Claud zog es vor, meinen Einwurf zu überhören. «Diese Methode ist bei Sportanglern sehr beliebt. Vor allem bei solchen, die nicht so oft, wie sie möchten, an die Küste fahren können. Es verschafft ihnen etwas von der altgewohnten Spannung. Das Dumme ist nur, dass es ziemlichen Lärm macht. Wenn man die Schnur einholt, schreit der Fasan wie verrückt, und alle Wildhüter im Walde kommen angerannt.»
«Und wie ist die Methode Nummer drei?», fragte ich.
«Oh», antwortete er, «Nummer drei ist eine bildschöne Sache. Die letzte, die mein Vater vor seinem Tode noch erfunden hat.»
«Die Krönung seines Lebenswerkes, wie?»
«Genau das, Gordon. Ich kann mich noch deutlich an alles erinnern, sogar daran, dass es an einem Sonntag war. Stell dir vor, morgens kommt mein Vater plötzlich mit einem weißen Hahn unter dem Arm in die Küche und sagt: ‹Ich glaube, ich hab’s.» Er lächelt ein bisschen, in seinen Augen ist ein Schimmer von Stolz, er kommt sehr leise und ruhig herein, setzt den Vogel mitten auf den Küchentisch und sagt: ‹Bei Gott, diesmal ist die Sache goldrichtig.› Meine Mutter sieht von ihrem Abwasch auf und sagt: ‹Was ist goldrichtig? Nimm sofort den dreckigen Vogel von meinem Tisch, Horace.› Der Hahn hat einen komischen kleinen Papierhut auf dem Kopf, wie eine umgekehrte Waffeltüte für Eis, und mein Vater zeigt stolz mit dem Finger darauf. ‹Streichle ihn›, sagt er zu mir. ‹Er wird sich nicht vom Fleck rühren.› Der Hahn versucht, mit dem Fuß den Papierhut herunterzukratzen, aber der sitzt fest, als wäre er angeleimt. ‹Kein Vogel in der Welt läuft weg, wenn man ihm die Augen verdeckt›, erklärt mein Vater. Er stößt den Hahn mit dem Finger, pufft ihn und knufft ihn, ohne dass der Vogel im Geringsten Notiz davon nimmt. ‹Den kannst du haben›, sagt er zu Mutter, ‹schlachte ihn und tische ihn uns zur Feier der Erfindung auf, die ich soeben gemacht habe.› Damit packt er mich am Arm, läuft mit mir hinaus, und schon marschieren wir über die Felder zu dem großen Wald von Haddenham, der früher dem Herzog von Buckingham gehört hat. In weniger als zwei Stunden hatten wir fünf schöne, fette Fasanen gefangen, und zwar ohne jede Mühe. War ebenso einfach, wie sie im Laden zu kaufen.»
Claud hielt inne, um Atem zu schöpfen. Seine Augen waren groß, feucht und träumerisch von dem Rückblick in die Wunderwelt seiner Jugend.
«Etwas begreife ich aber nicht», sagte ich. «Wie hat er den Fasanen im Wald die Papierhüte auf den Kopf stülpen können?»
«Das wirst du nie erraten.»
«Bestimmt nicht.»
«Nun, die Sache ist so. Zuerst gräbt man ein kleines Loch in die Erde, dann dreht man aus einem Stück Papier eine Tüte, stellt sie mit der Spitze nach unten in das Loch, bestreicht das Innere der Tüte mit Vogelleim und tut ein paar Rosinen hinein. Auf der Erde legt man einen Streifen Rosinen aus, der zu dem Tütchen hinführt. Der alte Fasan folgt pickend der Spur, und wenn er an das Loch kommt, steckt er den Kopf hinein, um auch die letzten Rosinen zu verschlingen. Im nächsten Moment merkt er, dass er Papier über den Augen hat und nichts mehr sieht. Ist doch fabelhaft, worauf manche Leute verfallen, nicht wahr, Gordon?»
«Dein Vater war ein Genie», bestätigte ich.
«Dann entschließe dich. Such dir ganz nach Belieben eine von den drei Methoden aus, und die wollen wir dann heute Abend anwenden.»
«Findest du nicht, dass sie alle drei ziemlich grausam sind?»
«Grausam?», rief er entrüstet. «Du lieber Gott! Und wer hat in den letzten sechs Monaten fast täglich gebratenen Fasan gegessen, ohne einen Penny dafür zu bezahlen?»
Er drehte sich um und ging auf die Tür der Werkstatt zu. Ich sah ihm an, dass meine Bemerkung ihn tief verletzt hatte.
«Warte mal», sagte ich. «Geh nicht.»
«Kommst du heute Abend mit oder nicht?»
