Da hält sich vor dem Throne in ehrfurchtsvoller Unbeweglichkeit ein hochgewachsener Mann von ausgesprochen angelsächsischem Typus, der nur ein Minister der Königin sein kann.
Es ist auch einer, nämlich der Chef des Cabinets von St. James, den man an dem unter der Last der Geschäfte etwas gekrümmten Rücken leicht genug erkennt.
Thornpipe geht weiter in seinen Erklärungen.
»Und neben dem Premierminister, zur Rechten, der ehrwürdige Herr Gladstone.«
Wahrlich, es wäre schwierig gewesen, den berühmten »Old man« nicht zu erkennen, den schönen Greis, der sich noch immer aufrecht hält, der immer bereit ist, seine liberalen Anschauungen gegen die der conservativen Regierung zu vertheidigen. Vielleicht könnte es auffallen, daß er den Premierminister mit freundlichem Blicke betrachtet; doch was bei Wesen aus Fleisch und Bein unmöglich wäre, das hat bei Puppen aus Pappe und Holz ja nicht viel auf sich.
Ein außergewöhnlicher Anachronismus verschuldet auch noch eine andre Nebeneinanderstellung, denn Thornpipe bläst die Backen auf und verkündet:
»Hier, Ladies und Gentlemen, stelle ich Ihnen Ihren berühmten Landsmann O'Connell vor, dessen Name in jedem irländischen Herzen allezeit ein Echo finden wird.«
Ja, da befand sich O'Connell am Hofe Englands und im Jahre 1875, obwohl er schon seit einem Vierteljahrhundert todt war. Auf einen dagegen erhobenen Einwand hätte Thornpipe jedenfalls geantwortet, daß der große Agitator für einen Sohn Irlands immer fortlebt. Mit ähnlicher Begründung hätte er da auch Parnell aufstellen können, obwohl dieser Politiker jener Zeit kaum bekannt war.
Da und dort stehen noch andre Höflinge verstreut, deren Namen uns entgehen, alle mit Ordenssternen und Bändern übersäet, politische und kriegerische Berühmtheiten, darunter Se. Gnaden der Herzog von Cambridge neben dem seligen Lord Wellington, der verstorbene Lord Palmerston neben dem verstorbenen Pitt; endlich Mitglieder der Pairskammer in vertraulichem Gespräche mit solchen aus dem Hause der Gemeinen; hinter diesen eine Reihe Horse-guards in Parade, im Salon zwar, aber doch zu Pferde, eine Andeutung, daß es sich hier um ein Fest handelt, wie es selbst im Schlosse zu Osborne selten vorkommt.
Das Ganze umfaßt etwa fünfzig kleine Männchen, die alle schreiend bemalt sind und mit steifer Würde alles darstellen, was an Hocharistokratie, an Auszeichnung und Rangstellung in der militärischen und politischen Welt des Vereinigten Königreichs vorhanden ist.
Man bemerkt sogar, daß die britische Flotte nicht vergessen wurde, und wenn die königliche Yacht »Victoria and Albert« hier nicht unter Dampf ist, so sieht man wenigstens Schiffe an die Fensterscheiben gemalt, durch die man die Rhede von Spithead zu erkennen glaubt. Mit guten Augen würde man gewiß die Yacht »Enchantereß« unterscheiden können, mit Ihren Ehren den Lords der Admiralität an Bord, die in einer Hand ein Fernrohr, in der andern ein Sprachrohr halten.
Mit der Behauptung, daß seine Schaustellung einzig in ihrer Art sei, hat Thornpipe das Publicum nicht betrogen. Auf jeden Fall macht sie eine Reise nach der Insel Wight unnöthig. Außerdem bereitet sie nicht nur den Gassenbuben, die sie mit Bewunderung betrachten, sondern auch den Erwachsenen, die niemals über die Grenzen Connaugths hinauskamen, ein wirkliches Vergnügen. Der Parochialgeistliche lächelt vielleicht im Stillen darüber; der Droguist kann sich nicht enthalten zu bestätigen, daß die Aehnlichkeit der dargestellten
Personen überraschend sei, obwohl er diese in seinem Leben nicht gesehen hat. Der Fleischer gestand ein, was er hier sehe, übertreffe seine Vorstellungen davon, denn er könne nicht glauben, daß bei einem Empfange am Hofe so viel Luxus und Glanz entfaltet werde.
