1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Es war ein seltsames Gefühl. Schlimmer noch war es, wie sehr es ihn gleichzeitig bangte und begeisterte. Bin ich das? War Reid Lawson eine Lüge? Oder habe ich die letzten zwei Jahre mit nur mit dem schwächsten Teil meiner Psyche gelebt?
Null schritt zum Ende des Häuserblocks, bog erneut ab, lief am Blumenladen vorbei und ging direkt zu seinem Auto. Er konnte sehen, dass eine Menschenmenge von Schaulustigen sich an der Ecke ansammelte, viele waren schockiert oder weinten sogar beim Anblick der beiden leblosen Körper.
Niemand achtete auf ihn.
Er fuhr lässig, hielt sich an die Geschwindigkeitsbeschränkung und achtete darauf, kein Stoppschild und keine rote Ampel zu ignorieren. Zweifellos war die Polizei auf dem Weg und die CIA wüsste in einigen Momenten, dass Schüsse gefeuert wurden und zwei Männer nur drei Häuserblocks von der Bank entfernt erschossen wurden, von der die Division berichtet hatte, dass Null darin war.
Die Frage war, was sie dagegen tun könnten. Es gab nichts am Tatort, das ihn direkt damit verband und wer immer auch die Divisionssöldner hinter ihm hergeschickt hatte – Riker, vermutete er – könnte das nicht öffentlich zugeben. Dennoch brauchte er Hilfe, mehr als er von seinen Agentenkollegen erwarten konnte. Auch sie würden beschattet. Wenn die Jagd auf Agent Null jetzt eröffnet war, dann brauchte er Verbündete. Mächtige Verbündete.
Doch zuerst musste er seine Mädchen in Sicherheit bringen.
Sobald er spürte, dass er ausreichend Abstand zwischen sich und die grausame Szene in der Gasse gebracht hatte, machte er hinter einer Tankstelle Halt. Er vergrub die Waffe, das Messer und den Sicherheitsfachschlüssel in dem Müllcontainer unter fürchterlich stinkendem Abfall. Dann stieg er wieder in sein Auto und tätigte einen Anruf. Es klingelte nur zwei Mal, bevor Mitch mit einem Grummeln antwortete.
“Ich brauche den geheimen Unterschlupf sofort, Mitch. Wo kann ich dich treffen?”
“Meadow Field,” erwiderte der Mechaniker sofort. “Kennst du das?”
“Ja.” Meadow Field war eine verlassene Landebahn etwa dreißig Kilometer südlich. “Ich komme dahin.”
Maya zog die Jalousien des Fensters neben der Eingangstür vermutlich schon zum zwanzigsten Mal auseinander, seit ihr Vater gegangen war. Die Straße vor ihr war frei. Gelegentlich fuhr ein Auto vorbei, doch sie fuhren nicht langsamer oder hielten an.
Sie hatte wirklich Angst davor, auch nur darüber nachzudenken, worin ihr Vater wohl dieses Mal verwickelt war.
Nur zur Sicherheit ging sie durch die Eingangshalle in die Küche und schaute erneut auf das Telefon ihres Vaters. Er hatte sein persönliches Handy dagelassen. Es war zwar auf lautlos gestellt, doch auf dem Bildschirm konnte sie sehen, dass er drei verpasste Anrufe hatte, seitdem Maya das letzte Mal mit ihm gesprochen hatte.
Scheinbar versuchte Maria verzweifelt, ihn zu kontaktieren. Maya wollte sie anrufen, ihr sagen, dass da etwas vor sich ging, doch sie hielt sich zurück. Wenn ihr Vater wollte, dass Maria Bescheid wüsste, dann kontaktierte er sie selbst.
Sie sah, dass Sara seit einer halben Stunde in derselben Position im Wohnzimmer saß, die Beine unter sich eingezogen. Im Fernsehen lief eine Komödie, doch die Lautstärke war so gering, dass man sie kaum vernehmen konnte und Sara schaute auch nicht wirklich hin.
Maya wusste, dass ihre Schwester still litt, seitdem sie von Rais und den slawischen Menschenhändlern entführt wurden. Doch Sara wollte sich nicht öffnen, nicht darüber sprechen.
“Hey Mäuschen, wie wär’s mit was zu essen?” schlug Maya vor. “Ich könnte gegrillten Käse machen. Mit Tomaten. Und Schinken…” Sie schnalzte mit den Lippen und hoffte, ihre kleine Schwester aufzuheitern.
Doch Sara schüttelte nur den Kopf. “Keinen Hunger.”
“OK. Willst du über irgendwas reden?”
“Nein.”
