Philip öffnet den Gürtel, lässt die Hose fallen und will sich gerade in eindeutiger Weise um Cher kümmern, als er draußen Schritte hört, die auf dem Kies knirschen. Schritte, die sich der Stelle nähern, wo Penny ist!
Philip verlässt die Scheune und sieht, wie die Gestalt im Schatten der Bäume verschwindet. Sie hat eine gedrungene Statur und wirkt wie ein Mann um die dreißig. Er trägt Jeans und einen Pullover und schultert eine große rostige Schaufel.
»Nick!«
Philips Ruf wird nicht erwidert. Nick ist zwischen den Bäumen verschwunden.
Philip zieht die Neun-Millimeter aus dem Gürtel und rennt zur Obstplantage. Auf dem Weg dorthin schiebt er ein neues Magazin hinein, ehe ihn die Dunkelheit erfasst und er die Taschenlampe anmachen muss.
In zehn Metern Entfernung sieht er, dass Nick Parsons seine Taschenlampe auf das bleigraue Gesicht der Penny-Kreatur richtet.
»NICK!«
Nick dreht sich um, die Schaufel bereits erhoben. Er lässt die Taschenlampe fallen. »Das ist schon zu weit gegangen, Philly. Viel zu weit.«
»Runter mit der Schaufel«, befiehlt Philip und tritt mit erhobener Pistole zu ihm. Der Schein der Taschenlampe erhellt die Blätter und taucht die Szene in ein unheimliches Licht – fast wie in einem grobkörnigen Schwarzweißfilm.
»Du kannst deiner Tochter so etwas nicht antun. Du weißt nicht, was du da verbrichst.«
»Runter mit der Schaufel!«
»Du hältst ihre Seele davon ab, ins Paradies zu kommen, Philly.«
»Halt’s Maul!«
Fünf Meter entfernt reißt das Penny-Geschöpf an seinen Fesseln. Der Strahl der Taschenlampe, die auf dem Boden liegt, erhellt ihre monströsen Gesichtszüge. In ihren Augen spiegelt sich das silbrige Licht wider.
»Philly, hör mir zu.« Nick senkt die Schaufel. In seiner Stimme schwingt tiefes Mitleid mit. »Du musst sie sterben lassen … Sie ist eines von Gottes Kindern. Bitte … Ich flehe dich an, als Christ … Bitte erlöse sie.«
Philip zielt mit dem Lauf der Pistole direkt auf Nicks Stirn. »Wenn sie stirbt … Dann bist du der Nächste.«
Einen Augenblick lang scheint es, als ob Nick Parsons verloren hätte.
Er lässt die Schaufel fallen, den Kopf hängen und macht sich dann wieder wortlos auf den Weg zur Villa.
Während dieser schrecklichen Auseinandersetzung hält das Penny-Wesen seinen gierig ausdruckslosen Blick auf den Mann gerichtet, der einmal sein Vater war.
Brian geht es immer besser. Sechs Tage nach den Schlägen fühlt er sich fit genug, um aufzustehen und durch das Haus zu hinken. Seine Hüfte tut bei jedem Schritt weh, und er leidet unter Schwindelanfällen, wenn er die Treppe hinauf- oder hinuntermuss. Aber im Großen und Ganzen kann er zufrieden sein. Seine Prellungen und Blutergüsse sind mehr oder weniger abgeklungen, und er verspürt die ersten Anzeichen von Appetit. Außerdem hat er sich mit Philip unterhalten.
»Ich vermisse sie so sehr«, beichtet Brian seinem Bruder eines Nachts in der Küche. Beide Männer leiden noch immer unter Schlaflosigkeit. »Ich würde sofort mit ihr tauschen, wenn sie nur wieder zu uns zurückkehren könnte.«
Philip blickt zu Boden. Er hat eine Reihe von kaum merklichen Eigenarten entwickelt, die nur zutage treten, wenn er unter Druck steht. Er schnüffelt, schürzt die Lippen und räuspert sich. »Ich weiß, Junge. Es war nicht dein Fehler … Das, was sich da draußen abgespielt hat. Ich hätte dir das nie antun dürfen.«
Brian steigen die Tränen in die Augen. »Ich hätte mich wohl nicht anders verhalten.«
»Vergessen wir es am besten.«
»Klar.« Brian wischt sich die Augen und schaut seinen Bruder an. »Und was ist mit den Leuten in der Scheune?«
Philip erwidert Brians Blick. »Was soll mit ihnen sein?«
»Die ganze Situation macht Nick nervös … Und dann diese Geräusche … Nachts, meine ich. Nick glaubt, dass du … äh … Ihnen die Fingernägel ausreißt.«
Ein kaltes Lächeln spielt um Philips Lippen. »Das ist doch krank.«
Brian verzieht keine Miene. »Philip. Ganz gleich, was du in der Scheune anstellst – es bringt Penny nicht zurück.«
Philip senkt den Kopf. »Das weiß ich … Glaubst du denn, dass ich mir dessen nicht bewusst bin?«
»Dann flehe ich dich an: Hör auf damit. Ganz gleich, was du dort anstellst – hör auf!« Brian starrt ihn an. »Das hat doch keinen Zweck.«
Philip hebt den Kopf und starrt seinen Bruder an. Seine Augen glühen vor Besessenheit. »Der Abschaum da draußen hat mir alles genommen, was mir jemals etwas bedeutet hat … Der Glatzkopf und seine Bande … Die beiden Junkies … Sie haben das Leben eines wunderschönen, unschuldigen, kleinen Mädchens zerstört. Aus Wahnsinn und Habgier. Es gibt nichts, das ich ihnen antun könnte, was auch nur annähernd eine gerechte Strafe wäre.«
Brian seufzt. Weitere Proteste würden auf taube Ohren stoßen, das weiß er. Also nimmt er seinen Kaffeebecher.