»Nun, Ladies und Gentlemen, nimmt Thornpipe wieder das Wort, das ist bis jetzt noch gar nichts. Sie glauben jedenfalls, daß diese königlichen und die andern Personen sich gar nicht bewegen könnten. Fehlgeschossen! Sie leben wirklich, ich versichere es, leben, wie Sie und ich selbst, was Sie sofort sehen sollen. Vorerst bin ich so frei, eine kleine Einsammlung zu veranstalten, wozu ich mich Ihrem geneigten Wohlwollen empfehle.«
Das ist der kritische Augenblick für solche Schausteller, wenn die Sammelbüchse unter den Zuschauern zu kreisen beginnt. Ganz gewöhnlich zerfallen letztere in zwei Classen: in die, die sich aus dem Staube machen, um nicht in die Tasche greifen zu müssen, und in die, welche dableiben mit der Absicht, sich umsonst zu amüsieren - die zweite Classe bildet übrigens die Mehrzahl. Wohl giebt es noch eine dritte Classe, die der Zahlenden, deren sind aber so wenige, daß es sich gar nicht verlohnt, von ihnen zu sprechen. Das zeigte sich deutlich genug, als Thornpipe seinen kleinen Umgang antrat und dazu ein liebenswürdiges Lächeln heuchelte.
Sicherlich hätte man bei der ganzen Lumpengesellschaft, die nicht von der Stelle wich, keine zwei Coppers finden können, und alle, die das weitere Schauspiel unentgeltlich genießen wollten, wendeten beim Nahen der Sammelbüchse einfach den Kopf ab, so daß nur fünf bis sechs Zuschauer in die Tasche griffen, was den Ertrag von einem Schilling drei Pence ergab den Thornpipe mit süßsaurer Miene einsteckte. Was half's? Er mußte sich, in Erwartung einer reicheren Ernte bei der Nachmittagsvorstellung, schon begnügen und lieber das angekündigte Programm durchführen, als etwa das Geld zurückzugeben.
Jetzt verwandelte sich aber die bisher stumme Bewunderung in eine laute, lärmende Kundgebung des Beifalls. Es begann ein Händeklatschen, ein Trampeln mit den Füßen und ein »Aoh«rufen, daß man's wohl bis zum Hafen hinunter hätte hören können.
Thornpipe hatte mit seinem Stabe an den Kasten geschlagen, worauf ein von niemand beachtetes leises Seufzen Antwort gab. Plötzlich erschien die ganze Scene wie durch ein Wunder in naturgetreuer Bewegung.
Die durch einen inneren Mechanismus bewegten Puppen schienen wirklich Leben bekommen zu haben. Ihre Majestät die Königin Victoria hatte zwar den Thron nicht verlassen, was ein Verstoß gegen die Etiquette gewesen wäre, sie hatte sich nicht einmal erhoben, sie bewegte aber das gekrönte Haupt und hob und senkte das Scepter, wie die Kapellmeister den Tactierstock beim Dirigieren. Die Mitglieder der königlichen Familie drehen und wenden sich, grüßend und Grüße erwidernd, hier- und dorthin, während die Herzöge, Marquis und Baronets in größter Ehrfurcht vorüberdefilieren. Der Premierminister verneigt sich vor Herrn Gladstone, der es ihm gleichthut. Nach ihnen schreitet O'Connell auf unsichtbarer Fuge mit Ernst und Würde vor, und ihm folgt der Herzog von Cambridge, der einen Charaktertanz aufzuführen scheint. Die andern Persönlichkeiten schließen sich dem Zuge an, und die Pferde der Horse-guards bäumen sich schweifwedelnd, als wären sie nicht in einem Saale inmitten des Schlosses von Osborne, sondern auf dessen geräumigen Hofe aufgestellt.
Das Ganze vollzieht sich unter einer leisen, aber scharfen Musikbegleitung, bei der allerdings manche Töne nicht zum Ausdruck kommen. Doch wie hätte Paddy - der für Musik so empfänglich ist, daß Heinrich VIII. das Wappen des Grünen
Erin noch mit einer Harfe bereicherte - davon nicht entzückt sein sollen, obgleich er statt God save the Queen oder Rule Britannia, den melancholischen Nationalgesängen des traurigen Vereinigten Königreiches, lieber eine irische Weise gehört hätte.
Für Jeden, der die Maschinerie eines größeren Theaters noch nicht kannte, mußte der Vorgang hier entschieden etwas Wunderbares an sich haben; so entfesselte denn auch der Anblick dieser sich bewegenden Puppen bei den Zuschauern einen Enthusiasmus ohne Gleichen.
Da, wie durch einen Ruck im Mechanismus, senkt die Königin ihr Scepter so tief, daß sie damit den runden Rücken des Premierministers berührt. Ein doppeltes Hurrah der Zuschauer braust durch die Lüfte.
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