Der Postbote sah ihn an, und die Andeutung eine Lächelns umspielte seine dünnen Lippen. »Es sind andere Leute vor Ihnen in der Schlange, Sir. Bitte warten Sie, bis Sie an der Reihe sind.« Sein Blick ruhte für einen Augenblick auf den feuchten Briefen in Dougs Hand. Er sagte nichts, und seine Augen verrieten nicht, ob er sie wiedererkannte, doch sein Lächeln wurde breiter.
»Würden Sie ihn nur bitten, einen Moment herauszukommen?«
»Es tut mir leid, Sir. Bitte warten Sie, bis Sie an der Reihe sind.«
Doug wollte heftig widersprechen, doch als er sich umdrehte und die Leute hinter sich sah, die ihn ungeduldig anblickten, sagte er: »Also gut«, und stellte sich ans Ende der Schlange.
Zehn Minuten später war er wieder am Schalter. Er hatte den Postboten ununterbrochen beobachtet, hatte ihn studiert und nach Anzeichen von irgendetwas Ungewöhnlichem gesucht. Doch abgesehen davon, dass der Mann eine Art natürliche Überlegenheit ausstrahlte, schien nichts verkehrt zu sein. Der Postbote schaute Doug nicht ein einziges Mal an.
Dougs Furcht und seine Wut waren nun ungefähr gleich groß.
Er trat an den Schalter und wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. »Ich möchte mit Howard sprechen.«
»Mr. Crowell ist heute nicht da.«
Die Worte waren so einfach und doch so unerwartet, dass sie Doug völlig überraschend trafen. Howard war nicht da? Howard war immer da! »Ist er krank?«, fragte Doug.
»Ja. Kann ich Ihnen helfen?«
Doug starrte ihn voller Wut an. »Vielleicht. Meine Familie und ich sind gestern zum Picknicken am Clear Creek gewesen. Wir haben ungeöffnete, nicht zugestellte Post gefunden, die am Ufer des Bachs verstreut war.«
Ein leichtes Lächeln umspielte die Lippen des Postboten. »Verstreut?«
Seine spöttische Sprechweise glich so sehr der von Trish, dass Doug für eine Sekunde der Mut verließ. Doch er fasste sich sofort wieder und legte die Umschläge auf den Schalter. »Hier sind ein paar Briefe, die wir gerettet haben.«
Der Postbote streckte die Hand nach den Umschlägen aus, aber Doug zog sie zurück. »Die gebe ich Howard selbst.«
»Es tut mir leid, aber es ist die Pflicht des Postdienstes, Briefe umgehend zuzustellen. Es ist gegen das Gesetz, dass Sie nicht zugestellte Poststücke zurückhalten.«
Doug spürte, wie ihm das Adrenalin in die Adern schoss. Er schwitzte jetzt am ganzen Körper und wischte sich wieder die Stirn ab. »Das hier scheinen alles Rechnungen zu sein«, erklärte er. »Und da waren noch Hunderte anderer Rechnungen am Creek. Und wissen Sie was? Ich habe in letzter Zeit meine regelmäßigen Rechnungen nicht mehr bekommen. Ich glaube, ich habe keine einzige Rechnung bekommen, seitdem Ihr Vorgänger gestorben ist. Ich weiß nicht, was da läuft, aber ein großer Teil der Post scheint spurlos zu verschwinden.«
»Ich habe meine Rechnungen in letzter Zeit auch nicht gekriegt«, sagte der Mann hinter Doug.
Doug beobachtete das Gesicht des Postboten, suchte nach irgendeiner Reaktion. Er hatte erwartet, dass der Mann ihn anstarrte, dass er wütend wurde, dass er irgendwie zugeben würde, die Post in den Creek geworfen zu haben, aber das Gesicht des Postboten blieb heiter und gelassen.
»Ich verspreche, dass wir uns so bald wie möglich um diese Beschwerden kümmern werden«, sagte er. Seine Stimme klang angenehm, unerschütterlich und beruhigend. »Haben Sie sonst noch etwas, Mr. Albin?«
»Nur dass jemand einen Brief an das Gas- und Wasserwerk geschrieben hat, meine Strom- und Wasserversorgung abzudrehen. Dieselbe Person hat einen Brief an die Telefongesellschaft geschickt und ihr geschrieben, dass sie mein Telefon abschalten sollen. Ich denke, das ist Postbetrug.«
»Ja, allerdings, Mr. Albin. Und ich versichere Ihnen, wir werden das unverzüglich untersuchen. Ich werde Mr. Crowell von Ihren Anliegen berichten.«
Doug blickte dem Postboten direkt in die Augen. Er sah eine Härte und Kälte darin, die ihn frösteln ließ und den Wunsch in ihm erweckte, wegzuschauen, doch er zwang sich, den Blickkontakt zu halten. Der Schweiß auf seinem Körper fühlte sich plötzlich kalt an. »Danke«, sagte er knapp.
