Lange standen wir und warteten, ohne dass etwas geschah.
«Mir kommt da gerade ein scheußlicher Gedanke», sagte ich. «Wenn sich ein schlafender Vogel auf seinem Zweig im Gleichgewicht halten kann, liegt eigentlich kein Grund vor, warum er dann wegen des Schlafpulvers herunterfallen sollte.»
Claud warf mir einen raschen Blick zu.
«Schließlich ist er ja nicht tot», fuhr ich fort. «Er schläft nur.»
«Er ist betäubt», verbesserte mich Claud.
«Das ist doch bloß eine tiefere Art von Schlaf. Warum soll er herunterfallen, nur weil er tiefer schläft?»
Düsteres Schweigen.
«Schade, dass wir’s nicht zuerst mit Hühnern ausprobiert haben», meinte Claud. «Mein Vater hätte das getan.»
«Dein Vater war ja auch ein Genie», antwortete ich.
In diesem Augenblick ertönte hinter uns ein leises Plumpsen.
«Was ist das?»
«Psst!»
Wir lauschten.
Bum!
«Hörst du’s?»
Es war ein tiefer, dumpfer Laut, als sei ein Sandsack aus Schulterhöhe zu Boden gefallen.
Bum!
«Das sind Fasanen!», rief ich.
«Warte noch!»
«Bestimmt sind es Fasanen!»
Bum! Bum!
«Du hast recht!»
Wir liefen in den Wald zurück.
«Wo sind sie?»
«Dort drüben! Da hat’s zweimal gebumst!»
«Ich dachte, es wäre auf der anderen Seite gewesen.»
«Schau nach», sagte Claud. «Weit können sie jedenfalls nicht sein.»
Wir suchten ungefähr eine Minute lang.
«Ich habe einen!», schrie er.
Ich lief zu ihm. Er hielt in beiden Händen einen herrlichen Fasanenhahn. Wir betrachteten ihn genau im Licht unserer Taschenlampen.
«Betäubt bis an die Kehllappen», sagte Claud. «Er lebt noch, ich fühle sein Herz, aber er ist betäubt bis an die Kehllappen.»
Bum!
«Noch einer!»
Bum! Bum!
«Wieder zwei!»
Bum!
Bum! Bum! Bum!
«Herr, du meine Güte!»
Bum! Bum! Bum Bum! Bum! Bum!
Ringsum regnete es Fasanen von den Bäumen. Wir liefen wie die Verrückten im Dunkeln hin und her und leuchteten den Erdboden mit unseren Lampen ab.
Bum! Bum! Bum!
Beinahe wären sie mir auf den Kopf gefallen. Ich stand unter dem Baum, als sie herunterkamen, und ich fand sie sofort – zwei Hähne und eine Henne. Sie waren schlaff und warm, und die Federn fühlten sich wundervoll weich an.
«Wo soll ich sie hinlegen?», rief ich, als ich die drei Vögel an den Beinen gepackt hatte.
«Bring sie rüber, Gordon. Wir werden sie hier aufeinanderschichten, wo es hell ist.»
Claud stand am Rande der Lichtung, von Mondlicht überflutet, in jeder Hand ein großes Bündel Fasanen. Sein Gesicht strahlte, seine Augen waren groß und glänzend, und er schaute sich um wie ein kleiner Junge, der gerade entdeckt hat, dass die ganze Welt aus Schokolade ist.
Bum!
Bum! Bum!
«Das gefällt mir nicht», sagte ich. «Es sind zu viele.»
«Prachtvoll ist es!», rief er, warf die Vögel hin, die er trug, und lief fort, um weiterzusuchen.
Bum! Bum! Bum! Bum!
Bum!
Jetzt waren sie leicht zu finden. Unter jedem Baum lagen zwei oder drei. Schnell hatte ich sechs gesammelt, lief zurück, drei in jeder Hand, und legte sie zu den anderen. Dann wieder sechs. Und noch einmal sechs.
Immer mehr plumpsten herab.
In einem Taumel der Ekstase stürmte Claud wie ein Besessener von Baum zu Baum. Ich sah den Lichtstrahl seiner Lampe durch das Dunkel zucken, und jedes Mal, wenn er einen Vogel fand, stieß er einen Triumphschrei aus.
Bum! Bum! Bum!
«Das müsste dieser Schuft Hazel hören!», rief er.
«Brüll nicht so», ermahnte ich ihn. «Ich habe Angst.»
«Was sagst du?»
«Du sollst nicht so brüllen. Es könnten Wildhüter in der Nähe sein.»
«Ach was, die sind alle beim Essen.»
