Und bei dem Gedanken an das, was anschließend mit ihnen geschehen war.
Sie wischte den Gedanken beiseite und konzentrierte sich so gut es ging auf die seltsamen Geräusche ihrer Umgebung. Sie hörte ein tiefes, sonores Brummen, das aus der Ferne an ihre Ohren drang.
Feuchte, kalte Luft streichelte über ihre Arme und Beine. Sie zitterte. Schmerzhafter denn je spürte sie die Fesseln, die sich trotz ihres behutsamen Ziehens keinen Millimeter lockerten.
Und sie war allein.
Von ihren Entführern war nichts zu sehen. Dennoch hatten diese sie hierher verschleppt und gefesselt zurückgelassen.
Ihr Blick schweifte umher. Sie befand sich in einem Raum, bei dem es sich offensichtlich um einen alten Gewölbekeller handelte. Er wurde von flackerndem Licht erfüllt, das seinen Ursprung in einem Fernsehgerät hatte, auf dem gerade ein stummgeschalteter Film lief. Die dargestellte Szene zeigte eine im Freien stattfindende Hochzeit, die aber in diesem Augenblick von einem heftigen Unwetter überrascht wurde. Jemand sprang mitten durch die Hochzeitstorte hindurch, während die aufgeregte Gästeschar panikartig die Flucht ergriff.
Immerhin haben sie den Fernseher angelassen. Fehlt nur noch eine Pizza , versuchte sie sich selbst ein wenig aufzuheitern.
Doch der Versuch misslang.
Wie sie bereits vermutet hatte, lag sie tatsächlich auf einem Sofa. Der Bezug bestand aus beigefarbenem Cord, starrte vor Dreck und war mit großen und kleinen Löchern geradezu übersät. Sandy fielen die zahlreichen Flecken auf.
Die Erkenntnis traf sie wie ein heranfliegendes Messer. Eine Welle von Panik schwappte über sie hinweg. Tränen schossen ihr in die Augen und kullerten über ihre Wangen.
Diese Flecken – das ist Blut. Getrocknetes Blut.
„Ihr Arschlöcher!“ Mit aller Kraft zerrte sie an ihren Fesseln. „Lasst mich sofort hier raus! Ihr verdammten Schweine!“
Hatte sie die aufkeimende Panik bisher noch erstaunlich gut unter Kontrolle gehabt, so brachen die Ereignisse der letzten Stunden in diesem Moment wie ein Tsunami über sie herein. Sie schluchzte und konnte die Tränenflut nun nicht mehr zurückhalten.
Doch als sie die Stimme hörte, die durch den Keller hallte, versiegten die Tränen schlagartig. Stattdessen krampften sich ihre Organe zusammen und ein riesiger Kloß im Hals machte ihr das Atmen beinahe unmöglich.
„Hör mit der Heulerei auf, hier unten kann dich sowieso niemand hören.“
KAPITEL 28
Die enge Schneise war beinahe unsichtbar. Insbesondere jetzt, wo der Nebel von Minute zu Minute dichter wurde und der Mond immer wieder hinter dichten Wolken verschwand, war sie kaum zu erkennen.
Ronnie überquerte den Weg und betrachtete den zugewucherten Pfad. Er war etwa zwei Meter breit und von einem kniehohen Teppich aus Gräsern und Pflanzen bedeckt. Das alles hätte ihn nicht weiter interessiert, wäre ihm nicht noch etwas anderes aufgefallen.
Der Großteil der Pflanzen war plattgewalzt oder wenigstens abgeknickt und es war offenkundig, dass diese Schäden nicht auf ein flüchtendes Reh zurückgehen konnten. Vielmehr, so vermutete Ronnie, waren sie auf ein Fahrzeug zurückzuführen, das sich seinen Weg durch das Unterholz gesucht hatte.
Er folgte dem Pfad.
Seine Hosenbeine strichen durch das hohe Gras und versetzten riesige Mückengeschwader in Gefechtsbereitschaft. Das hochfrequente Summen ihrer Angriffsflüge reizte seine ohnehin schon strapazierten Nerven aufs Äußerste. Doch sämtliche Verteidigungsbemühungen, wildes Schlagen, Klatschen und Hauen seinerseits, zeigten keinerlei Wirkung und bereits nach wenigen Metern gab er sich der Übermacht seiner blutrünstigen Gegner geschlagen.
Doch die Strapazen waren auf einen Schlag vergessen, als sich wenige Meter vor ihm die Silhouette des Leichenwagens aus dem Nebel schälte.
Oh man.
