hauptdecks.
Bolitho beobachtete die Einschläge, die zwischen und hinter den verankerten Landungsbooten lagen. Die Gischtsäulen sanken noch zusammen, da sandten auch die Zweiunddreißigpfünder des unteren Batteriedecks ihr tödliches Eisen donnernd hinüber. Zerrissene Planken und ganze Deckstücke wirbelten durch die Luft, und als sich der Pulverrauch hob, wurde erkennbar, daß einige der kleineren Fahrzeuge schon schwere Schlagseite hatten. Rettungsboote pullten verzweifelt von ihnen weg. Aber auf einigen der näher an Land verankerten Boote hatten die Mannschaften schon die Trossen gekappt und versuchten freizukommen.
«Ausrennen!»
Wieder knarrten und quietschten die Lafetten das ansteigende Deck hinauf und schoben die Rohre durch die Stückpforten ins Freie.
«Klar zum Einzelfeuer!»
Wieder fuhr Inchs Säbel nach unten.»Feuer!»
Diesmal lagen Pausen zwischen den einzelnen Abschüssen, denn jeder Stückmeister faßte erst genau sein Ziel auf, ehe er an der Abzugsleine riß.
Auf dem französischen Wachschiff entfalteten sich die Bramsegel, aber es hatte zwei abtreibende Landungsboote gerammt. Trotzdem feuerte es zurück und traf Odin zweimal dicht oberhalb der Wasserlinie. Rauch hüllte das Wachschiff ein, der nicht von seinen Kanonen stammte, und Bolitho erkannte, daß eines der driftenden Landungsfahrzeuge Feuer gefangen hatte. Der Brand mochte sogar von einem glühenden Ladepfropfen ausgelöst worden sein, der aus einer Kanone des Wachschiffs gefallen war. Bolitho sah rennende Gestalten, die aus der Ferne winzig und hilflos wirkten, mit hastig gefüllten Eimern gegen die Flammen vorgehen. Aber die ineinander verhakten Riggs und der starke, ablandige Wind erwiesen sich als zu große Hindernisse: Die Flammen sprangen auf den Rumpf über und erfaßten schließlich die Stagsegel. Nur noch eine
Stagsegel. Nur noch eine Kabellänge trennte Odin vom vordersten Landungsboot, als der Lotgast in ihren Ketten gellend aussang:»Wassertiefe sechs Faden!»
Inch blickte nervös zu Bolitho hinüber.»Nahe genug, Sir?»
Dieser nickte.»Drehen Sie ab.»
«Klar zur Wende!»
Alle freien Deckshände sprangen an die Brassen und Schoten, obwohl sich mancher Mann noch die vom Pulverrauch tränenden Augen rieb.
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