In diesem Moment wandte der Wildhüter den Kopf, um in den Wald hinter sich zu blicken.
Blitzschnell zog Claud die Papiertüte aus der Tasche und schüttete einen Haufen Rosinen in die rechte Hand.
«Lass das», sagte ich.
Aber schon hatte er mit einer weit ausholenden Armbewegung die ganze Handvoll hoch über die Büsche auf die Lichtung geworfen.
Wie Regentropfen auf trockenes Laub fielen die Rosinen mit einem leisen, weichen Klatschen zu Boden, und jeder Fasan auf der Lichtung musste sie entweder gesehen oder gehört haben. Die Folge war ein großes Flügelschlagen, als alle herbeistürzten, um den Schatz zu finden.
Der Kopf des Wildhüters fuhr herum, als wäre im Hals eine Sprungfeder eingebaut. Die Vögel pickten mit wildem Eifer die Rosinen auf. Der Mann machte zwei schnelle Schritte vorwärts, und eine Sekunde fürchtete ich, er werde der Sache auf den Grund gehen. Aber nein – er blieb stehen und ließ den Blick aufmerksam in die Runde schweifen.
«Komm», flüsterte Claud. «Und nicht aufrichten!» Damit kroch er geschwind auf allen vieren davon, wie ein Affe.
Ich folgte ihm. Er hätte die Nase dicht über der Erde, und sein breites, kräftiges Hinterteil ragte gen Himmel. Nun verstand ich auch, warum der Wildererarsch in dieser Zunft eine Berufskrankheit geworden war.
So krochen wir ein gutes Stück.
«Jetzt rennen», befahl Claud.
Wir richteten uns auf, liefen weiter, und wenige Minuten später schlüpften wir durch die Hecke in die schöne Sicherheit des offenen Weges hinaus.
«Glänzend ist das gegangen», sagte Claud schwer atmend. «Hat es nicht wunderbar geklappt?» Sein Gesicht war scharlachrot und leuchtete vor Triumph.
«Ein Reinfall war es», knurrte ich.
«Was?», rief er.
«Natürlich war es ein Reinfall. Wir können doch jetzt unmöglich zurückgehen. Der Wildhüter weiß, dass jemand da war.»
«Gar nichts weiß er», antwortete Claud. «In fünf Minuten ist es im Wald stockdunkel, und dann verzieht er sich nach Hause zum Abendbrot.»
«Ich glaub, ich werde es ebenso machen.»
«Du bist ein schöner Wilderer», meinte Claud. Er setzte sich auf die Böschung an der Hecke und zündete sich eine Zigarette an.
Die Sonne war untergegangen, und über dem blassen Rauchblau des Himmels lag ein schwacher gelber Glanz. Im Wald hinter uns wurden die grauen Schatten zwischen den Bäumen allmählich schwarz.
«Wie lange dauert es, bis das Schlafmittel wirkt?», fragte Claud.
«Vorsicht», flüsterte ich. «Da kommt jemand.»
Der Mann war geräuschlos aus der Dämmerung aufgetaucht; als ich ihn erblickte, war er knapp dreißig Schritte von uns entfernt.
«Noch so ein elender Wildhüter», murmelte Claud.
Wir sahen dem Mann entgegen, der geradewegs auf uns zukam. Er trug eine Schrotflinte unter dem Arm, und ein schwarzweißer Hühnerhund folgte ihm dicht auf den Fersen. Kurz vor uns machte er halt. Auch der Hund blieb stehen und beobachtete uns zwischen den Beinen seines Herrn hindurch.
«Guten Abend», grüßte Claud freundlich.
Der Mann war etwa vierzig Jahre alt, ein großer, hagerer Kerl mit scharfem Blick, vorspringenden Backenknochen und harten, gefährlichen Händen.
«Ich kenne euch», sagte er ruhig und kam näher. «Ich kenne euch beide.» Claud schwieg.
«Ihr seid von der Tankstelle. Stimmt’s?»
Seine Lippen waren schmal und trocken und mit einer Art bräunlicher Kruste überzogen.
«Ihr seid Cubbage und Hawes von der Tankstelle an der Landstraße. Stimmt’s?»
«Was spielen wir hier eigentlich?», fragte Claud. «Quiz?»
Der Wildhüter spuckte einen dicken Klecks Speichel aus, den ich durch die Luft fliegen und sechs Zoll vor Clauds Füßen klatschend im Staub landen sah. Der schleimige Klumpen glich einer kleinen Auster.
«Schert euch weg», sagte der Mann. «Los, verschwindet!»
Claud saß auf der Böschung, rauchte seine Zigarette und betrachtete den Klecks Speichel.
