Er ihr Blick musste zur Kellertür geschweift sein, denn der ihr näherstehende der zwei Agenten grinste. “Wie wär’s, wenn du da einfach stehen bleibst, mein Fräulein?” Der Agent, der durch die Tür sprach, hatte aschblondes Haar und ein Gesicht, das möglicherweise freundlich und jungenhaft wäre, hätten sie nicht gerade die Haustür eingetreten. Er hielt seine leeren Hände hoch. “Wir sind nicht bewaffnet. Wir wollen dir oder deiner Schwester nicht wehtun.”
“Ich glaube euch nicht”, antwortete Maya. Sie blickte schnell über ihre Schulter, nur eine halbe Sekunde, und sah die Schatten der zwei schwarzgekleideten Männer immer noch auf der Terrasse lungern.
WUUUPP! WUUUPP! WUUUPP! Plötzlich plärrte eine Sirene durch das Haus, ein ohrenbetäubender Hupton, der alle drei verwirrt um sich sehen ließ. Maya brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass es ihr Alarmsystem war, das aktiviert wurde, falls die Tür eingetreten wurde und nach sechzig Sekunden losging, wenn der Code nicht eingegeben wurde.
Die Polizei, dachte sie hoffnungsvoll. Die Polizei wird kommen.
“Mach es aus!” brüllte der Agent sie an. Doch sie bewegte sich nicht.
Dann – Glas zersprang hinter ihr. Maya sprang und drehte sich instinktiv um, als sie hörte, wie die Glasschiebetür zum Hinterhof nach innen explodierte. Einer der schwarzgekleideten Männer trat durch sie ein.
Sie hielt nicht an, um nachzudenken, doch eine Erinnerung blitzte sofort durch ihr Gedächtnis: Das Hotel in Engelberg in der Schweiz. Der Mann von der Division, der sich als CIA ausgab, der gewaltsam in ihr Zimmer drang, sie angriff.
Maya drehte sich schnell wieder zu den FBI Agenten um. Einer von ihnen war in der Nähe der Steuerung des Alarmsystems, doch er blickte sie an, als der Alarm weiter laut tönte. Die Augen des anderen Agenten, mit dem jugendlichen Gesichtsausdruck, waren weit geöffnet und seine Hände leicht in die Luft gehoben. Sein Mund bewegte sich, doch seine Worte wurden von dem dröhnenden Alarm übertönt.
Starke Arme ergriffen sie von hinten und sie schrie auf. Sie kämpfte gegen ihren Angreifer, doch er war stark. Sie roch seinen sauren Atem, als der Mann sich um sie schlang und sie immobilisierte.
Er riss sie von den Füßen und hielt sie fest, ihre Bein traten um sich und ihre Arme waren in einem schmerzhaften Winkel hochgezogen. Sie war nicht stark genug, um sich loszukämpfen.
Entspanne dich, wies sie ihr Gehirn an. Kämpfe nicht. Sie hatte an der Universität Selbstverteidigungsunterricht mit einem ehemaligen Marinesoldaten genommen, der sie genau in dieses Szenario gebracht hatte – ein größerer, schwerer Angreifer, der sie von hinten festhält.
Maya zog ihr Kinn ein, berührte fast ihr Schlüsselbein damit.
Dann warf sie ihren Kopf so fest wie sie konnte nach hinten.
Der Mann von der Division, der sie festhielt, schrie vor Schmerz auf, als ihr Hinterkopf auf seine Nase traf. Sein Griff wurde lose und ihre Füße berührten erneut den Boden. So bald dies geschehen war, drehte sie ihren Körper, zog den Kopf ein, um aus seinen Armen zu kommen und ließ sich in die Hocke fallen.
Sie wog ganze fünfzig Kilo. Doch als sie sich fallen ließ, während der Arm des Mannes noch weiter in ihrem Ellenbogen verhakt war, wurde er plötzlich fünfzig Kilo schwerer und er kam durch den scharfen Schlag ins Gesicht aus dem Gleichgewicht.
Er taumelte und fiel auf den gefliesten Boden der Eingangshalle. Maya sprang zurück, von ihm weg, als er fiel. Sie blickte über ihre Schulter und sah, dass der zweite Mann der Division in der kaputten Tür stand. Scheinbar zögerte er, einzutreten, nachdem sie seinen Kumpel zu Fall gebracht hatte.
Sie war nur einen Meter von der Kellertür entfernt. Sie könnte losrennen und den Panikraum erreichen, bis die Polizei ankam…
Der Söldner in der Tür griff hinter sich und zog eine schwarze Pistole heraus. Mayas Atem blieb ihr im Hals stecken, als sie die Waffe sah.
