Trotz der seltsamen Schönheit der Nacht war es bitter kalt; die sturmgepeitschten Schneeflocken stachen ihr wie Nadeln ins Gesicht.
Sie rief nach Doofus, und der Labrador kam um die Hausecke gelaufen, war nur schemenhaft im Dunkel zu erkennen, mehr ein Phantom als ein Hund. Er schien über den Boden zu gleiten, als sei er kein lebendes Wesen, sondern eine zurückgekehrte Totenseele. Völlig unbeeindruckt vom Wetter, japste er und wedelte mit dem Schwanz, genauso munter und unternehmungslustig wie sonst auch.
Meg öffnete die Küchentür. Tommy saß immer noch am Tisch. Hinter ihr verharrte Doofus auf dem obersten Treppenabsatz der Veranda.
»Komm schon, Alter, es ist kalt.«
Der Labrador winselte, als hätte er Angst, zurück ins Haus zu müssen.
»Komm jetzt, es ist Zeit zum Abendessen.«
Er nahm die letzte Treppenstufe und setzte zögernd seine Vorderpfoten über die Schwelle. Er steckte den Kopf durch den Türrahmen und beäugte die Küche mit unerklärlichem Argwohn, witterte in der warmen Luft, schüttelte sich.
Sanft versuchte Meg, den Hund mit dem Fuß in die Küche zu schieben.
Er sah mit vorwurfsvollem Blick zu ihr hoch und bewegte sich nicht vom Fleck.
»Jetzt komm aber endlich, Bursche. Willst du uns hier allein lassen?« sagte Tommy von seinem Stuhl aus.
Langsam kam der Hund über die Schwelle, als hätte er verstanden, daß sein Ruf auf dem Spiel stand.
Meg kam ebenfalls herein und schloß die Tür hinter sich.
Sie nahm ein Handtuch von der Wand und sagte: »Wag bloß nicht, dich hier auszuschütteln, bevor ich dich abgenibbelt habe.«
Als sie sich mit dem Handtuch zu ihm hinunterbeugte, schüttelte sich Doofus energisch, geschmolzener Schnee spritzte ihr ins Gesicht und über die Küchenmöbel.
Tommy lachte, so daß der Hund ihn verwundert ansah, worauf Tommy noch mehr lachen mußte, und als Meg sich auch noch anstecken ließ, faßte Doofus wieder Mut. Er richtete sich auf, wedelte, wenn auch zaghaft, mit dem Schwanz und kam zu Tommy herüber. Als sie und Tommy nach Hause gekommen waren, hatten sie sich nach dem gerade noch vermiedenen Zusammenstoß auf der Black Oak Road ziemlich angespannt gefühlt, und vielleicht hatte Doofus instinktiv gespürt, daß ihnen immer noch der Schrecken in den Knochen saß, genau wie er sich jetzt von ihrer Fröhlichkeit anstecken ließ. Hunde sind feinfühlige Tiere, die genau spüren, was in einem Menschen vorgeht, und es gab einfach keine andere Erklärung für sein merkwürdiges Verhalten.
Die Fenster waren vereist, draußen heulte der Wind, aber das unfreundliche Wetter ließ das Haus nur noch heimeliger erscheinen.
Meg und Tommy saßen am Küchentisch und aßen Spaghetti.
Doofus benahm sich nicht mehr so komisch wie vorher, war aber immer noch nicht wieder der alte. Er wich nicht von ihrer Seite, wollte nicht einmal allein fressen. Überrascht und amüsiert beobachtete Meg, wie der Hund seinen Chappi-Napf mit der Nase über den Boden stupste, bis er neben Tommys Stuhl gerutscht war.
»Demnächst will er wahrscheinlich einen Stuhl und einen eigenen Teller«, sagte Tommy.
»Zuerst muß er mal lernen, wie man eine Gabel hält«, sagte Meg. »Seine Tischmanieren sind nicht die besten.«
»Wir schicken ihn zur Schule«, sagte Tommy und drehte Spaghetti auf seine Gabel. »Vielleicht lernt er, auf Hinterbeinen zu stehen und wie ein Mensch zu gehen.«
»Wenn er erstmal stehen kann, will er bestimmt auch tanzen.«
»Er würde bestimmt keine schlechte Figur auf dem Tanzparkett machen.«
Sie grinsten sich über den Abendbrottisch hinweg an, und Meg genoß das Gefühl der Nähe, das sich einstellt, wenn man einfach hemmungslos herumalbert. In den letzten zwei Jahren war Tommy nur selten in der Laune dafür gewesen.
Doofus war mit seinem Chappi beschäftigt, verschlang es aber nicht wie sonst. Zögernd zerkaute er kleine Bissen, als hätte er keinen Hunger, und zwischendurch hob er immer wieder den Kopf und spitzte die Ohren, als wollte er dem heulenden Wind zuhören.
