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Robert Lyndon: Der Thron der Welt

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Robert Lyndon Der Thron der Welt

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Über dieses Buch Man schreibt das Jahr 1072 nach Christi Geburt. Der fränkische Krieger Vallon hat nichts mehr zu verlieren. In den Alpen begegnet er dem jungen Gelehrten Hero, unterwegs mit seinem Meister. Als dieser stirbt, bittet Hero Vallon um seine Begleitung nach England, wo er einem normannischen Ritter die Lösegeldforderung des türkischen Sultans für seinen Sohn überbringen soll. Doch der Preis für die Freiheit des jungen Sir Walter Olbec ist unermesslich hoch: vier weiße Gerfalken, kostbare Vögel, die überaus selten sind. Nur hoch im Norden, im ewigen Eis, hat man schon Exemplare davon gesehen. Für Vallon, Hero und ihre Gefährten beginnt eine atemberaubende Odyssee durch die entlegensten Länder der Welt – von Grönland über Russland bis nach Konstantinopel, über das tobende Nordmeer und blutgetränkte Schlachtfelder. Grausame Wikingerkrieger und rachsüchtige Normannen stellen sich ihnen in den Weg, wilde Flüsse und unwegsame Pfade gilt es zu überwinden, bis sie endlich ans Ziel kommen – und die Welt plötzlich nicht mehr so ist, wie sie einmal war … Über Robert Lyndon Robert Lyndon beschäftigt sich seit seiner Kindheit mit Falknerei und Geschichte. Einige Szenen aus dem «Thron der Welt» gründen sich auf seine eigenen Erfahrungen als Falkner, Kletterer und Reisender. Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel «Hawk Quest» bei Little, Brown Book Group, UK

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«Und was ist mit dem Evangelium? Das interessiert mich viel mehr.»

Hero versteckte den Brief im Geheimfach seines Kastens und öffnete das Buch. «Es ist in Altgriechisch auf Papyrus geschrieben.»

«Lies vor.»

«Die Tinte ist verblasst. Ich brauche mehr Licht.»

Vallon warf den Rest des Gestrüpps, das Hero gesammelt hatte, ins Feuer. Die Flammen schlugen vier Fuß hoch. Hero hielt die Seiten ins Licht. «Der Anfang lautet genauso, wie Cosmas ihn transkribiert hat. Dann geht es so weiter: Dies sind die geheimen Worte, die der lebendige Jesus gesprochen hat, und Judas Thomas genannt Didymos hat sie aufgeschrieben und gesagt: ‹Wer immer diese Worte deuten kann, wird den Tod nicht kosten .›»

Er blätterte um und folgte der Zeile mit dem Finger. «Das ist interessant. Dieser Abschnitt beschreibt die Kindheit und Erziehung Jesu. Das tut keines der anderen Evangelien.»

«Dann ist es wirklich ein ganz besonderer Fang.»

Das Feuer begann wieder in sich zusammenzusinken. Hero hielt das Buch dichter daran und schlug es an einer zufälligen Stelle auf. Er starrte auf die Schrift, seine Lippen bewegten sich.

Vallon rückte näher an ihn heran. «Behalt es nicht für dich.»

Hero sprach leise, beinahe zögernd. « Jesus sagte zu seinen Jüngern: ‹Vergleicht mich mit irgendeinem, und sagt mir, wem ich gleiche.›

Simon Petrus antwortete: ‹Du bist wie ein redlicher Engel.›

Matthäus gab zurück: ‹Du bist wie ein weiser Pilosoph.›

Thomas war bekümmert und sagte: ‹Herr, mein Mund ist zu schwach um zu sagen, wem du gleichst.›

Da nahm Jesus Thomas zur Seite und sagte ihm drei Dinge. Als Thomas zu seinen Gefährten zurückkehrte, fragten sie ihn: ‹Was hat Jesus zu dir gesagt?› Thomas antwortete: ‹Wenn ich euch auch nur eines der drei Dinge wiedersage, die er mir gesagt hat, werdet ihr Steine aufheben und sie auf mich werfen. Und ein Feuer wird aus den Steinen kommen und euch verbrennen. ›»

Vallon beugte sich gespannt vor. «Und was hat Jesus zu ihm gesagt?»

Hero war mit dem Buch näher und näher an das schwindende Licht gerückt. «Es nützt nichts. Ich kann nichts mehr erkennen.»

«Ich zünde eine Lampe an», sagte Vallon. Er zog einen glimmenden Ast aus dem Feuer, hielt ihn an den Docht und reichte Hero die Lampe. «Mach da weiter, wo du aufgehört hast. Welche Geheimnisse hat Jesus an Thomas weitergegeben?»

Hero hob das Buch, leuchtete die Seite an und musterte sie genau. Seine Augen weiteten sich, und sein Mund öffnete sich vor Erstaunen.

Vallon lachte. «Was? Sind diese Geheimnisse so tiefgründig, dass du sie nicht mit einem Sünder teilen kannst, der eines Tages zur Hölle fährt?»

Doch Hero sah nicht Vallon an. Seine Hand zitterte, als er sie hob. «Herr.»

Vallon fuhr herum. Schwarz hoben sich vor dem Sternenhimmel ein Dutzend Reiter ab, die auf sie zukamen. «Gütiger Gott!»

Faruq ritt in der Mitte der seldschukischen Linie. «Habt Ihr wirklich geglaubt, Ihr könntet Seine Exzellenz überlisten?» Er schnippte mit den Fingern. «Gebt es mir.»

«Es ist nur ein Buch, das mir Hero abends zum Zeitvertreib vorliest.»

«Gebt es mir.»

