Jetzt erzählt er nichts mehr von seinen Wahrnehmungen. Er sagt diesbezüglich keinen Ton mehr – bis zu ihrem zweiwöchigen Jubiläum in der Villa, als er kurz vor Sonnenaufgang von einem Klirren von Dosen aus dem Tiefschlaf gerissen wird.
Was zum Teufel …«, stammelt Brian in die Dunkelheit, die sein Zimmer einhüllt. Er tastet nach der Kerosinlampe auf seinem Nachttisch, stößt sie aber lediglich um, sodass das Glas zerbricht und die Flüssigkeit ausläuft. Er steht auf und geht zum Fenster. Der Boden ist so kalt, dass seine Füße fast daran kleben bleiben.
Das Mondlicht erhellt die kristallklare Herbstnacht und verleiht jeder Form einen silbrigen Schein. Brian kann noch immer die Dosen an den Stolperdrähten hören. Auch die anderen haben offenbar etwas mitbekommen, denn es dringen Geräusche aus den anliegenden Zimmern zu ihm. Jetzt sind alle wach, aufgeweckt von den klappernden Dosen.
Das Merkwürdigste ist – Brian ist sich allerdings nicht ganz sicher, ob er sich das nicht nur einbildet –, dass das Klappern aus allen Richtungen zu kommen scheint. Die Dosen lärmen sowohl hinter der Villa wie auch vor ihr. Brian reckt den Kopf, um besser sehen zu können, als die Tür zu seinem Zimmer aufgeht.
»Alles klar?« Philip steht mit nacktem Oberkörper im Türrahmen. Er trägt Jeans und Stiefel, die er aber noch nicht zugeschnürt hat. In einer Hand hält er die alte Flinte, und seine Augen sind vor Aufregung weit aufgerissen. »Du schnappst dir die Heugabel, sie steht hinten in der Diele. Schnell!«
»Beißer?«
»Jetzt mach schon!«
Brian nickt und eilt aus dem Zimmer. Vor Panik beginnt er zu keuchen. Er trägt nichts weiter als eine Jogginghose und ein ärmelloses T-Shirt. Als er durch die Villa rennt – die Treppe hinab, quer durch den Salon und in den Gang hinaus –, sieht er, wie sich draußen etwas bewegt. Es kommt näher. Näher.
Er schnappt sich die Heugabel, die an die Tür gelehnt ist, dreht sich um und eilt zum Salon.
Nick, Philip und Penny warten bereits am Treppenabsatz auf ihn. Zusammen eilen sie zum Erkerfenster, das einen guten Rundblick auf die umliegenden Gartenanlagen, die sanft abfallende Einfahrt zur Straße und die Obstplantage bietet. Die geduckten Schattenumrisse sind nicht zu übersehen. Sie nähern sich aus drei Richtungen dem Haus.
»Sind das Autos?«, fragt Nick kaum hörbar.
Als sich ihre Augen an die Finsternis gewöhnt haben, merken sie, dass es sich tatsächlich um Fahrzeuge handelt, die langsam über das Grundstück auf die Villa zufahren. Eines kommt die Auffahrt hoch, ein anderes nähert sich von Norden her durch die Obstplantage, und ein drittes ist im Süden erkennbar, wie es auf einem Kiesweg aus dem Wäldchen kommt.
Mit einer beinahe perfekten Synchronisation hält jedes Auto in gleicher Entfernung zur Villa an und wartet einen Augenblick lang. Sie sind jetzt keine fünfzehn Meter mehr entfernt. Die Windschutzscheiben sind zu dunkel, als dass man die Insassen erkennen könnte. »Das ist kein Begrüßungskomitee«, murmelt Philip trocken.
Plötzlich und beinahe wieder synchron gehen die Lichter an. Der Effekt ist recht dramatisch. Die Lichtstrahlen treffen auf die Fenster der Villa und erhellen das dunkle Innere. Philip ist bereits auf dem Sprung, nach draußen zu gehen, um den Eindringlingen mit seiner nicht funktionierenden Flinte ein Gefecht zu liefern, als aus dem hinteren Teil des Hauses ein lautes Krachen zu ihnen dringt.
»Schatz, du bleibst bei Brian«, bittet er Penny, ehe er Nick einen Blick zuwirft. »Nicky, ich will, dass du aus einem Seitenfenster kletterst. Nimm die Machete und versuch, sie von hinten zu überraschen. Verstanden?«
Nick weiß genau, was er machen soll, und verschwindet im Seitengang.
»Bleibt hinter mir, dicht hinter mir.« Philip hebt die Flinte, der Kolben ruht auf seiner Schulter. Vorsichtig und mit einer beinahe unheimlichen Ruhe schleicht er generalstabsmäßig zur Küche, aus der jetzt die Geräusche von Schritten auf zerbrochenem Glas zu ihnen dringen.
