Trotz ihrer schlechten Laune konnte Cathérine ein amüsiertes Lächeln nicht unterdrücken.
»Ich erinnere mich«, sagte sie, »daß Ihr es immer verstanden habt, meine liebe Ermengarde, den Himmel zu Eurem Bundesgenossen zu machen … oder es zumindest so einzurichten, daß alle Welt es glaubt. Trotzdem möchte ich gern wissen, wie diese verdammten Rubine in meinen Beutel gekommen sind und wer sie gestohlen haben kann!«
Die Antwort auf diese Frage sollte noch an diesem Abend erfolgen, nachdem Cathérine und ihre Gefährten erschöpft und außer Atem vom schnellen Ritt die Etappe Figeac erreicht hatten, wo sie in der größten Herberge der Stadt, gegenüber dem Amtsgericht und dem alten ›Ostal de la Moneda‹, der königlichen Münze, Wohnung nahmen. Mehr von dem Abenteuer am Morgen ermüdet als vom Ritt, der tatsächlich nur einen ziemlich kurzen Teil des Tages eingenommen hatte, ließen Cathérine und Ermengarde die vier Frauen in die Kirche zum Abendgottesdienst gehen, während sie selbst im Hof der Herberge unter den Ästen einer großen Platane, durch die die prächtig roten Strahlen eines völlig unerwarteten Sonnenuntergangs sickerten, frische Luft schnappten. Nicht weniger unerwartet war der Mann, der sich Cathérine näherte, sich ungestüm auf die Knie fallen ließ und ihre Verzeihung erflehte.
»Ich habe die Rubine gestohlen«, erklärte Josse Rallard mit deutlicher, aber wegen der im Hintergrund des Hofes mit vollen Wäschekörben vorübergehenden Dienstboten nicht zu lauter Stimme. »Und ich bin es auch gewesen, der vorgab zu stolpern und sie in Euren Almosenbeutel gleiten ließ, als wir zusammen hinfielen. Ich bin gekommen, Euch um Verzeihung zu bitten!«
Während Cathérine den todmüden, staubbedeckten Mann, der demütig vor ihr kniete, sprachlos ansah, machte Ermengarde eine heroische Anstrengung, sich von der Bank zu erheben, auf der sie saß, und ihre Krücken zu ergreifen. Als es ihr nicht gelang, brüllte sie:
»Und du kommst hierher, um uns das so ohne weiteres zu erzählen? … Ohne rot zu werden? Mein Junge, ich werde dich sofort dem Gericht übergeben, das sicher einen Strick für dich zur Verfügung haben wird. Holla, ihr da!«
Cathérine legte ihr die Hand auf den Arm und hieß sie schweigen. Ihre blauen Augen begegneten dem seltsam grünlichen Blick des Mannes, musterten sein Gesicht mit den wunderlich aus Brutalität und Zartheit gemischten Zügen.
»Einen Augenblick! Zuerst will ich, daß er mir zwei Fragen beantwortet.«
»Fragt!« sagte Josse. »Ich werde antworten.«
»Erstens: Warum habt Ihr das getan?«
»Was? Den Diebstahl? Dame«, sagte er mit einem Schulterzucken, »ich muß Euch alles gestehen. Ich bin nur auf die große Reise nach Galicia gegangen, um einige Entfernung zwischen mich und den Herrn Henker zu bringen, der mich in Paris mit einem langen und festen Strick erwartet. Der ›Hof der Wunder‹ ist mein Wohnsitz, aber ich wagte ihn nicht mehr zu verlassen, weil ich ein wenig zu bekannt war. Also beschloß ich, mich in der Welt umzusehen … Gewiß, ich hatte mir keine Sorgen über meine Lage gemacht. Ich wußte, daß mir ein paar günstige Gelegenheiten über den Weg laufen würden … Und als ich diese Statue aus Gold sah, über und über mit Edelsteinen bedeckt, hab' ich mir gedacht, wenn ich ein paar klaute, würde das gar nicht auffallen und ich wäre auf meine alten Tage gesichert. Versuchung, was wollt Ihr?«
»Das ist möglich, aber nachdem Ihr Eure Missetat begangen hattet, warum habt Ihr mich dann damit belastet?« rief Cathérine. »Warum habt Ihr zugelassen, daß man mich anklagte? Ihr wußtet doch, daß ich den Tod riskierte.«
Josse schüttelte heftig den Kopf und war gar nicht beunruhigt.