Später, als Meg das Geschirr wusch und Tommy mit einem Abenteuerroman am Küchentisch saß, sprang Doofus unvermittelt auf und stieß ein unterdrücktes Bellen aus. Stocksteif und mit hoch erhobener Rute fixierte er den Küchenschrank, der sich zwischen dem Kühlschrank und der Kellertür befand.
»Mäuse?« fragte Tommy hoffnungsvoll, weil er nichts so gräßlich wie Ratten fand.
»Hört sich ein bißchen groß für Mäuse an.«
Sie hatten schon früher Ratten gehabt. Immerhin lebten sie auf einer Farm, und Nagetiere suchten immer wieder in der Scheune nach Futter. Obwohl die Scheune nur noch den Jeep und einen anderen Wagen beherbergte, kamen die Ratten jeden Winter wieder, als erinnerten sie sich daran, daß die Cascade Farm einst ihr Zufluchtsort gewesen war.
Aus dem Küchenschrank war ein Kratzen zu hören, gefolgt von einem dumpfen Poltern, als irgend etwas umfiel, und den unverwechselbaren Geräuschen eines geschmeidigen Rattenkörpers, der zwischen den Konservendosen über die Einlegeböden lief.
»Total groß«, sagte Tommy mit weit aufgerissenen Augen.
Statt laut zu bellen, fing Doofus zu winseln an und zog sich ans andere Küchenende zurück, so weit nur weg, wie nur möglich vom rattenbehausten Küchenschrank. Und das, obwohl er sonst immer ganz wild darauf gewesen war, den Ratten an den Kragen zu gehen, auch wenn er selten eine gefangen hatte.
Während sie sich die Hände abtrocknete, fragte sich Meg wieder, warum der Hund plötzlich keinerlei Jagdinstinkt mehr zeigte. Sie ging zum Küchenschrank, legte das Ohr an die mittlere der drei Doppeltüren und horchte. Nichts.
»Es ist weg«, sagte sie nach langen Sekunden des Schweigens.
»He, du willst den Schrank doch jetzt nicht aufmachen«, sagte Tommy.
»Na sicher. Ich muß doch nachsehen, wie das Vieh da hineingekommen ist. Vielleicht hat es ein Loch in die Rückwand genagt.«
»Und was ist, wenn es noch da ist?« fragte der Junge.
»Es ist nicht mehr da, Liebling. He, Ratten sind vielleicht ekelhaft, aber sie sind nicht gefährlich. Nichts ist so feige wie eine Ratte.«
Sie klopfte laut an die Schranktür, um das Vieh zu verscheuchen, falls es tatsächlich noch da war. Sie öffnete die mittleren Türen, sah, daß alles an seinem Platz war, und öffnete den unteren Schrankteil. Ein paar Konservendosen waren umgestoßen. Ein Tüte Salzstangen war aufgerissen und geplündert worden.
Doofus gab ein hohes Wimmern von sich.
Sie griff in den Schrank, räumte ein paar von den Dosen beiseite und nahm ein paar Packungen Makkaroni heraus, um einen besseren Blick auf die Rückwand zu haben. Aus der Küche fiel gerade so viel Licht auf die Einlegeböden, daß sie das Loch in der Sperrholzrückwand erkennen konnte, wo sich die Ratte in den Schrank genagt hatte. Durch das Loch strömte ein kalter Luftzug herein.
Sie stand auf, wischte sich den Staub von den Händen und sagte: »Na, jedenfalls war das ganz bestimmt nicht Mickey Mouse, sondern eine große, garstige, fette Ratte. Besser, wir holen eine von den Fallen.«
Als sie zur Kellertür ging, sagte Tommy: »He, du willst mich doch nicht allein lassen.«
»Ich geh’ nur die Falle holen, Liebling.«
»Aber ... was ist, wenn die Ratte wiederkommt, während du weg bist?«
»Wird sie nicht. Ratten bleiben da, wo’s dunkel ist.«
Der Junge wurde rot; es war offensichtlich, daß ihm seine Angst peinlich war. »Es ist bloß . mit dem Bein . ich kann ja nicht weglaufen.«
Sie verstand den Jungen, war sich aber andererseits bewußt, daß es seine Furcht nur steigern würde, wenn sie ihn jetzt in die Arme nahm. Also sagte sie: »Es ist nur eine Ratte, Tommy. Sie hat Angst vor uns, verstehst du?«
Sie ließ Tommy mit Doofus in der Küche, knipste das Kellerlicht an und ging die Stufen hinunter. Zwei trübe Birnen erhellten das Kellergewölbe. Sie nahm die Fallen - große Geräte mit Stahlzangen, die den Ratten das Rückgrat brachen, keine harmlosen Mausefallen - und eine Schachtel mit vergiftetem Rattenfutter mit nach oben, ohne dabei irgend etwas von ihrem ungebetenen Gast zu sehen oder zu hören.
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