«Los, los», wiederholte der Mann. «Verschwindet!»
Beim Sprechen hob sich seine Oberlippe und entblößte das Zahnfleisch. Ich sah eine Reihe kleiner, missfarbiger Zähne, von denen der eine schwarz war und die anderen gelb oder braun schimmerten.
«Dies ist zufällig ein öffentlicher Weg», antwortete Claud. «Ich ersuche Sie, uns nicht zu belästigen.»
Der Wildhüter nahm das Gewehr vom linken Arm in den rechten. «Ihr treibt euch hier herum und wollt offenbar ein Verbrechen begehen», sagte er. «Das würde ausreichen, euch festzunehmen.»
«O nein, das würde nicht ausreichen», erwiderte Claud. Dieses Gespräch machte mich ziemlich nervös.
«Ich habe schon seit einiger Zeit ein Auge auf dich», fuhr der Wildhüter fort, indem er Claud ansah.
«Es wird spät», sagte ich. «Müssen wir nicht nach Hause?»
Claud zertrat seine Zigarette und erhob sich langsam.
«Schön», sagte er, «ich habe nichts dagegen.»
Wir ließen den Wildhüter stehen und schlenderten den Weg zurück, den wir gekommen waren. In dem Halbdunkel war der Mann hinter uns bald außer Sicht.
«Das ist der Oberaufseher», erklärte Claud. «Er heißt Rabbetts.»
«Komm bloß weiter.»
«Nein, wir warten hier», entschied Claud.
Zu unserer Linken war ein Gatter, das auf ein Feld führte. Wir stiegen hinüber und setzten uns hinter die Hecke.
«Für Mr. Rabbetts ist jetzt Essenszeit», sagte Claud. «Der stört uns bestimmt nicht mehr.»
Wir saßen mäuschenstill hinter der Hecke und warteten, dass der Wildhüter auf seinem Heimweg an uns vorbeiginge. Am Himmel blinkten ein paar Sterne, und ein heller Dreiviertelmond stieg im Osten über den Hügeln auf.
«Da ist er», flüsterte Claud. «Rühre dich nicht.»
Mr. Rabbetts näherte sich mit fast unhörbaren Schritten, und sein Hund tappte auf weichen Pfoten hinter ihm her. Wir beobachteten die beiden durch die Hecke.
«Heute Abend kommt er nicht mehr zurück», sagte Claud.
«Woher weißt du das?»
«Wenn ein Wildhüter deine Wohnung kennt, lauert er dir nie im Wald auf. Er geht zu deinem Haus, versteckt sich draußen und wartet, bis du kommst.»
«Das ist ja noch schlimmer.»
«Ach wo, man muss nur die Beute irgendwo unterstellen, bevor man heimgeht. Dann kann er einen nicht fassen.»
«Und was ist mit dem anderen – dem auf der Lichtung?»
«Der ist auch fortgegangen.»
«Das kannst du nicht wissen.»
«Ich habe diese Brüder monatelang beobachtet, Gordon. Verlass dich darauf, ich kenne alle ihre Gewohnheiten. Die Sache ist ganz ungefährlich.»
Widerstrebend folgte ich ihm. Oben im Wald war es stockfinster und sehr still, und als wir uns vorsichtig zwischen den Baumreihen vorwärts bewegten, schienen unsere Schritte widerzuhallen, als wären wir in einer Kathedrale.
«Von hier aus haben wir die Rosinen geworfen», sagte Claud.
Ich spähte durch die Büsche. In milchigen Dunst gehüllt, lag die Lichtung im Mondschein.
«Bist du auch sicher, dass der Wildhüter fort ist?»
«Ich weiß , dass er fort ist.»
Unter dem Mützenschirm konnte ich Clauds Gesicht sehen, die blassen Lippen, die weichen, blassen Wangen, die großen Augen, in denen vor Erregung kleine Funken tanzten.
«Schlafen sie?»
«Ja.»
«Wo?»
«Hier rundherum. Sie bleiben immer in der Nähe.»
«Was tun wir jetzt?»
«Wir warten. Ich habe dir eine Lampe mitgebracht», fügte er hinzu und gab mir eine jener kleinen Stablampen, die wie ein Füllfederhalter geformt sind. «Du wirst sie brauchen.»
Allmählich verflog meine Angst. «Wollen wir mal versuchen, ob wir irgendwo in den Bäumen Fasanen entdecken können?», fragte ich.
«Nein.»
«Ich möchte aber gern wissen, wie sie aussehen, wenn sie schlafen.»
«Wir treiben keine Naturstudien», erwiderte Claud. «Sei jetzt still.»
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