Frust überkam sie, doch Maya schluckte ihn hinunter. Sie musste geduldig sein. Auch sie fühlte sich von den Ereignissen, die sie erlebt hatten, betroffen, doch ihre Reaktion war Wut und ein Verlangen nach Vergeltung. Sie hatte ihrem Vater gesagt, dass sie selbst eine CIA Agentin werden wollte, und das war nicht nur jugendlicher Unfug. Es war ihr sehr ernst damit.
“Ich bin für dich da”, beruhigte sie ihre Schwester. “Wenn du jemals Lust hast, zu reden. Du weißt das, oder?”
Sara blickte zu ihr hinüber. Es stand ihr fast ein Lächeln auf den Lippen – doch dann öffneten sich ihre Augen und sie setzte sich plötzlich auf. “Hast du das gehört?”
Maya horchte aufmerksam. Sie hörte es, das Geräusch eines kräftigen Motors, der in der Nähe brummte. Dann hörte es abrupt auf.
“Bleib hier.” Sie eilte zurück in die Eingangshalle und zog erneut die Jalousien auseinander. Ein silberner Geländewagen war auf ihre Auffahrt gefahren. Ihr Puls schnellte hoch, als vier Männer ausstiegen. Zwei von ihnen trugen Anzüge, die anderen zwei waren ganz schwarz gekleidet, mit schusssicheren Westen und Springerstiefeln.
Selbst aus dieser Entfernung konnte Maya die Abzeichen erkennen, die auf ihren Ärmeln angenäht waren. Die zwei schwarzgekleideten Männer waren von derselben Organisation, die versucht hatte, sie in der Schweiz zu entführen. Watson hatte sie die Division genannt.
Maya eilte in die Küche, rutsche auf ihren Socken und zog ein Steakmesser aus dem Bambusblock auf der Theke. Sara war von der Couch aufgestanden und eilte zu ihr.
“Geh runter.” Maya hielt das Griff des Messers ihrer Schwester hin. “Geh in den Panikraum. Ich komme gleich nach.”
Die Klingel schellte.
“Geh nicht hin”, bettelte Sara. “Komm einfach mit mir.”
“Ich mache die Tür nicht auf”, versprach Maya. “Ich will nur wissen, was sie wollen. Geh. Schließe die Tür. Warte nicht auf mich.”
Sara nahm das Messer und eilte die Kellertreppe hinunter. Maya schlich sich vorsichtig an die Eingangstür und blinzelte durch den Türspion. Die beiden Männer im Anzug standen direkt vor der Tür.
Wohin sind die anderen beiden? fragte sie sich. Hintertür, vermutlich.
Maya schrak ein wenig auf, als einer der beiden Männer fest an die Tür klopfte. Dann sprach er laut genug, damit sie ihn hören konnte. “Maya Lawson?” Er hielt einen Ausweis in einem Lederetui hoch, den sie durch den Türspion sah. “Agent Coulter, FBI. Wir müssen dir einige Fragen über deinen Vater stellen.”
Ihr Gedanken rasten. Sie war sich sicher, dass sie nicht die Tür für sie öffnen würde. Doch versuchten sie, sich gewaltsam Eintritt zu verschaffen? Sollte sie etwas sagen oder vorgeben, sie wären nicht zu Hause?
“Ms. Lawson?” sagte der Agent erneut. “Wir würden es wirklich bevorzugen, dies auf die leichte Art zu erledigen.
Lange Schatten tanzten auf dem Boden der Eingangshalle in der untergehenden Sonne. Sie blickte schnell auf und erkannte zwei Formen, die am Hintereingang vorbeigingen, eine Glasschiebetür, die zu einer kleinen Terrasse und einem Hinterhof führte. Es waren die beiden anderen Männer, jene von der Division, die hinter dem Haus schlichen.
“Ms. Lawson”, rief der Mann erneut. “Dies ist Ihre letzte Warnung. Bitte öffnen Sie die Tür.”
Maya atmete tief ein. “Mein Vater ist nicht hier”, rief sie zurück. “Und ich bin minderjährig. Sie müssen später wiederkommen.”
Sie blickte erneut durch den Türspion, um zu sehen, wie der FBI Agent grinste. “Ms. Lawson. Ich glaube, sie schätzen die Situation falsch ein.” Er wandte sich an seinen Partner, einen größeren und stämmigeren Mann. “Tritt sie ein.”
Maya atmete scharf ein und ging mehrere Schritte zurück. Der Türrahmen krachte, Holzsplitter segelten durch die Luft und die Eingangstür flog auf.
Die zwei Agenten traten einen Schritt voran in die Eingangshalle. Maya fühlte sich wie angewurzelt. Sie wunderte sich, ob sie es rechtzeitig bis in den Keller und in den Panikraum schaffte. Doch wenn Sara das getan hatte, worum ihre Schwester sie bat und die Tür verschlossen hatte, dann schafften sie es niemals, sie wieder zu verschließen, bis die Agenten sie eingeholt hätten.
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