Es verging nahezu eine Stunde, ehe sie erschöpft nebeneinander lagen. Es war lange her, seitdem sie es so sehr genossen hatten - seitdem sie es sich erlaubt hatten, es so sehr zu genießen. Im vergangenen Jahr hatte ihr Sexualleben mehr aus Werbespots als aus Spielfilmen bestanden: hastige, schnelle Nummern, wenn sie sicher waren, dass Billy schlief oder längere Zeit nicht im Haus sein würde. Seitdem Doug seinen Sohn aufgeklärt hatte, hatten sie beide immer darauf geachtet, dass Doug keine Hinweise auf ihr Liebesleben entdeckte. Jedenfalls war es diesmal wie in den alten Zeiten gewesen, genüsslich, ohne Eile, voller Hingabe, einfach wunderbar.
Erschöpft schliefen sie in den Armen des anderen ein, noch immer nackt, noch immer den anderen umschlingend.
Billy stand vor dem Kino und wartete darauf, dass sein Vater ihn abholte. Der Film hatte früher geendet, vor beinahe zwanzig Minuten, und alle anderen waren schon fort. Der Parkplatz war verlassen. Die Platzanweiser und andere Angestellte des Kinos hatten bereits sauber gemacht und gingen nun ebenfalls.
Wo ist Dad?
Billy hatte vor ungefähr zehn Minuten zu Hause angerufen, nachdem Brads und Michaels Eltern gekommen waren, um die Freunde abzuholen, und seine Mom hatte gesagt, dass sein Dad gerade losgefahren und auf dem Weg sei.
Wo blieb er also?
Der letzte Wagen der Kinoangestellten fuhr ab, und laute Rockmusik dröhnte verzerrt aus Lautsprechern, die nicht für solche Lautstärken ausgelegt waren. Nun war der Parkplatz vollkommen leer bis auf einen verlassenen Pick-up auf der anderen Seite. Die Lampen - eine war an einen Telefonmast, die andere an einen richtigen Laternenpfahl montiert - erloschen gleichzeitig.
Es gab nur noch Dunkelheit und Stille.
Nein, keine völlige Stille.
Da war ein leises Schnurren.
Das Geräusch eines neuen Automotors.
Billys Herz begann zu hämmern. Er überquerte den Bürgersteig, blickte in beide Richtungen die Straße entlang und suchte verzweifelt seinen Dad, aber der war nirgends zu entdecken.
Da war nur ein neuer, roter Wagen, der langsam die Straße entlang auf ihn zukam.
Panik erfasste Billy, und er blickte sich hastig nach einem Platz um, wo er sich verstecken konnte. Doch an der Vorderfront des Kinos gab es keine Nischen oder Einbuchtungen, wo er sich verbergen konnte. Es gab nicht einmal Sträucher, hinter die er sich hätte ducken können. Beim Bau des Kinos waren alle Bäume und Büsche ausgerissen worden, um Raum für den asphaltierten Parkplatz zu schaffen. Billy saß fest. Er konnte nichts tun, konnte nirgendwohin ...
Der Wagen fuhr auf den Parkplatz. Das Fenster auf der Beifahrerseite senkte sich langsam, und vor dem dunklen Hintergrund des Wageninnern sah der Junge das milchweiße Gesicht und das leuchtend rote Haar des Postboten.
Der Wagen hielt direkt neben ihm an. »Brauchst du eine Mitfahrgelegenheit?« Die glatte Stimme klang verführerisch, einschmeichelnd.
»Mein ... mein Dad kommt gleich und holt mich ab«, sagte Billy. Sein Herz schlug so wild, dass er glaubte, es würde zerspringen.
»Dein Dad kommt nicht«, entgegnete der Postbote. Seine Stimme war immer noch seidenweich, hatte aber einen bedrohlichen Unterton. Die Beifahrertür öffnete sich. »Steig ein.«
Billy wich zurück.
»Dein Dad ist nicht mehr hier«, sagte der Postbote und kicherte.
So, wie er das Wort »hier« dehnte, ließ Billy schaudern. Er bekam eine Gänsehaut.
»Steig ein.«
»Nein«, sagte Billy.
»Du wirst einsteigen, und es wird dir gefallen.« Der Postbote streckte den Arm durch die geöffnete Tür. Und streckte ihn weiter. Und noch weiter.
Bis seine kalten weißen Finger Billys Kehle umklammerten.
Billy wachte schreiend auf.