»Und du liegst falsch mit der Behauptung, dass es keinen Zweck hat«, fährt Philip nach einer Weile fort. »Es dient dem Zweck, dass es mir besser geht.«
Am nächsten Abend, nachdem sie die Lichter ausgemacht haben und die Feuer in den Kaminen verglühen, beginnt der Wind mit den Dachfenstern und den losen Schindeln zu spielen. Brian liegt in seinem Bett im Nähzimmer und versucht, sich einem unruhigen Schlaf hinzugeben, als er eine Tür hört und Nick Parsons’ Silhouette auf seiner Schwelle erscheint. Brian setzt sich auf. »Was ist los, Nick?«
»Still«, flüstert Nick, tritt zu ihm ans Bett und kniet sich hin. Er trägt einen Mantel und Handschuhe. Eine Ausbuchtung an der Hüfte lässt darauf schließen, dass er eine Pistole eingesteckt hat. »Nicht so laut.«
»Was ist los?«
»Dein Bruder schläft … Endlich.«
»Und?«
»Na, wir müssen also … Wie heißt es? Wir müssen … eingreifen.«
»Was? Meinst du Penny? Hast du etwa noch einmal vor, Penny ins Jenseits zu befördern?«
»Nein! Die Scheune, Mann! Die Scheune!«
Brian reibt sich die Augen und streckt seine schmerzenden Gliedmaßen. »Ich weiß nicht, ob ich mir das schon wieder antun will.«
Sie schleichen aus der Hintertür, jeder von ihnen mit einer Knarre bewaffnet. Nick hat die Waffe des Glatzkopfs eingesteckt, und Brian den Achtunddreißiger mit dem kurzen Lauf. Leise laufen sie durch den Hinterhof zur Scheune. Dort richtet Brian den Strahl seiner Taschenlampe auf das Vorhängeschloss. Sie nehmen ein Stück Holz von einem Stapel und brechen damit, so leise wie es geht, die maroden Tore auf.
Brians Herz schlägt ihm bis zum Hals, als sie sich in die dunkle Scheune wagen.
Der Gestank nach Schimmel und Fäkalien schlägt ihnen entgegen. Er wird immer penetranter, je tiefer sie sich in die düsteren Schatten der Scheune begeben. Endlich erkennen sie zwei dunkle Gestalten, die in einer Blutlache liegen, das so schwarz wie Öl ist. Sie scheinen kaum mehr etwas Menschliches an sich zu haben. Als Brian den Schein der Lampe auf ein blasses Gesicht richtet, verschlägt es ihm den Atem.
»Grundgütiger!«
Der Mann und die Frau sind noch am Leben – gerade noch. Ihre Gesichter sind entstellt und stark angeschwollen, auf ihren entblößten Körpern sind überall offene Wunden, aus denen Eiter quillt. Beide stehen kurz vor der Bewusstlosigkeit. Ihre halb geschlossenen Augen starren zu den Dachsparren. Die Frau wurde brutalst misshandelt und vergewaltigt. Sie gleicht einer gebrochenen Gliederpuppe. Ihre Beine sind auseinandergerissen, und ihre weiße, tätowierte Haut ist voll getrocknetem Blut.
Brian fängt zu stammeln an. »Mein Gott … Was ist … Grundgütiger …«
Nick kniet sich neben die Frau. »Brian, hol Wasser.«
»Und was ist mit …«
»Aus dem Brunnen, und zwar schnell!«
Brian überlässt Nick die Taschenlampe, dreht sich um und eilt aus der Scheune.
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