Vermehrtes Klappern der Handspaken und dumpfes Poltern über ihren Köpfen verriet ihnen etwas von den Anstrengungen der Mannschaft oben. Der Wind trieb sie immer näher auf die Gefahr zu, sie mußten also kämpfen, ob ihnen das nun paßte oder nicht.
Der Arzt und seine Gehilfen gruppierten sich wartend um ihren Operationstisch. Wie geduldige Geier, dachte Bolitho. Ihr Anblick hatte ihn noch immer demoralisiert.
«Hört mal!»
Sie lehnten sich so weit vor, wie ihre Ketten es zuließen, als eine metallisch klingende Stimme das tosende Duett von Wind und See überschrie.
«Rassemblez-vous ä la batterie de tribordl»
Browne nickte ruckartig.»Die Steuerbordbatterie soll als erste feuern, Sir.»
Allday biß die Zähne zusammen.»Obacht — jetzt geht's nach oben!»
Trotz seiner Warnung kam die bei der Aufwärtsbewegung des Schiffes abgefeuerte Breitseite überraschend und betäubend. Der Rumpf bäumte sich auf wie ein lebendes Wesen, die Decksplanken erbebten, fast einstimmig krachten die Kanonen; das Geschrei der Kanoniere ging unter im Quietschen der Lafetten und im dringlichen Kommandogebrüll vom Achterschiff.
Und noch einmal. Die Ceres schien sich scharf überzulegen, als ihre Kanonen abermals aufbrüllten. Tief unten im Orlopdeck, wo der infernalische Lärm komprimiert und noch verstärkt wurde, glaubte Bolitho, die Trommelfelle würden ihm platzen. Staub schoß aus den Planken, und den Niedergang herab kam Rauch gedriftet wie Nebel im Moor.
Einige Arzthelfer waren zusammengeschreckt und starrten nervös in den Rauch, andere machten sich mit Instrumenten und Eimern zu schaffen.
Heiser rekapitulierte Browne:»Zwei Breitseiten, Sir, aber keine Reaktion des Gegners.»
Bolitho schüttelte den Kopf zum Zeichen, daß er jetzt nicht sprechen wollte. Er fürchtete, daß ihm sonst etwas entging. Genau wie seine Gefährten konnte er die meisten Geräusche oben identifizieren: das Auswischen der Rohre, das Feststopfen der Ladung, die huschenden Schritte der Munitionsmänner, das unzusammenhängende Geschrei der Stückmeister, die ihr Ziel auffaßten.
Wie aber sah das andere Schiff aus? War es groß, war es klein?
Wieder einmal erschütterte eine Breitseite sie bis ins Mark. Daß sie nach Lee feuern mußten, war ein großes Erschwernis, dachte Bolitho. Bei diesem hohen Seegang mußten die Stückpforten fast unterschneiden, und wenn das gegnerische Schiff von einem kühlen Kopf geführt wurde, konnten die Franzosen kaum mit voller Erhöhung feuern.
Vereinzelte Jubelrufe oben, dann eine Breitseite mit länger auseinandergezogenem Feuer: immer zwei Schüsse und dann eine Pause von einigen Sekunden.
Erbost murmelte Allday:»Entweder trauen sich die Unsrigen nicht näher ran, oder die Franzosen haben sie schon entmastet.»
Bolitho sah den Kreis der Laternen schräg zur Decke hin kippen und so stehenbleiben, wie an unsichtbaren Fäden befestigt. Das Schiff legte sich stark über und schwang nur langsam wieder zurück. Also hatte der Kapitän gehalst, überlegte Bolitho, und lief jetzt einen etwas ruhigeren Kurs, auf dem er den Wind fast von achtern hatte. Offenbar hatte er sein Selbstvertrauen wiedergewonnen und nutzte die ganze Kraft des Sturms, um aus der Landabdek-kung zu kommen und den Feind einzuholen. Bolitho mußte seine Enttäuschung verbergen. Denn dies bedeutete, daß das andere Schiff entweder beschädigt oder den Franzosen hoffnungslos unterlegen war, an Bewaffnung ebenso wie an Manövrierfähigkeit.
Da schlug mit Krach und Donner eine Lawine aus Eisen in den Rumpf. Bolitho blieb vor Schmerz die Luft weg, als er hochgerissen wurde, so weit es seine Fesseln und Ketten zuließen. Halb betäubt sah er, daß sich das Orlopdeck mit Rauch und Lärm füllte.
Der Rumpf erbebte in allen Verbänden, als oben Stengen und Spieren zu Bruch gingen und aufs Deck krachten. Dann ein dumpfer Schlag, als sei eine Kanone umgestürzt. Stimmen überbrüllten das Getöse, verwandelten sich aber in jämmerliche Schmerzens-schreie, als eine zweite Breitseite — nur wenige Minuten nach der ersten — in den Rumpf krachte.