Hero reichte ihm das Buch. Faruq blätterte darin. «Was ist das?»

«Ich habe es Euch schon gesagt – ein Buch mit Geschichten, das einem in den Stunden der Dunkelheit die Langeweile vertreibt.»

Chinua half Faruq vom Pferd. Der Hofmeister hielt das Evangelium über die Glut des Lagerfeuers. «Dann verliert Ihr nichts weiter als müßige Unterhaltung, wenn ich es verbrenne.»

Hero und Vallon schwiegen.

Faruq ließ das Buch in die Glut fallen. Hero warf sich nach vorn, griff nach dem Buch und wischte die Funken von ihm ab. Chinua richtete sein Schwert auf Heros Kehle, riss ihm das Evangelium aus der Hand und gab es an Faruq zurück.

«Soso, Geschichten», sagte Faruq. «Seine Exzellenz weiß, dass jedenfalls Ihr ihm nicht die ganze Geschichte erzählt habt.» Er schlug mit dem Buch in seine Handfläche. «Ich frage Euch zum letzten Mal – was ist es? Warum ist es so wichtig?»

Vallon warf Hero einen Blick zu, mit dem er ihre Niederlage eingestand. «Es ist ein verlorenes Evangelium. Das Evangelium des Thomas, der einer der Jünger Jesu war. Walter ist in Armenien darangekommen und hat versprochen, es Cosmas zu geben, sollte er das Lösegeld beschaffen.»

Faruq hielt das Buch zu den Sternen hoch. «Ihr seid in das Reich Seiner Exzellenz gekommen, um ein Buch der Christen zu stehlen.» Er schüttelte den Kopf. «Das ist ein sehr schweres Vergehen. Sehr schwer.»

Hero sprang auf die Füße. «Vallon wusste nichts von dem Evangelium, als er sich mit mir auf den Weg gemacht hat. Cosmas hatte mir davon erzählt, aber ich habe Vallon das Geheimnis erst verraten, als wir schon lange unterwegs waren. Wenn irgendwer bestraft werden soll, dann lasst es mich sein.»

Faruq ließ seinen Blick auf ihnen ruhen. «Was habt Ihr noch aus dem Turm geholt?»

Vallon starrte in die Glut. «Nichts.» Faruq nickte Chinua zu. «Durchsuch sie.»

Chinua nahm Heros Kasten und reichte ihn Faruq. Dieser betrachtete seinen Inhalt, fuhr über die Deckelschnitzereien, klopfte auf die Seiten. Hero verfolgte seine Bewegungen mit angehaltenem Atem, er war sich sicher, dass ein Mann von Faruqs Erfahrung ein Geheimfach in dem Kasten vermuten würde. Doch Faruq sah ihn an. «Sonst habt Ihr nichts genommen?»

«Nur das Evangelium.»

Faruq stellte den Kasten auf den Boden. Seine Männer halfen ihm wieder in den Sattel. Er hob den Zeigefinger. «Der Emir wird enttäuscht sein, dass Ihr ihn belogen habt.»

Hero und Vallon warteten auf die Verkündung der Strafe. Der Mond stand hoch am Himmel mitten über dem See, sein marmoriertes Angesicht spiegelte sich auf dem glatten Wasser.

Vallon zuckte mit den Schultern. «Seine Exzellenz wird entzückt sein zu erfahren, dass er recht gehabt hat.»

Faruq lächelte. «Es wäre zu viel Aufwand, Euch zum Emir zu bringen, damit er persönlich über Euch urteilt.» Er klemmte sich das Evangelium unter den Arm. «Ich werde das behalten, und Ihr könnt nach Konstantinopel gehen.» Er wendete sein Pferd und zügelte es dann noch einmal. «Das hätte ich fast vergessen. Mein Rubinring. Er war ein Geschenk des Emirs. Er bedeutet mir sehr viel.»

Vallon klaubte ihn aus einem Beutel und hielt ihn wortlos in die Höhe. Faruq schob den Ring über seinen Finger und gab einen Befehl, woraufhin die Seldschuken zu Bokes Lager hinüberritten.

Vallon kauerte sich an ihr eigenes erbärmliches Feuer und versuchte, mit der rechten Hand die Decke über seine linke Schulter zu ziehen. Eine Eule schrie oben im Turm, und draußen auf der Hochebene jaulten Schakale.

Hero stand auf und deckte ihn sorgfältig zu. Vallon hob die Augen und sah seine eigenen zerstörten Hoffnungen in Heros Blick. Er vergrub das Gesicht in den Händen und schüttelte den Kopf. «Sag nichts. Lass uns einfach still hier zusammensitzen.»

LIV

Als sie am nächsten Morgen aufwachten, waren sie allein, das Seldschukenlager und die Straße in beiden Richtungen verlassen. Sie frühstückten in dem bedrückten Schweigen, in dem sie den Vorabend verbracht hatten. Dann machte sich Vallon an das mühselige Vorhaben, in den Sattel zu kommen.

Auch Hero stieg auf. «Wohin?»

Vallon richtete sein Pferd nach Norden.

«Was ist mit Caitlin? Sie wartet auf uns.»

Vallon ritt los. «Worauf sollte sie noch warten? Sieh mich an. Ein hilfloser Krüppel. Sogar mein Plan, in die Warägergarde einzutreten, ist zum Teufel gegangen. Niemand würde einen Soldaten in meiner Verfassung in seinen Dienst nehmen.»

Hero holte zu ihm auf. «Sie weiß, in welcher Verfassung Ihr seid. Sie will trotzdem bei Euch sein. Ich habe ihre Liebeserklärung gehört.»

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