Er hatte den Wagen also tatsächlich ausfindig gemacht. Geduckt schlich er zu dem abgestellten Fahrzeug, dessen Motor und Scheinwerfer ausgeschaltet waren. Zusammengekauert verharrte er schließlich neben der Fahrertür und lauschte.
Außer dem noch immer anhaltenden Surren der Mücken und dem gelegentlichen Ruf eines Käuzchens, war es still.
Beinahe beängstigend still.
Selbst das Rauschen des Windes und der Baumwipfel war nicht mehr zu hören. Wie dicke Watte hatte sich der Nebel über die Landschaft gelegt und unterdrückte jegliche Geräuschentwicklung schon im Keim.
Ronnie erhob sich, um einen Blick ins Innere des Wagens zu werfen.
Niemand zu sehen.
Er schlich um das Fahrzeug herum, konnte aber nichts Interessantes entdecken. Die großen Heckscheiben, hinter denen sich normalerweise ein Sarg befand, waren mit undurchsichtigen Gardinen abgehängt.
Völlig normal.
Nachdem er das Fahrzeug einmal vollständig umrundet hatte, legte er seine Hand auf den Griff der Fahrertür. Er sah sich um, schloss die Augen und atmete tief ein.
Dann zog er am Türgriff.
Nichts.
Abgeschlossen.
Sein Versuch, die Beifahrertür zu öffnen, war ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt.
Logisch. Zentralverriegelung.
Dennoch wollte er nichts unversucht lassen und ging erneut an das Heck des Fahrzeugs. Es wunderte ihn nicht weiter, dass auch die Heckklappe verschlossen war und sich nicht öffnen ließ.
Was ihn umso mehr überraschte, war der Schlag auf den Hinterkopf, den er in diesem Moment spürte. Ein rasender Schmerz durchzuckte seinen Körper. Grelle Lichter blitzen vor seinen Augen auf und er spürte das Blut, das warm und klebrig in seinen Nacken tropfte.
Dann gaben seine Knie nach und ein gewaltiger Strudel aus Nebel, Kälte und Dunkelheit riss ihn erbarmungslos in die Tiefe.
KAPITEL 29
Adam schleifte den leblosen Körper hinter sich her. Es war deutlich leichter gewesen, die Mädchen durch den Schlosspark zu tragen als diesen kräftigen Burschen. Nachdem er versucht hatte, ihn hochzuheben, hatte er einen schmerzhaften Stich im Rücken gespürt und beschlossen, ihn lieber hinter sich herzuziehen. Also hatte er die Knöchel kurzerhand mit dem Gürtel des Typen zusammengebunden und zerrte ihn nun seit gut fünf Minuten durch den Wald.
War ihm doch egal, dass der Kopf des Typen ständig gegen irgendwelche Äste, Wurzeln oder Steine schlug. Was hatte er seine Nase auch unbedingt in anderer Leute Angelegenheiten stecken müssen?
Für einen kurzen Moment hatte Adam in Erwägung gezogen, den Typ ins Schloss zu bringen und Sandy ihren Retter zu einem schönen Paket verschnürt zu präsentieren. Allerdings hatte er sich dagegen entschieden, weil er keine Lust hatte, sich von Kid wieder anschnauzen zu lassen. Zu deutlich hatte er ihm vorhin mitgeteilt, dass er mit Sandy allein sein wollte.
Kid konnte ihn mal. Und das kreuzweise.
Und dieser Typ hier konnte ihn ebenfalls kreuzweise. Schließlich hatte er ihm die Sache mit der Blondine versaut.
Und eine entsprechende Strafe hatte sich Adam ebenfalls schon überlegt.
Er kannte den Park wie seine Westentasche. Gleich hatte er es geschafft. Direkt hinter der alten Buche. Er beschleunigte seine Schritte, aber der schwere Körper des Bewusstlosen bremste ihn sofort wieder aus.
Hoffentlich ist er noch nicht tot. Er soll sich ruhig noch ein bisschen an den anderen erfreuen. Vielleicht gefallen sie ihm ja sogar. Die eine oder andere Hübsche ist schon dabei gewesen.
Gut, inzwischen waren sie sicherlich nicht mehr ganz frisch, obwohl Adam stets gut für sie gesorgt hatte.
Er lachte laut auf und blickte auf den bewusstlosen Körper in seinem Schlepptau. In der Situation, in der dieser Typ sich befand, durfte man eben nicht so wählerisch sein.
Nur schade, dass ich nicht sehen kann, was er für Augen macht, wenn er bei den anderen ankommt. Falls er sich nicht vorher das Genick bricht.
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