»Sie werden sich eines Besseren besinnen, General.«
»Erweisen Sie mir die Ehre, vierundzwanzig Stunden mit mir zu verbringen, und Sie werden sehen, dass mein Entschluss gefasst ist.«
»Und wenn ich annehme?«
»Wäre ich überglücklich. Allerdings dürfen Sie nicht mehr verlangen, als ich Ihnen anbieten kann: ein Strohdach über dem Kopf, eines meiner Pferde als Reittier und freies Geleit, wenn Sie mich verlassen.«
»Einverstanden.«
»Und Ihr Wort, Monsieur, dass Sie sich nicht den Ordres widersetzen, die ich erteile, und meine Überraschungsangriffe nicht zu vereiteln versuchen.«
»Dafür bin ich viel zu neugierig; ich gebe Ihnen mein Wort, General.«
»Was auch immer vor Ihren Augen geschieht?«, beharrte Cadoudal.
»Was auch immer vor meinen Augen geschieht. Ich verzichte auf die Rolle des Handelnden und begnüge mich mit der des Zuschauers, denn ich will zum Ersten Konsul sagen können: Das sah ich mit eigenen Augen.«
Cadoudal lächelte. »Gut!«, sagte er. »Sie werden sehen.«
Kaum hatte er gesprochen, wurde die Tür geöffnet, und zwei Bauern trugen einen gedeckten Tisch mit einer dampfenden Terrine Kohlsuppe und Speck herein; zwischen zwei Gläsern stand ein riesiger Krug frisch gezapften schäumenden Apfelmosts. Gedeckt war für zwei Personen – eine unmissverständliche Einladung zum Abendessen an die Adresse des Obersten.
»Sehen Sie, Monsieur de Montrevel«, sagte Cadoudal, »meine Leute hoffen, dass Sie mir die Ehre erweisen werden, mit mir zu speisen.«
»Und sie täuschen sich nicht«, erwiderte Roland, »denn ich bin halb verhungert, und hätten Sie mich nicht eingeladen, wäre ich Gefahr gelaufen, mir gewaltsam etwas zu essen zu beschaffen.«
»Sie müssen verzeihen, dass ich Ihnen nur schlichte Kost anbieten kann«, sagte Cadoudal. »Ich verfüge nicht über eine Kriegskasse wie Ihre Generäle, und da Sie meine armen Bankiers auf das Schafott geschickt haben, sind mir die Nahrungsmittel knapp geworden. Ich will Ihnen das nicht zum Vorwurf machen, denn ich weiß, dass Sie ohne List und Tücke gehandelt haben und dass es ein ehrlicher Handel zwischen Soldaten war. Es gibt nichts daran zu tadeln, ganz im Gegenteil: Ich habe Ihnen für den Geldbetrag zu danken, den Sie mir aushändigen ließen.«
»Eine der Bedingungen, unter denen Mademoiselle de Fargas uns die Mörder ihres Bruders ausgeliefert hat, war die, dass das Geld, das sie in Ihrem Namen verlangt hat, Ihnen übergeben wird. Der Erste Konsul und ich haben nur unser Wort gehalten.«
Cadoudal verneigte sich; als Ehrenmann fand er das völlig selbstverständlich.
Dann wandte er sich an einen der beiden Bretonen, die den Tisch hereingetragen hatten: »Was hast du uns noch anzubieten, Brise-Bleu?«
»Ein Hühnerfrikassee, General.«
»Das ist der Speisezettel Ihres Diners, Herr von Montrevel.«
»Ein wahres Festmahl; ich befürchte nur eines.«
»Was wäre das?«
»Solange wir essen, steht nichts zu befürchten, aber wenn es ans Trinken geht...«
»Ah! Sie mögen keinen Apfelmost«, sagte Cadoudal. »Verwünscht! Das bringt mich in Verlegenheit. Apfelmost und Wasser, daraus besteht mein ganzer Weinkeller, wie ich gestehen muss.«
»Darum geht es mir nicht. Auf wessen Gesundheit werden wir trinken?«
»Das bringt Sie in Verlegenheit, Monsieur de Montrevel«, sagte Cadoudal mit unnachahmlicher Würde. »Wir werden auf die Gesundheit Frankreichs trinken, das unser beider Mutter ist. Wir dienen unserem Heimatland mit unterschiedlichen Ansichten, aber, wie ich hoffe, mit gleicher Liebe.«
»Auf Frankreich, Monsieur!«, sagte Cadoudal und schenkte ein.
»Auf Frankreich, General!«, erwiderte Roland und stieß mit Cadoudal an.
Und beide setzten sich fröhlich, beruhigten Gewissens, und machten sich mit dem gesunden Appetit junger Männer über die Kohlsuppe her.