»Jetzt mal locker, Bürschchen!«, schlägt der Eindringling mit einem gut gelaunten Tennessee-Akzent vor und richtet den Lauf einer Neun-Millimeter-Glock auf Philip, als dieser die Küche mit erhobener Flinte betritt.
Ehe man ihn so unsanft unterbrach, sah sich der Einbrecher mit aller Seelenruhe in der Küche um, als ob er gerade erst aufgestanden und mal kurz zur Speisekammer getapst wäre, um sich einen Mitternachtssnack zu gönnen. Das Licht der Scheinwerfer dringt von draußen in die Küche. Die Fensterscheibe über dem Türknauf ist kaputt – so hat sich der Eindringling offensichtlich Zugang verschafft –, und das blasse Licht der Morgendämmerung steigt langsam über den Horizont.
Der Mann ist mindestens einen Meter neunzig groß, trägt eine abgenutzte Tarnhose, schmutzige Stiefel und eine blutbesudelte, kugelsichere Weste aus Kevlar. Auf seinem vernarbten Kopf wächst kein einziges Haar mehr, und seine Augen gleichen zwei Kratern, die von winzigen Meteoriteneinschlägen verursacht wurden. Bei genauerer Betrachtung macht er einen kranken Eindruck, so als ob er einer zu hohen Dosis Strahlung ausgesetzt worden wäre. Seine blassgelbe Haut ist von Wunden und Geschwüren übersät.
Philip zielt mit der nutzlosen Antiquität auf den Schädel des Eindringlings – sie stehen etwa zwei Meter voneinander entfernt. Philip tut so, als ob sie geladen wäre. Er scheint es beinahe selbst zu glauben. »Hm, ich drücke mal ein Auge zu«, sagt er, »und gehe davon aus, ihr habt gedacht, dass hier niemand mehr wohnt.«
»Du sagst, wie es ist, Bürschchen«, erwidert die Glatze gelassen und klingt beinahe so, als ob er unter Medikamenten- oder Drogeneinfluss stünde. Seine Zähne sind mit Goldkronen versehen und funkeln, als er ein reptilienartiges Grinsen zeigt.
»Dann bedanken wir uns schon mal, dass ihr uns in Ruhe lasst. So passiert euch auch nichts.«
Der Glatzkopf mit der Glock runzelt die Stirn. »He, das ist aber nicht nett von euch!« Der Mann leidet unter einer nervösen Zuckung, die seine Gewaltbereitschaft erahnen lässt. »Hab schon gesehen, dass ihr ein nettes, junges Ding da drinnen habt.«
»Das kannst du dir gleich aus dem Kopf schlagen.« Philip weicht keinen Zentimeter. Er hört die Tür knarzen, dann nähern sich Schritte vom Salon her. Philip ist hin und her gerissen. Einerseits hat er Angst, was als Nächstes passieren könnte, andererseits will er dem Kerl zeigen, wer hier das Sagen hat. Er weiß, dass die nächsten Sekunden entscheidend sind – vielleicht sogar über Leben und Tod. Aber es fällt ihm erst einmal nichts anderes ein, als Zeit zu schinden. »Wir wollen kein Blut vergießen, Junge, und ich kann garantieren, dass es deines ist, das zuerst fließt, falls etwas passiert.«
»Große Klappe, wie ich sehe.« Plötzlich ruft er etwas zu einem Kumpan in der Dunkelheit. »Shorty?«
Eine Stimme antwortet. »Alles klar, ich habe ihn, Tommy!«
Im selben Moment taucht Nick vor der kaputten Fensterscheibe der Terrassentür mit einem großen Bowiemesser an der Kehle auf. Ihm folgt ein abgemagerter junger Kerl mit Pickeln und Bürstenhaarschnitt. Der Typ stößt die Tür mit dem Fuß auf und schubst Nick in die Küche.
»Tut mir leid, Philly«, ächzt dieser, ehe er gegen einen Schrank prallt und ihm einen Moment lang der Atem wegbleibt. Der schlanke Kerl mit dem Bürstenhaarschnitt hält das Messer an Nicks Adamsapfel gedrückt. Die Machete hat er in den Gürtel gesteckt. Das hibbelige, knöcherne Exemplar von Mann mit den fingerlosen Handschuhen macht den Eindruck, als ob es soeben aus dem Gefängnis ausgebrochen wäre. Er hat die Ärmel seiner Tarnjacke abgetrennt, und seine langen, dünnen Arme sind mit Tattoos nur so übersät.
»Jetzt mal ganz ruhig«, wendet sich Philip an die Glatze. »Es gibt keinen Grund …«
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