Der Postbote streckte seine dünne weiße Hand aus. »Würden Sie mir jetzt bitte die nicht zugestellten Briefe aushändigen?«
Doug schüttelte den Kopf. »Bringen Sie mich vor Gericht. Aber die Briefe werde ich nur Howard geben.«
»Gut«, sagte der Postbote mit nüchterner Stimme. »Würden Sie dann bitte beiseitetreten? Hinter Ihnen warten noch weitere Leute, Mr. Albin.«
Doug wandte sich vom Schalter ab, verließ das Postamt und ging zu seinem Wagen. Erst auf dem Rückweg fiel ihm ein, dass er dem Postboten gar nicht seinen Namen genannt hatte.
Woher hatte der Mann ihn gewusst?
Als Hobie nach Hause kam, fühlte er sich gut. Im Freibad war es heute voll gewesen, aber nicht nur mit Kindern: Am Nachmittag war eine Gruppe junger Frauen erschienen; sie hatte sich in der Nähe des Schwimmerbereichs niedergelassen, ein gutes Stück entfernt von den Kindern und ihren Müttern, die sich am anderen Ende des Beckens aufhielten, wo das Wasser nicht so tief war. Hobie hatte heimlich Mrs. Farris beobachtet, die schlank und fit war und einen pfirsichfarbenen Badeanzug trug, der fast durchsichtig wurde, wenn er nass war, doch als die jungen Frauen erschienen, ihre Badetücher ausbreiteten und sich mit Sonnenlotion einkremten, richtete Hobies Aufmerksamkeit sich sofort auf sie. Sie alle hatten die glatten braunen Körper von Aerobic-Trainerinnen und waren unglaublich attraktiv. Eine von ihnen, eine Brünette, trug einen String-Bikini; wenn sie sich vorbeugte, konnte er beinahe bis in die Ritze ihres perfekt geformten Hinterteils sehen. Die anderen trugen Badeanzüge, die so weit ausgeschnitten waren, dass es beinahe schon an Erregung öffentlichen Ärgernisses grenzte.
Ja, es war wirklich ein verdammt guter Tag gewesen.
Er holte seine Schlüssel aus der Tasche und nahm seine Post aus dem Kasten.
Obwohl Hobie in einem großen braunen und weißen Wohnwagen in der Nähe des Stadtzentrums lebte, nur ein Stück vom Einkaufszentrum entfernt in einem Teil von Willis, der zugegebenermaßen nicht das vornehmste Viertel war, fühlte er sich in seiner Umgebung wohl. Die Häuser hier standen dicht beieinander und waren nicht so hübsch wie die im Rest der Stadt, aber das war Hobie ganz recht. Niemand belästigte ihn, niemand sagte ihm, dass er seine Stereoanlage leiser drehen sollte, niemand sagte ihm, dass er seinen Hof sauber machen oder seine alten Autos abschaffen sollte. Hobie wusste, dass sein Grundstück wie eine Miniatur-Müllhalde aussah. Es gab kaum Rasen, fast nur nackte Erde; vor dem Haus waren ein 1974er Vega und ein 1979er Datsun geparkt, während hinter dem Haus ein 1965er Mustang aufgebockt stand. Sein Carport war vollgestellt mit Autoteilen und zwei alten Motorblöcken. Doch Hobie gefiel es, und seinen Nachbarn machte es nichts aus.
Das Innere des Wohnwagens sah da schon aufgeräumter aus. Hier hielt Hobie Ordnung, obwohl er allein lebte. Er warf seine Sonnenbrille auf den Tisch und ging in die Küche, um sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen. Er öffnete die Dose, nahm einen großen Schluck und blickte auf die Absender der Umschläge in seiner Hand: seine Mutter, der Classic Mustang Club, sein Gehaltsscheck von der Schulverwaltung.
Auf einem Brief - ein langer gelblicher Umschlag - war kein Absender, und Hobie drehte ihn um. Sowohl Vorderseite wie Rückseite waren voller verschmierter bräunlich-roter Fingerabdrücke. Er runzelte die Stirn, stellte das Bier ab und riss den Umschlag auf. Darin waren zwei Fotos, die mit einer Büroklammer zusammengeheftet waren. Das obere Foto zeigte ein nacktes, orientalisch aussehendes Mädchen von fünfzehn oder sechzehn Jahren, das auf einer Strohmatte lag. Hobie starrte das Foto an. Das Mädchen war schön, mit großen, mandelförmigen Augen und vollen, sinnlichen Lippen. Sie lag ausgestreckt da, die Beine aufreizend gespreizt.
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