Doug war an der Reihe, das Frühstück zu machen. Er stöpselte das Waffeleisen und den Mixer mit dem Teig ein, während Trish nach draußen ging, um wie jeden Morgen die Pflanzen zu gießen. Geistesabwesend rührte Doug den Teig. Billys Schreien beunruhigte ihn. Der Junge hatte noch nie solch einen schlimmen Albtraum gehabt. Selbst nachdem sie ihn beruhigt und davon überzeugt hatten, dass er nur einen bösen Traum gehabt hatte, war Billy immer noch blass gewesen und hatte gezittert und wollte sie nicht gehen lassen. Und er hatte ihnen einfach nicht erzählen wollen, worum es in dem Albtraum ging. Doug hatte Billy bedrängt, bis Trish ihm mit einem leichten Ruck am Arm klargemacht hatte, dass diese Fragen bis zu einem günstigeren Zeitpunkt warten konnten. Billy hatte den Rest der Nacht auf der Couch im Erdgeschoss geschlafen.
Als der Teig gerührt war, ging Doug ins Wohnzimmer und blickte aus dem Fenster. Bevor Howard am Abend zuvor herübergekommen war, hatte er am Spätnachmittag einen Brief in den Postkasten gelegt, ein langes, ausführliches Schreiben an Don Jennings, der Don über die Meilensteine ihres Lebens während des vergangenen Jahrzehnts auf den neuesten Stand brachte. Der rote Wimpel am Kasten war jetzt unten, und Doug blickte auf die Uhr. Sechs Uhr dreiunddreißig. Die Post kam jeden Tag früher. Und das auch noch an einem Samstag.
Er ging nach draußen auf die Veranda, stieg die Stufen hinunter und schlenderte die Auffahrt entlang. Das Gewitter der letzten Nacht war über Willis hinweggezogen, ohne sich die Mühe zu machen, Hallo zu sagen, doch es hatte eine höllische Luftfeuchtigkeit zurückgelassen. Als Doug den Postkasten erreichte, schwitzte er bereits. Er öffnete die Metallklappe. Sein Brief war verschwunden; an seiner Stelle lag ein dünner weißer Umschlag mit blau gestreiftem Rand im Kasten, der an Trish adressiert war.
»Meine Tomaten!«
Doug konnte Trishs Aufschrei von der Straße aus hören. Er eilte die Auffahrt entlang zu der Stelle, wo sie im Garten stand, den Schlauch in der Hand. Sie blickte ihn an und zeigte auf die Pflanzen zu ihren Füßen.
»Die Javelinas haben schon wieder meine Tomaten erwischt!« Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Verdammt!« Die Javelinas, auch Halsband-Pekaris genannt, hatten in den vergangenen drei Jahren jeden Sommer ihre Tomatenpflanzen gefressen. Letztes Jahr waren die Tomaten grünlich rot und fast reif gewesen, als die Wildschweine den Garten überfallen hatten. Dieses Jahr hatte Doug einen kleinen Zaun aus Maschendraht um den Garten gezogen, der die Tiere abhalten sollte, aber das hatte offensichtlich nicht funktioniert.
»Wie sieht es mit den anderen Pflanzen aus?«, fragte er.
»Die Radieschen sind okay, die Zucchini sind noch zu retten, die Gurken sind in Ordnung, der Koriander und die anderen Kräuter sind unberührt, aber der Mais ist ruiniert. Verdammt!«
»Brauchst du Hilfe?«
Sie nickte. »Wir retten nach dem Frühstück, was zu retten ist. Jetzt gieße ich erst mal zu Ende.«
»Wir könnten Fallen aufstellen, wenn du willst. Hobie weiß, wie das geht.«
»Keine Fallen«, sagte sie. »Und kein Gefängnis. Ich hasse die kleinen Bastarde, und ich wünschte, dass sie tot wären, aber ich will nicht diejenige sein, die sie umbringt.«
»Es ist dein Garten.« Doug ging zur Vorderseite des Hauses und stieg die Stufen zur Veranda hinauf. Als er die Gittertür öffnete, hörte er das Geräusch langsamer, müder Schritte auf dem Fußboden. Er stand bewegungslos da, den Mund vor gespielter Ungläubigkeit geöffnet, als Billy von der Couch in die Küche ging. »Ich glaube es nicht«, sagte er. »Wunder über Wunder!«
»Ja, ja«, maulte Billy.
»Du bist tatsächlich von selbst aufgestanden!«
»Ich muss ins Badezimmer«, murmelte Billy und ging über den Flur.
»Warte mal«, sagte Doug.
Billy drehte sich um.
»Alles in Ordnung?«
Der Junge starrte ihn einen Augenblick lang an; dann nickte er müde, ging ins Bad, schlug die Tür zu und schloss ab.
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