»Sie leben wahrhaftig! ruft einer der Umstehenden.
- Es fehlt ihnen nur die Sprache! bemerkte ein andrer.
- Das laßt Euch nicht leid thun!« setzt der Pharmaceut hinzu, der in unbewachten Augenblicken den Demokraten heraussteckt.
Er hatte auch Recht. Man denke sich nur Puppen, die höfische Redensarten drechseln.
»Ich möchte wohl wissen, was sie in Bewegung setzt, läßt sich der Schlächter vernehmen.
- Das ist der reine Gottseibeiuns, äußert ein Matrose.
- Ja, der Teufel, rufen einige schon halb überzeugte Matronen, die sich dem Geistlichen zugewendet bekreuzen, während der fromme Herr eine nachdenkliche Miene macht.
- Wie könnt Ihr annehmen, daß der Teufel in diesem Kasten steckt, erwidert ein wegen seiner Naivetät bekannter Ladenjüngling, der Teufel ist dazu viel zu groß.
- Na, wenn er nicht drin steckt, so steht er draußen! schwatzt eine alte Stadtklatsche. Der da, der dieses Schauspiel vorführt.
- Ach nein, unterbricht sie der Droguist, Ihr wißt doch, daß der Teufel nicht irländisch spricht!«
Das ist die Wahrheit, die Paddy ohne Widerspruch zugiebt, und man einigte sich also darüber, daß Thornpipe wegen seines rein irischen Dialects der Teufel nicht sein könne.
Wenn die Sache also nicht mit Hexerei zuging, mußte nothwendiger Weise ein innerer Mechanismus vorhanden sein, der diese kleine Welt in Bewegung setzte.
Niemand hatte Thornpipe jedoch etwa eine Feder aufziehen sehen. Ja, als die Bewegungen sich zu verlangsamen begannen, da hatte - eine Besonderheit, die dem Pfarrer nicht entging -ein Peitschenhieb Thornpipe's unter den von der Decke verhüllten Kasten genügt, die Puppengesellschaft aufs neue zu beleben.
Den Pfarrer drängte es, zu erfahren, wem diese fühlbare Aufmunterung wohl gegolten haben möge, deshalb fragte er Thornpipe:
»Sie haben wohl einen Hund dort in Ihrem Kasten?«
Der Mann sah ihn, die Stirn runzelnd, an, als finde er diese Frage etwas indiscret.
»Da drin ist, was eben drin ist! antwortete er. Das bleibt mein Geheimniß. Ich fühle mich nicht verpflichtet, es zu verrathen.
- Dazu sind Sie nicht verpflichtet, meinte der Geistliche, wir aber haben doch das Recht, zu vermuthen, daß es ein Hund ist, der Ihren Mechanismus treibt.
- Nun ja. ein Hund! gab Thornpipe ärgerlich zu, ein Hund in einem Trommelkäfig. Es hat mir Zeit genug gekostet, ihn so weit zu dressieren. Und welchen Lohn hab' ich nun für meine Mühen erhalten? Nicht die Hälfte von dem, was man jedem Geistlichen für das Lesen einer einzigen Messe bezahlt!«
Eben als Thornpipe seinen Satz beendete, stand der Mechanismus still, zum großen Mißvergnügen der Zuschauer, deren Interesse noch lange nicht befriedigt war. Der Puppenvorzeiger ging daran, den Karrendeckel zu schließen, und erklärte, daß die Vorstellung zu Ende sei.
»Würden Sie bereit sein, noch eine zweite zu geben? fragte da der Pharmaceut.
- Nein! erklärte Thornpipe, der viele verdächtige Blicke auf sich gerichtet sah, mit barscher Entschiedenheit.
- Auch nicht, wenn wir Ihnen für eine Einnahme von zwei Schillingen einständen?
- Weder für zwei noch für drei Schillinge!« rief Thornpipe.
Er dachte nur, sich aus dem Staube zu machen, das Publicum schien aber nicht in der Laune, ihn so schnell fortzulassen. Auf einen Wink seines Herrn zog der Köter in der Gabeldeichsel schon an, als sich ein langer, mit Schluchzen untermischter Klagelaut aus dem Kasten hören ließ.
Wüthend rief Thornpipe, wie schon früher einmal:
»Wirst Du schweigen, Hundejunge!
- Das ist kein Hund, der da drin steckt, sagte der Geistliche, den Karren zurückhaltend.
- Und doch! versetzte Thornpipe.
- Nein. das ist ein Kind!.
- Ein Kind!. Ein Kind!« wiederholten die Zuschauer.
Jetzt ging in der Empfindung der Leute eine mächtige Veränderung vor sich.