Man wird sich denken können, dass Cadoudal weder so ausführlich noch so wohlwollend geschildert würde, wäre er nicht dazu bestimmt, eine der Hauptpersonen unserer Erzählung abzugeben, und wir begäben uns nicht in die Gefahr, uns zu wiederholen, wäre es uns nicht darum zu tun, durch ein möglichst genaues Porträt dieses außergewöhnlichen Mannes die Hochachtung, die Bonaparte für ihn hegte, verständlich zu machen.
Indem wir sein Handeln beobachten, indem wir zeigen, wie er sich zu helfen weiß, werden wir am ehesten die Avancen begreifen, einem Gegner gegenüber gemacht von jemandem, zu dessen Gepflogenheiten dies nicht einmal seinen Freunden gegenüber zählte.
Beim Ton einer Glocke, die ein Ave Maria erklingen ließ, zog Cadoudal seine Uhr.
»Elf Uhr«, sagte er.
»Ich stehe zu Ihren Diensten«, erwiderte Roland.
»Wir haben eine kriegerische Unternehmung in etwa sechs Wegstunden Entfernung vor. Wollen Sie sich vorher ausruhen?«
»Ich?«
»Ja, wenn Sie wollen, können Sie eine Stunde schlafen.«
»Danke, das ist nicht nötig.«
»Dann«, sagte Cadoudal, »brechen wir auf, sobald Sie bereit sind.«
»Und Ihre Männer?«
»Ach ja, meine Männer. Meine Männer stehen bereit.«
»Wo denn das?«, fragte Roland.
»Überall.«
»Zum Teufel! Das würde ich gerne sehen!«
»Sie werden es sehen.«
»Und wann?«
»Wenn es Ihnen beliebt. Meine Männer sind ausgesprochen diskret und lassen sich nur blicken, wenn ich sie dazu auffordere.«
»Und wenn ich sie sehen will...?«
»Werden Sie es mir sagen, ich mache ein Zeichen, und sie werden sich zeigen.«
Roland begann zu lachen.
»Glauben Sie mir nicht?«, fragte Cadoudal.
»Ganz im Gegenteil – nur... Brechen wir auf, General.«
»Brechen wir auf.«
Die beiden jungen Männer hüllten sich in ihre Mäntel und verließen das Haus.
»Zu Pferde!«, sagte Cadoudal.
»Welches ist für mich bestimmt?«, fragte Roland.
»Ich dachte mir, es wäre Ihnen recht, Ihr Pferd frisch und ausgeruht vorzufinden, und deshalb habe ich zwei meiner Pferde für diese Unternehmung bestimmt. Wählen Sie selbst, sie stehen einander in nichts nach, und in ihren Pistolenhalftern befindet sich jeweils ein exzellentes Paar Pistolen englischen Fabrikats.«
»Bereits geladen?«, fragte Roland.
»Und zwar gut geladen, Oberst, denn das ist eine Aufgabe, die ich keinem anderen anvertraue.«
»Zu Pferde dann«, sagte Roland.
Cadoudal und sein Begleiter saßen auf und schlugen den Weg nach Vannes ein. Cadoudal ritt neben Roland, und in zwanzig Schritt Entfernung folgte ihnen Branche-d’Or, der Generalstabschef der Armee, wie Georges ihn genannt hatte.
Die Armee selbst blieb unsichtbar. Die Straße, die so gerade verlief, als wäre sie mit dem Lineal gezogen, wirkte völlig verlassen.
Die zwei Reiter legten etwa eine halbe Wegstunde zurück.
Nach Ende dieser Zeit fragte Roland ungeduldig: »Zum Teufel auch, wo stecken Ihre Männer?«
»Meine Männer? Zu unserer Rechten, zu unserer Linken, vor uns, hinter uns, überall. Ich scherze nicht, Oberst. Halten Sie mich etwa für so tollkühn, dass ich mich ohne Aufklärer mitten unter derart erfahrene und wachsame Männer wie Ihre Republikaner wagen würde?«
Roland schwieg einen Augenblick und sagte dann zweifelnd: »Wenn ich mich recht erinnere, General, sagten Sie, ich brauchte es nur zu sagen, wenn ich Ihre Männer sehen wollte. Nun gut, jetzt will ich sie sehen!«
»Ganz oder teilweise?«
»Wie viele, sagten Sie, haben Sie bei sich?«
»Dreihundert.«
»Wohlan! Dann will ich hundertfünfzig von ihnen sehen.«
»Halt!«, rief Cadoudal.
Und er hielt seine Hände wie einen Trichter vor den Mund und ließ den Ruf des Käuzchens ertönen, gefolgt vom Ruf der Schleiereule, mit dem Unterschied allerdings, dass der Ruf des Käuzchens nach rechts erfolgte und der Schleiereulenruf in die linke Richtung.
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