„Ich nehme nicht an, dass wir uns hier irgendwo ein wenig säubern können?“
„Ich habe mich schon gefragt, wann dieses Thema aufkommt.“ Tommy betrachtete die zerfledderten Schutzanzüge, die die Winchesters immer noch am Leibe trugen. „Ich würde Ihnen meine Sachen anbieten, aber Sie sind beide größer als ich, und ich habe nichts, was Ihnen passen könnte.“
„Unsere Sachen sind noch im Motel“, sagte Sam. „Und im Moment können wir nicht selbst hingehen und sie holen.“
„Ja, die Polizei wird es beobachten“, stimmte Tommy zu. Er sah sich um und zog eine Augenbraue hoch. „In der Stadt ist ein Kaufhaus, in dem ich Ihnen ein paar saubere Sachen besorgen könnte – wenigstens Jeans und T-Shirts. Sie könnten Nate so lange Gesellschaft leisten.“
„Wir wissen das sehr zu schätzen“, sagte Sam. Er öffnete seine Geldbörse und gab Tommy etwas Geld für die Klamotten. „Ich werde sogar abwaschen.“
„Abgemacht.“
Tommy hielt inne, als ob er über etwas nachdächte.
„Oh, und Sam?“
„Was ist?“
„Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin auf Ihrer Seite – Sie sind immerhin Jäger.“ Er sah Sam direkt in die Augen. Seine Miene war finster. „Was auch immer hier gerade abgeht – Ich hätte gerne eine Erklärung dafür.“
„Keine Sorge, die werden Sie bekommen.“
Tommy drehte sich um und ging. Sam stellte sich ans Spülbecken und fing an, Teller und Bestecke abzuwaschen. Einen Augenblick später tauchte Nate neben ihm auf und begann die Teller sorgfältig abzutrocknen, bevor er sie behutsam im Trockengestell platzierte. Der Junge arbeitete schnell und sehr effizient. Sam sah zu ihm hinüber, und sein Blick streifte die Geschirrspülmaschine, die direkt neben dem Waschbecken stand.
„Ihr habt eine Maschine“, sagte Sam. „Benutzt ihr die nicht?“
Nate zuckte mit den Schultern.
„Wir sind ja nur zu zweit. Dad sagt, es lohnt sich nicht, sie anzuwerfen.“
„Stimmt.“ Sam gab ihm einen weiteren Teller, und der Junge trocknete ihn mit geschickten Geschirrtuchbewegungen ab.
Vor ihnen auf einem Regal stand ein einfacher Holzrahmen mit einem Foto von Tommy McClane und einer hübschen Rothaarigen Mitte zwanzig. Sie trug eine rosafarbene Bluse mit Rundausschnitt, Jade-Ohrringe und hielt ein Kleinkind auf dem Arm. Das war offensichtlich Nate, als er ungefähr ein Jahr alt war. Nates Gesicht zeigte ein riesiges, schiefes Grinsen und auf seinem T-Shirt stand: ICH MACHE ALLE STUNTS SELBST.
„Mein Bruder und ich sind auch ohne Mutter aufgewachsen“, sagte Sam. Er gab Nate noch einen Teller. Der Junge nahm ihn kommentarlos an, spülte ihn ab, trocknete ihn und stellte ihn weg. „Es war nicht immer einfach.“ Das war der letzte Teller. Sam stellte das Wasser ab und trocknete sich die Hände mit einem Geschirrtuch. „Das versteht nicht jeder.“
Der Junge sagte immer noch nichts, er sah nicht einmal auf. Einen Moment lang fürchtete Sam, dass er Nate zu nahe getreten und zu persönlich geworden war. Dann sah der Junge ihn an. Er wirkte unsicher, fast verwirrt.
„Mochtest du deinen Dad?“, fragte er.
„Mein Dad …“, begann Sam und war dann unsicher, was er als Nächstes sagen sollte. „Er hat mir eine Menge beigebracht. Er hat sich bemüht.“
„Meiner auch“, sagte Nate. „Die Sachen, von denen er erzählt, die machen mir manchmal ganz schön Angst, weißt du? Ich glaube, dass er möchte, dass ich später, wenn ich groß bin, so bin wie er. Die Historische Gesellschaft übernehme und … alles andere. Aber manchmal …“ Er zuckte mit den Schultern.
„Manchmal was?“
„Meine Mutter war eine Künstlerin. Ich meine, was, wenn ich lieber so etwas machen möchte?“
„Dann solltest du das tun“, bestärkte Sam ihn. „Wenn es das ist, was du machen willst, dann solltest du es versuchen.“
Nate runzelte wieder die Stirn.