Nicht Neugier, sondern Theilnahme war es, die sich in ihrer drohenden Haltung kundgab. Ein Kind war in diesem an der Seite offenen Kasten verborgen und wurde mit der Peitsche angetrieben, wenn es anhielt, weil ihm die Kräfte erlahmten, sich in seinem Käfig zu bewegen.
»Das Kind!. Das Kind heraus!« klang es von allen Seiten.
Thornpipe sah sich einer Uebermacht gegenüber. Er wollte jedoch Widerstand leisten und seinen Karren vorwärts schieben.. Vergeblich. Der Schlächter packte ihn an der einen, der Droguist an der andern Seite und so wurde das
Gefährt tüchtig geschüttelt. Der königliche Hof dürfte wohl niemals einen solchen Verlauf seiner Feierlichkeiten erlebt haben, bei dem die Prinzen die Prinzessinnen stießen, die Herzöge die Marquis umrannten, der Premierminister hinfiel und einen Sturz des ganzen Cabinets damit herbeiführte. kurz, ein Durcheinander, wie es im Schlosse Osborne gewiß nur vorkäme, wenn ein Erdbeben die ganze Insel Wight erschütterte.
Thornpipe wurde bald überwältigt, wenn er sich auch wie ein Rasender wehrte. Alle betheiligten sich dabei. Der Karren wurde untersucht, der Droguist kroch zwischen die Räder und zog aus dem Kasten ein Kind hervor..
Ja, ein Jüngelchen von etwa drei Jahren mit bleichem, leidendem Gesicht, mühsamem Athem und mit Beinchen, die mit Striemen überdeckt waren.
Kein Mensch in Westport kannte den Kleinen.
So gestaltete sich das erste Erscheinen des »Findlings«, des Helden dieser Erzählung. Wie er diesem Wütherich in die Hände gefallen und wer sein Vater wäre, das war schwerlich zu ergründen. In Wahrheit hatte Thornpipe das Kind vor neun Monaten in der Dorfstraße von Donegal aufgelesen und zu dem nun erkannten Dienste verwendet.
Eine wackre Frau nahm das Bürschchen in die Arme und sachte es aufzumuntern. Alle drängten sich um den Kleinen. Das arme Eichkätzchen, das verurtheilt gewesen war, seinen Käfig unter dem Karrenkasten in Drehung zu versetzen, hatte ein interessantes, ja intelligentes Gesicht; aber auf diese Weise sich den Unterhalt verdienen zu müssen - und in so zartem Alter!
Endlich öffnete der kleine Knabe die Augen und warf sich rückwärts, als er Thornpipe gewahrte, der herantrat und mit der Aufforderung: »Gebt mir den Jungen zurück!« ihn wiederzuerlangen sachte.
»Seid Ihr sein Vater? fragte der Geistliche.
- Ja.. antwortete Thornpipe hastig.
- Nein. das ist mein Papa nicht! rief weinend das Kind, das sich der Frau anschmiegte.
- Er gehört Euch gar nicht an! wetterte der Droguist.
- Ein gestohlener Bursche ist's! setzte der Schlächter hinzu.
- Und wir geben ihn nicht zurück!« erklärte der Pfarrer.
Thornpipe wollte sich nicht ergeben. Mit geröthetem Gesicht und zornsprühenden Augen verlor er ganz die Fassung und war schon daran, »auf irländisch zu spaßen«, d. h. ein Messer zu ziehen, als sich zwei kräftige Männer auf ihn stürzten und ihn entwaffneten.
»Jagt ihn davon!. Jagt ihn fort! heulten die Frauen.
- Mach' Dich auf den Weg, Spitzbube! sagte der Droguist.
- Und laßt Euch in der Grafschaft nicht wieder erblicken!« schloß der Geistliche mit einer drohenden Bewegung.
Thornpipe trieb den Hund mit der Peitsche an und der Karren rollte die Hauptstraße von Westport wieder hinaus.
»Der Schurke! - so machte sich der Pharmaceut noch Luft -ich gebe ihm keine drei Monate, bis er das Menuet von Kilmainham getanzt hat!«
Dieses Menuet tanzen, bedeutet nach landläufiger Sprechweise, seine letzte Gigue vor einem Galgen abtanzen.
Der Pfarrer fragte das Kind nach seinem Namen.
- »Findling« heiß' ich,« lautete die sichere Antwort.
Und in der That: es hatte keinen andern Namen.
Drittes Capitel
Ragged-School (die Lumpenschule)
»Nummer 13, was hat der?.
- Das Fieber.
- Und Nummer 9?.
- Den Keuchhusten.
- Nummer 17?.
- Auch den Keuchhusten.
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