Im Rauch nur schlecht auszumachen, rutschten und hangelten sich Gestalten den Niedergang herunter; andere wurden rücksichtslos in den Lichtkreis der Laternen gezerrt. Die Arzthelfer erwachten zu fieberhafter Tätigkeit, als hätte der Blutgeruch sie aus ihre Trance gerissen.
Wieder legte sich das Deck ruckartig über: Die Franzosen erwiderten das Feuer. Noch einmal schlugen Kugeln ein, diesmal tiefer im Rumpf, und bald daraufhörte Bolitho das Quietschen der ersten Lenzpumpe.
Über dem Operationstisch hob und senkte sich ruckartig der Schatten des Chirurgen, das Lampenlicht reflektierte kurz von einer Messerschneide, dann von einem Sägeblatt. Unter seinen Händen wand sich eine nackte Gestalt, wurde aber von den Arzthelfern mit Aufbietung aller Kräfte niedergehalten.
Dann stürzte ein Mann aus dem Kreis um den Tisch und warf den amputierten Arm in einen abseits stehenden Eimer, als sei er ein Stück Abfall.
Wieder wurden schluchzende, schreiende Männer mit Gewalt ins Lazarett gezerrt oder getragen. Bolitho verlor jedes Zeitgefühl, selbst das frühe Morgenlicht verblaßte im Rauch und Dampf der Schlacht.
Die Kanonen schossen jetzt weniger systematisch, die Detonationen wirkten jedoch noch lauter; Bolitho folgerte daraus, daß der Gegner sehr nahe gekommen war und das Krachen zwischen den beiden Bordwänden widerhallte. Das Gefecht hatte eskaliert; bald mußte das Ende kommen.
Gebannt, mit schreckgeweiteten Augen, starrte Browne zu dem wie wahnsinnig arbeitenden Arzt hinüber. Er war kein junger Mann mehr, bewegte sich aber mit unglaublicher Energie. Er schnitt, sägte, nähte und winkte nach dem nächsten Verwundeten mit solcher Hast, daß ihn nicht einmal der Einschlag feindlicher Kanonenkugeln ablenken konnte. Seine Unterarme und die Schürze glänzten grellrot. Es war ein Bild des Grauens.
Gepreßt sagte Browne:»Allmächtiger Vater, gib, daß ich an Deck sterbe, wenn es soweit ist, und nicht in diesem Schlachthaus!»
Ein Chor warnender Schreie, dann atemberaubende Stille — und schließlich ein scheinbar endloser Donnerschlag: Ein ganzer Mast kam von oben und stürzte aufs Deck. Das Schiff bockte, als wolle es die tote Last abschütteln; Bolitho hörte Äxte auf das Gewirr der Wanten, Stage und Spieren einbauen, dann das schärfere Knattern von Gewehrfeuer und das Kläffen der Drehbassen.
«Nahkampf!«stieß er hervor.»Sie müssen gleich kommen.»
Wieder schrillten Schreie durch das Inferno, weitere Wrackteile polterten oben aufs Hauptdeck, und Bolitho wurde vom Scheuern und Klappern der gebrochenen Takelage an die letzten Augenblicke der Styx erinnert.
Wild um sich schlagend, fuhr Neale auf seiner Koje hoch und schrie:»Her zu mir, Leute! Haltet euch tapfer!«Blindlings holte er nach dem herbeieilenden Allday aus, aber der Schlag war so schwach wie der eines Kindes.
Allday knurrte:»Ich bringe Sie jetzt hier raus, Käpt'n. Also seien Sie ein artiger Junge.»
Im Zwielicht beugte er sich über zwei verwundete Seeleute, die von den Arztgehilfen bisher übersehen worden waren, und rollte den einen auf den Rücken. Aus der Kehle des Franzosen ragte ein Holzsplitter, so groß wie ein Seitengewehr, und der Mann starrte in qualvoller, stummer Agonie zu Allday empor. Mit rasselndem Atem sah er zu, als dieser ihm das Entermesser unter dem Gürtel hervorzog und es an sich nahm. Sein Kamerad war schon tot und außerdem unbewaffnet. Allday wandte sich von ihm ab und kehrte zu Bolitho zurück; er begann, mit der Spitze des Entermessers das Holz zu bearbeiten, in dem die Ringbolzen von Bolithos Fesseln saßen.
Begleitet von verwirrten und erschreckten Rufen, kamen weitere Verwundete herunter, aber diesmal wurden sie vorsichtiger behandelt. Bolitho erkannte einen abgewinkelten Arm, einen größer werdenden, dunkel glänzenden Fleck auf der Brust eines Mannes, dem ein schweres Kaliber zwischen die Rippen gefahren war, und er sah auch die Goldepauletten des Kommandanten funkeln.
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