»Nein. Ihr riskiertet viel weniger als ich. Ich bin ein armer Teufel und Landstreicher … Ihr, Ihr seid eine große Dame. Man hängt nicht so ohne weiteres eine große Dame. Und dann war da noch Eure Freundin. Die edle Dame war zu Eurer Verteidigung da … und die Bewaffneten. Ich wußte, daß sie Haare auf den Zähnen hatte. Während niemand meine Partei ergriffen hätte. Man hätte mich kurzerhand am nächsten Baum aufgeknüpft. Ich habe Angst gehabt … schreckliche Angst, die mir den Magen umdrehte. Ich glaubte, man würde den Diebstahl nicht sofort bemerken, würde die frommen Pilger nicht verdächtigen, und daß wir zumindest genügend Zeit haben würden, ein gut Stück Weges hinter uns zu bringen. Als ich die Mönche ankommen sah, wußte ich, daß ich verloren war. Also …«
»Also habt Ihr mir Eure Beute anvertraut«, beendete Cathérine ruhig den Satz. »Und wenn man mir trotz allem übel mitgespielt hätte?«
»Ich schwöre bei Gott, an den zu glauben ich nie aufgehört habe, daß ich mich gestellt hätte. Und wenn man mir nicht geglaubt hätte, hätte ich mich bis zum Tod für Euch geschlagen!«
Cathérine schwieg einen Augenblick und dachte über die Worte nach, die er soeben mit unerwartetem Ernst gesprochen hatte. Schließlich fuhr sie fort: »Jetzt die zweite Frage. Warum seid Ihr zu uns gestoßen? Warum kommt Ihr hierher, um Eure Schuld einzugestehen? Ich bin frei und in Sicherheit, und Ihr wart es auch. Indem Ihr hierherkommt, stellt Ihr alles wieder in Frage. Ihr wißt nicht, wie ich darauf reagieren und ob ich Euch nicht ausliefern werde.«
»Es war ein Risiko, das ich eingehen mußte«, entgegnete Josse, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen. »Aber bei diesen blutdürstigen Psalmensängern wollte ich nicht mehr bleiben. Ich hatte genug von Gerbert Bohat und Messire Colin. In dem Augenblick, in dem Ihr nicht mehr da wart, hatte ich kein Interesse mehr an der Reise und …«
»Und du hast dir gesagt«, meinte Ermengarde höhnisch, »wenn das mit den Rubinen nicht geklappt hat, könntest du dir vielleicht den Smaragd der Königin schnappen. Denn du läßt dir bestimmt kein X für ein U vormachen, nicht wahr?«
Doch wieder hielt es Josse nicht für der Mühe wert, ihr zu antworten. Den Blick Catherines immer noch aushaltend, sagte er: »Wenn Ihr das denkt, Dame Cathérine, liefert mich ohne Zögern aus. Was ich Euch sagen wollte, ist dies: Ich habe Euch unrecht getan, um mein Leben zu retten, aber ich bedaure es sehr. Um es wiedergutzumachen, bin ich gekommen, Euch meine Dienste anzubieten. Wenn Ihr es gestattet, werde ich Euch folgen, Euch verteidigen … Ich bin zwar ein Landstreicher, aber ich bin tapfer und weiß mit dem Degen wie ein Standesherr umzugehen. Auf dem Weg, den Ihr verfolgt, braucht man immer einen tapferen Arm. Wollt Ihr mir also, zuerst, verzeihen und mich dann in Eure Dienste nehmen? Bei meinem Seelenheil schwöre ich, daß ich Euch treu dienen werde …«
Wieder folgte Schweigen. Josse, immer noch auf den Knien, rührte sich nicht, wartete auf Catherines Antwort. Diese, weit davon entfernt, zornig zu sein, fühlte sich durch diesen sonderbaren Jungen merkwürdig gerührt, der flagrante Unredlichkeit mit einer seltsamen Würde und unleugbarem Charme verband. Die verblüffendsten Dinge klangen von seinen Lippen ganz natürlich. Trotzdem glitt ihr Blick, bevor sie antwortete, zu Ermengarde hinüber, die mit zusammengepreßten Lippen ebenfalls schwieg, aber es war ein Schweigen von schlechter Vorbedeutung. »Was ratet Ihr mir, liebe Freundin?«
Die Edle zuckte aufbrausend mit den Schultern.
»Was soll ich Euch raten? Ihr scheint mit denselben Talenten begabt zu sein wie die Zauberin Circe. Sie verwandelte die Männer in Schweine. Offenbar macht Ihr's umgekehrt. Handelt, wie es Euch beliebt, aber ich kenne Eure Antwort schon.«
Während sie noch sprach, hatte Ermengarde endlich ihre Krücken gepackt, sich, Catherines hilfreiche Hand ablehnend, daran geklammert und war nach einer anerkennenswerten Anstrengung aufgestanden. Und als Cathérine erschrocken, fürchtend, sie habe sie beleidigt, fragte:
»Wohin geht Ihr, Ermengarde? Ich bitte Euch, nehmt mir nicht übel, was ich Euch sagen werde, aber …«
Читать дальше