„Ich träume manchmal noch von ihr, weißt du? Obwohl ich noch ziemlich klein war, als sie … als es passiert ist.“ Er blinzelte Sam an. „Komisch, oder?“
„Sind es denn schöne Träume?“
„Ja.“
„Dann ist es doch gut. Das ist dann wohl deine Art, dich an sie zu erinnern.“
Kurz darauf öffnete sich die Haustür, und Tommy kam mit den neuen Sachen zurück. Sam und Dean gingen nach oben, um zu duschen und sich umzuziehen. Während er sich den Dreck abwusch, machte Sam sich eine gedankliche Notiz, den Jungen ein bisschen mehr über seine Mutter auszufragen.
Nachdem Sam und Dean wieder vorzeigbar waren, kamen alle in der großen, altmodischen Südstaatenküche zusammen und versammelten sich rund um den Kiefernholztisch der McClanes. Die Fenster waren offen, und die Nachtgeräusche der Grillen und Zikaden drangen durch die Fliegenfenster. In der Ferne pulsierten und flackerten Blitze in der Dunkelheit. Ihnen folgte leise rollender Donner. Tommy ließ leise das Braves-Spiel im Radio laufen. Als das Gewitter näher kam, verschwamm der Empfang zu einem statischen Rauschen.
„In Ordnung“, sagte er schließlich. „Ich habe lange genug darauf gewartet. Erzählen Sie mir jetzt, was da draußen passiert ist?“
Dean öffnete knackend ein neues Bier, während Sam berichtete, was sie auf der Straße gesehen hatten. Er beschrieb die schwebende schwarze Substanz, die aus Beauchamps Überresten geströmt war und dass Dean das gleiche Ding aus Dave Wolvertons Leiche hatte kommen sehen.
Als Sam fertig war, nickte Tommy bedächtig.
„Also diese Sache mit dem Moa’ah“, fing er an. „Das ist die treibende Kraft hinter der Schlinge, aber wenn es anwesend ist, heißt es nicht automatisch, dass die Schlinge in der Nähe ist. Verdammt, dieses Moa’ah kann sich anscheinend jahrzehnte-, manchmal sogar jahrhundertelang bei einem Infizierten herumtreiben, bis es die Gelegenheit bekommt auszubüxen.“
„Ich glaube, den Dämonen hat das keiner gesagt“, bemerkte Sam.
„Oder sie sind einfach nur verzweifelt.“ Tommy ließ eine Hand langsam über die Holzmaserung des Tisches gleiten. „Wenn die Dämonen Zivilisten foltern, um an Informationen zu gelangen, so wie Sie gesagt haben, dann hört sich das für mich verdammt verzweifelt an.“
„Was ist mit Sheriff Daniels?“, fragte Dean. „Und außerdem, was ist mit meinem Auto? Und unserem Messer?“
Tommy nickte.
„In Sachen Messer und Auto kann ich Ihnen vermutlich behilflich sein“, sagte er. „Aber Jacqueline Daniels ist keine Frau, mit der man sich anlegen sollte.“
„Wir haben ihr Santeria-Tattoo gesehen“, sagte Sam.
„Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Ihre Familiengeschichte lässt sich bis zur echten Schlacht von Mission’s Ridge zurückverfolgen.“ Tommys Stimme wurde etwas dunkler. Er sah Nate an, der still am anderen Ende des Tisches saß und aufmerksam zuhörte. „Warum gehst du nicht nach oben und machst dich fertig fürs Bett?“
„Muss ich denn?“
Tommy sah ihn streng an. „Du hast gehört, was ich gesagt habe.“
Der Junge zog schmollend ab und murmelte leise etwas vor sich hin. Als seine Schritte auf der Treppe leiser wurden, lehnte Tommy sich zurück. Er zog eine kleine Schublade im Tisch auf und holte eine Packung American Spirits und ein Feuerzeug heraus. Er sah die Winchesters etwas verschämt an.
„Macht es Ihnen etwas aus? Ich bin runter auf eine am Tag, aber wenn ich Ihnen diese Geschichte erzähle, dann glaube ich, dass ich sie brauchen werde.“ Er schüttelte eine Zigarette hervor, zündete sie an und inhalierte. Dann lehnte er sich zurück und blies eine Rauchwolke in Richtung Fenster.
„Sie haben gesagt, dass Sie das Tattoo auf ihrem Handgelenk gesehen haben. Das ist kein Santeria im herkömmlichen Sinne. Seit Generationen praktiziert die Daniels-Familie ihre eigene verquere Version von Hinterwäldlerhexerei. Es hat schon bei ihrem Ururururgroßvater angefangen. Der ist bereits vor dem Bürgerkrieg von den Sümpfen Louisianas hergezogen und hat sich außerhalb von Mission’s Ridge niedergelassen. Nach seiner Ankunft hat es nicht lange gedauert, bis die ersten Leute zu verschwinden begannen.“
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