KRACK! Selbst mit dem heulenden Alarm hörten sie beide das scharfe Geräusch. Maya und der Söldner drehten sich beide wieder um.
Es war der FBI Agent, der die Tür eingetreten hatte, jener, der am nächsten an der Steuerung des Alarmsystems stand. Sein Kopf steckte in der Trockenbauwand des Eingangsbereiches. Sein Körper hing schlaff.
Eine Figur schlenderte voran und schwang den Reifenmontierhebel erneut, platzierte damit einen ordentlichen Schlag in den Kiefer des zweiten Agenten. Das Geräusch ließ Maya die Zähne aufeinanderbeißen und der Agent ging wie eine welke Nudel zu Boden.
Als der Söldner der Division seine Waffe gegen die neue Bedrohung erhob, holte der stämmige Mann aus und warf den Reifenmontierhebel durch die Luft. Er wirbelte knapp an Maya vorbei und traf den Söldner direkt in die Stirn. Er gab kaum ein Geräusch von sich, als sein Körper rückwärts durch die kaputte Tür fiel.
Der große Mann trug eine Fernfahrermütze über einem buschigen Bart. Seine Augen blitzten blau. Er nickte ihr einmal zu und zeigte auf die Steuerung des Alarmsystems.
Mayas Beine fühlten sie wie Pudding an, als sie herüberrannte und den Code eingab. Der Alarm war endlich stillgelegt.
“Mitch?” fragte sie atemlos.
“Hm”, brummelte der Mann. Auf dem Boden des Eingangs lag das Divisionsmitglied, das Maya festgehalten hatte. Er versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, hielt sich immer noch seine blutige Nase. “Ich kümmere mich um ihn. Ruf du die Polizei an. Sag ihnen, dass es kein Problem gibt.”
Das tat Maya. Sie eilte zur Küche, ergriff das Handy ihres Vaters und rief die Notfallnummer an. Sie schaute Mitch dabei zu, wie er herüber zu dem Söldner der Division schritt und einen schweren, braunen Stiefel anhob.
Sie schaute weg, bevor er mit ihm in das Gesicht des Mannes trat.
“Notfallzentrale, was ist der Grund Ihres Anrufs?”
“Mein Name ist Maya Lawson. Ich lebe in der Spruce Street 814 in Alexandria. Unser Alarmsystem wurde versehentlich ausgelöst. Ich habe die Tür offenstehen lassen. Es gibt keinen Notfall.”
“Bitte bleiben Sie einen Moment dran, Ms. Lawson.” Sie hörte, wie eine Tastatur einen Augenblick klackerte und dann sagte ihr die Stimme: “Ein Streifenwagen befindet sich auf dem Weg, etwa drei Minuten von Ihnen entfernt. Selbst wenn Sie sagen, dass es keinen Notfall gibt, dann würden wir dennoch gerne jemanden vorbeischicken. Unser Protokoll schreibt es vor.”
“Es ist aber wirklich alles in Ordnung.” Sie blickte verzweifelt hinüber zu Mitch. Sie könnten keine Polizei im Haus gebrauchen, während da vier Körper lagen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie tot oder nur bewusstlos waren.
“Trotzdem, Ms. Lawson, ein Polizist wird wenigstens kurz vorbeikommen. Wenn es keinen Notfall gibt, dann ist das kein Problem.”
Mitch griff in die Tasche seiner ölverschmierten Jeans und zog ein faltbares Handy heraus, das etwa fünfzehn Jahre alt sein musste. Er wählte eine Nummer und grummelte dann leise etwas in das Gerät.
“Äh…” die Stimme zögerte. “Ms. Lawson, sind Sie sich sicher, dass es keinen Notfall gibt?”
“Ja, da bin ich mir sicher.”
“In Ordnung. Schönen Tag noch.” Der Anruf wurde abrupt beendet. Hinter der zerbrochenen Glastür konnte Maya plötzlich Sirenen aus der Ferne hören – die schnell verblassten.
“Was hast du getan?” fragte sie Mitch.
“Hab einen größeren Notfall gemeldet.”
“Sind die… am Leben?”
Mitch blickte um sich und zuckte dann mit einer Schulter. “Er nicht”, grummelte er und zeigte auf den Agenten mit dem Kopf in der Wand. Mayas Magen drehte sich, als sie den dünnen Blutstrom bemerkte, der die Trockenbauwand hinunterlief, in welcher der Kopf des Agenten steckte.
Wie viel Leute werden in diesem Haus sterben? Wunderte sie sich.
“Hol deine Schwester. Und eure Telefone. Wir hauen ab.” Mitch schritt über die Körper des Söldners und seines Freundes. Er ergriff den Mann an den Fußknöcheln, zog ihn ins Haus und hob danach die schwarze Pistole auf.
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