Drei oder vier Minuten hielt der Fasanenregen noch an. Dann wurde es plötzlich still.
«Such weiter!», schrie Claud. «Unter den Bäumen liegen sie haufenweise!»
«Meinst du nicht, wir sollten uns verdrücken, solange die Luft noch rein ist?»
«Nein», antwortete er.
Wir suchten weiter. In einem Umkreis von hundert Schritten, im Norden, Süden, Osten und Westen der Lichtung, sahen wir unter jedem Baum nach, und schließlich hatten wir wohl die meisten gefunden. An unserem Sammelplatz lag ein Berg Fasanen, so groß wie ein Scheiterhaufen.
«Ein Wunder», murmelte Claud. «Verdammt nochmal, ein Wunder.» Er starrte die Vögel wie verzückt an.
«Am besten nehmen wir jeder ein halbes Dutzend und machen uns aus dem Staub», sagte ich.
«Du, Gordon, ich möchte sie zählen.»
«Dazu ist jetzt keine Zeit.»
«Ich muss sie zählen.»
«Nein», protestierte ich. «Komm.»
«Eins … zwei … drei … vier …» Er zählte langsam und sorgfältig, nahm einen Vogel nach dem anderen auf und legte ihn behutsam beiseite. Der Mond stand jetzt genau über uns, und auf der Lichtung war es taghell.
«Ich bleibe hier nicht länger stehen», erklärte ich und trat ein paar Schritte zurück, um im Schatten zu warten, bis er fertig war.
«Hundertsiebzehn … hundertachtzehn … hundertneunzehn … hundertzwanzig !», rief er. «Stell dir vor: einhundertzwanzig Fasanen! Das ist der absolute Rekord!»
Daran zweifelte ich keinen Augenblick.
«Mein Alter hat einmal fünfzehn in einer Nacht erwischt. Das war seine Höchstleistung, und danach war er acht Tage betrunken.»
«Du bist der Weltmeister», sagte ich. «Können wir jetzt gehen?»
«Gleich.» Er zog seinen Sweater hoch und wickelte die beiden weißen Baumwollsäcke ab, die er sich um den Bauch gebunden hatte. Einen davon drückte er mir in die Hand. «Hier ist deiner. Pack ihn voll, aber schnell.»
Das Mondlicht war so hell, dass ich den Aufdruck unten am Sack lesen konnte. J. W. Crump , stand da, Keston-Dampfmühlen, London SW 17.
«Ich muss immerzu daran denken, dass vielleicht der widerliche Kerl mit den braunen Zähnen hinter einem Baum steht und uns beobachtet», flüsterte ich.
«Ausgeschlossen», beruhigte mich Claud. «Du kannst mir’s glauben, der lauert uns bei der Tankstelle auf.»
Wir fingen an, die Fasanen in die Säcke zu stopfen. Die Vögel waren weich, ihre Köpfe hingen schlaff herab, und die Haut unter den Federn war noch warm.
«Unten auf dem Weg wartet ein Taxi», sagte Claud.
«Wie?»
«Ich fahre immer im Taxi zurück, Gordon. Wusstest du das nicht?»
«Nein.»
«Ein Taxi ist anonym», erklärte er. «Außer dem Chauffeur weiß niemand, wer darin sitzt. Das hat mir mein Vater beigebracht.»
«Und wer ist der Chauffeur?»
«Charlie Kinch. Der freut sich, wenn er mir einen Gefallen tun kann.»
Wir hatten nun alle Fasanen eingepackt, und ich versuchte, den schweren Sack auf die Schulter zu heben. Er enthielt etwa sechzig Vögel und wog mindestens anderthalb Zentner.
«Wie soll ich denn das schleppen?», murrte ich. «Wir müssen einen Teil der Beute zurücklassen.»
«Wenn’s nicht anders geht, wirst du den Sack eben ziehen», meinte Claud.
Wir stapften also durch den pechschwarzen Wald und schleiften die Säcke hinter uns her.
«Bis zum Dorf schaffen wir’s nie», sagte ich.
«Keine Angst», erwiderte Claud, «der alte Charlie hat mich noch nie im Stich gelassen.»
Wir erreichten den Waldrand und spähten durch die Hecke.
«Hallo, Charlie», wisperte Claud, und der alte Mann am Lenkrad des Taxis steckte den Kopf in den Mondschein hinaus. Sein zahnloser Mund verzog sich zu einem schlauen Grinsen. Wir zwängten uns durch das Gestrüpp und zerrten die Säcke bis zum Wagen. «Hallo», sagte Charlie. «Was ist denn das?»
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