Bolitho mußte lächeln. Der Zahl nach waren sie zwar noch immer unterlegen, aber er hatte schon unter schlechteren Voraussetzungen gekämpft. Genau wie Herrick. Zu Stirling gewandt, sagte er:»Sie sehen, ich befolge Ihren Rat!»
Allday mußte den Kopf schütteln. Er verstand nicht, wie Bolitho das fertigbrachte. Denn in einer Stunde, vielleicht schon eher, würden sie alle um ihr Leben kämpfen müssen.
Den Blick auf den Wimpel im Masttopp gerichtet, ließ Bolitho ein Bild des bevorstehenden Gefechts vor seinem geistigen Auge entstehen. Wenn der Wind durchstand, konnte Schiff gegen Schiff kämpfen, aber das bot Remond einen Vorteil. Besser war es, den einzelnen Kommandanten freie Hand zu lassen, wenn die Schlachtlinie des Feindes erst einmal durchbrochen war.
Sein Blick schweifte übers Deck nach vorn, streifte die nackten Rücken der Kanoniere und die Bootsmannsgehilfen, die alles für das Aussetzen der Beiboote vorbereiteten. An Deck bedeuteten Boote nur erhöhte Splittergefahr im Falle eines Treffers, und diesmal hatten sie es nicht mit hilflosen, überraschten Landungsfahrzeugen zu tun.
Bolitho sah, daß einige Neulinge seiner Mannschaft flüsternd beisammenstanden; die Freude an ihrem ersten Sieg war ihnen wohl seit der Ankunft des starken französischen Geschwaders verdorben.»Kapitän Inch!«rief er.»Die Pfeifer sollen uns zum Gefecht aufspielen. Das gibt bessere Laune!»
Inch, der seinem Blick gefolgt war, nickte eifrig.»Dieser Krieg dauert schon so lange, Sir, daß ich es manchmal vergesse, aber es gibt tatsächlich noch Matrosen, die kein einziges wirkliches Seegefecht erlebt haben.»
Und so segelte Odin mit ihren 64 Kanonen und der Admiralsflagge im Besantopp dem Feind entgegen, während die Pfeifer und Trommler munter aufspielten und dabei auf ihrem teppichgroßen Stückchen Deck unaufhörlich auf und ab marschierten.
Die Mannschaft, die bisher gespannt den feindlichen Schiffen entgegengestarrt hatte, wandte sich um, sah ihnen zu und begann, mit den Füßen den Takt zu schlagen.
Im Kielwasser, das Odin und Phalarope durch die Bucht zogen, blieben schwelende Trümmer und Treibgut zurück: Bruchstücke eines zerstobenen Traums von der Invasion Englands.
Bolitho arbeitete im Kartenraum von Odin, als Inch eintrat und meldete, daß die Brigg Rapid langsam von Südwest her aufkreuze.
Bolitho warf den Stechzirkel auf die Seekarte zurück und schritt auf das sonnenbeschienene Deck hinaus. Trotz seiner Unterlegenheit wollte Kommandant Lapish also sein kleines Schiff dem Geschwader zuführen, in der Hoffnung, seine Kampfkraft zu verstärken.
«Signal an Rapid, und zwar so schnell wie möglich«, befahl Bo-litho.»Sie soll zu Ganymede stoßen und gemeinsam mit ihr die feindliche Nachhut stören. «Das mochte die französische Fregatte — bisher war nur eine einzige in Sicht — daran hindern, die schweren britischen Schiffe auszumanövrieren, bis Duncans Sparrowhawk aus dem nördlichen Sektor zu ihnen gestoßen war.
Inch sah den Signalflaggen nach, die blitzschnell zur Rah aufstiegen.»Warten wir, bis Kommodore Herrick sich uns angeschlossen hat, Sir?«fragte er.
Bolitho schüttelte den Kopf. Das französische Geschwader hatte sich zu einer nicht ganz exakten, aber eindrucksvollen Schlachtlinie formiert, und das zweite Schiff in der Reihe fuhr die Flagge eines Konteradmirals. Das mußte Remond sein.
«Lieber nicht. Ja, wenn wir mehr Zeit hätten… Aber jede Minute, die verstreicht, erlaubt es dem Feind, tiefer in die Bucht vorzudringen und sich die Luvposition zu verschaffen, während unser Geschwader mühsam gegen den Wind anknüppeln muß.»
Wieder hob er sein Glas und studierte das Führerschiff: ein Zweidecker, der seine Kanonen schon ausgerannt hatte, obwohl ihn noch drei Meilen von den Briten trennten. Ein mächtiges Kriegsschiff, wahrscheinlich mit achtzig Kanonen bestückt und der viel kleineren Odin auf den ersten Blick weit überlegen.
Aber jetzt mußten sich die Monate und Jahre der Blockade mit ihrem harten Patrouillendienst bei jedem Wetter zu ihren Gunsten auswirken. Denn die Franzosen verbrachten mehr Zeit im Hafen als auf See, ließen es sich gutgehen, statt zu exerzieren. Dies mochte auch der Grund dafür sein, daß Remond nicht sein Flaggschiff an die Spitze der Schlachtlinie plaziert hatte; aus zweiter Position konnte er sein Geschwader besser im Auge behalten.
Plötzlich sagte Bolitho:»Beachten Sie, daß sich das französische Flaggschiff etwas in Luv vom ersten Schiff der Reihe hält.»
Inch nickte, aber sein Gesicht verriet, daß er nichts begriff.
«Sir?»
«Wenn wir angreifen, ohne auf unsere anderen Schiffe zu warten, will der französische Admiral offenbar die Schlachtlinie teilen und uns von beiden Seiten in die Zange nehmen.»
Inch fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.»Während die drei letzten Schiffe sich zunächst zurückhalten und auf den Kommodore warten.»
Stirling rief: «Rapid hat bestätigt, Sir.»
Allday stieg auf die Hüttendecksleiter und spähte achteraus. Benbow schien noch sehr weit weg zu sein. Taktisch richtig kreuzte Herrick mit langen Schlägen in die Bucht, damit er zuletzt wenden, abfallen und mit günstigem achterlichem Wind angreifen konnte. Aber das alles brauchte furchtbar viel Zeit.
Ein dumpfer Knall hallte herüber, und mit gut einer Meile Abstand schlug die Kugel ins Wasser. Der Kommandant des ersten Franzosen hatte eine Bugkanone abfeuern lassen, wahrscheinlich nur, um die Spannung des Wartens zu brechen.
Es mußte ihn nervös machen, den Admiral so im Nacken zu haben, überlegte Allday; jeder Zug, den er wagte, wurde mit kritischen Augen beobachtet.
Dann wandte Allday sich ab und ließ den Blick über das mit Menschen vollgepackte Deck der Odin schweifen. Von denen da unten würde kaum einer auf den Beinen bleiben, wenn die Falle der Franzosen hinter ihnen zuklappte und sie von jeder Hilfe abschnitt. Oder war genau das Bolithos Absicht? Sich zu opfern, den Feind dabei aber so zu schwächen, daß Herrick nur einen ihm gleichwertigen Rest vorfinden würde, sobald er erst heran war?
«Allmächtiger Gott!«entfuhr es ihm.
Ein Sergeant der Seesoldaten, der mit seinen Scharfschützen in der Nähe wartete, wandte sich grinsend nach Allday um.»Nervös, Kamerad?«fragte er.
Allday zog eine Grimasse.»Nicht die Spur. Ich finde nur kein ruhiges Plätzchen für meinen Mittagsschlaf.»
Aber dann fuhr er doch zusammen, als er Inch zum Master sagen hörte:»Mr. M'Ewan, sobald wir auf eine halbe Kabellänge heran sind, will der Konteradmiral anluven. Danach wenden wir und greifen das zweite Schiff in der französischen Schlachtlinie an.»
Der Master nickte so krampfhaft, als würde sein Kopf von Marionettenfäden gezogen.
«Was soll das nun wieder bedeuten?«zischte der Sergeant.
Aber Allday antwortete ihm nicht. Er verschränkte die Arme und bemühte sich, das Gehörte zu verdauen. Odin würde also anluven und dann praktisch vor dem Bugspriet des Gegners in den Wind drehen. Dann hoffte sie zu wenden und zwischen den beiden ersten Linienschiffen durchzustoßen. Wenn alles gutging. Es war ein riskantes Manöver, bei dem Odin binnen weniger Minuten zu einem hilflosen Trümmerhaufen zusammengeschossen werden konnte. Aber alles war besser, als gleichzeitig von beiden Seiten unter Nahbeschuß zu geraten.
Schließlich bequemte er sich doch zu einer Antwort.»Es bedeutet, mein scharfsinniger Freund, daß du mit deinen Leuten bald eine Menge zu tun kriegst.»
Bolitho ließ die ansegelnde Schlachtlinie nicht aus den Augen, lauerte auf jedes Anzeichen, auf ein blitzschnelles Flaggensignal, mit dem Remond seinen plötzlich erwachten Verdacht verraten könnte. Sicherlich mußte er doch auf eine Überraschung gefaßt sein? Weshalb sonst würde sich ein leichtes Linienschiff mit nur 64 Kanonen fünf mächtigen Kriegsschiffen stellen?
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