«Ja, aber ich habe noch eine Frage. Mir ist da gerade etwas eingefallen.»
«Behalt’s für dich», knurrte er. «Was verstehst du schon von Fasanen!»
«Erinnerst du dich an das Schlafmittel, das mir der Arzt vorigen Monat wegen meiner Rückenschmerzen gegeben hat?»
«Na und?»
«Warum sollte das Zeug nicht auch auf Fasanen wirken?»
Claud schloss die Augen und schüttelte mitleidig den Kopf.
«Warte», sagte ich.
«Darüber brauchen wir gar nicht erst zu reden», erwiderte er. «Kein Fasan in der Welt schluckt die lausigen roten Kapseln. Wenn dir nichts Besseres einfällt …»
«Du vergisst die Rosinen», unterbrach ich ihn. «Hör mal zu. Wir nehmen eine Beere, weichen sie ein, bis sie aufgequollen ist, machen mit einer Rasierklinge einen kleinen Einschnitt und höhlen sie ein bisschen aus. Dann öffnen wir eine von meinen roten Kapseln und schütten alles Pulver in die Rosine, worauf wir den Ritz mit Nadel und Faden sorgfältig zunähen. Nun …»
Aus den Augenwinkeln konnte ich beobachten, wie sich Clauds Mund langsam öffnete.
«Nun», fuhr ich fort, «haben wir eine hübsche, sauber aussehende Rosine, die zweieinhalb Gran Schlafpulver enthält, und jetzt will ich dir etwas sagen: Das reicht aus, einen erwachsenen Mann bewusstlos zu machen, also erst recht einen Vogel !»
Ich wartete zehn Sekunden, damit der Stoß seine volle Wirkung entfalten konnte.
«Und was noch wichtiger ist», fuhr ich fort, «diese Methode gestattet uns, in großem Maßstab zu operieren. Wenn wir Lust haben, können wir zwanzig Rosinen präparieren. Wir brauchen nichts weiter zu tun, als sie bei Sonnenuntergang auf den Futterplätzen auszustreuen und dann wegzugehen. Nach einer halben Stunde fangen die Pillen an zu wirken, die Fasanen, die sich zum Schlafen auf den Bäumen niedergelassen haben, werden schwindlig, sie taumeln, suchen sich im Gleichgewicht zu halten, aber bald fällt jeder Vogel, der auch nur eine einzige Rosine gefressen hat, bewusstlos herunter. Wie Äpfel vom Baum werden sie purzeln, und wir brauchen sie nur noch aufzusammeln.»
Claud starrte mich an. «Großer Gott», murmelte er dann.
«Ein weiterer Vorteil ist, dass uns niemand erwischen wird. Wir bummeln ganz harmlos durch den Wald, lassen hier und dort ein paar Rosinen fallen, und selbst, wenn man uns beobachtet, wird kein Mensch Verdacht schöpfen.»
«Gordon», sagte er, legte die Hand auf mein Knie und sah mich mit Augen an, die groß und leuchtend wie Sterne waren. «Gordon, wenn das glückt, wird es das Wildern revolutionieren.»
«Freut mich sehr.»
«Wie viele Pillen hast du denn noch?», fragte er.
«Neunundvierzig. Fünfzig waren in dem Glas, und ich habe nur eine genommen.»
«Neunundvierzig sind nicht genug. Wir brauchen mindestens zweihundert.»
«Bist du verrückt?», rief ich.
Er ging langsam zur Tür, blieb dort stehen, mit dem Rücken zu mir, und betrachtete den Himmel.
«Zweihundert sind das Minimum», sagte er ruhig. «Wenn wir die nicht haben, brauchen wir gar nicht erst anzufangen.»
Was soll das?, dachte ich. Was, zum Teufel, hat dieser Bursche vor?
«Es ist unsere letzte Chance, bevor die Jagd eröffnet wird», fügte er hinzu.
«Mehr kann ich nicht kriegen.»
«Sollen wir vielleicht mit leeren Händen heimkommen? Wie?»
«Aber warum so viele ?»
Claud wandte den Kopf und blickte mich mit großen unschuldigen Augen an. «Warum nicht?», sagte er freundlich. «Hast du etwas dagegen?»
Plötzlich ging mir ein Licht auf. Mein Gott, dachte ich, der verdrehte Kerl will Mr. Victor Hazels festliche Eröffnung der Jagd torpedieren.
«Du besorgst zweihundert von diesen Pillen», befahl er. «Dann lohnt sich die Sache.»
«Das schaffe ich nie.»
«Du kannst es wenigstens versuchen, nicht wahr?»
Mr. Hazel eröffnete die Jagd alljährlich am ersten Oktober, und das war ein großes Ereignis. Schwächliche Herren in Tweedanzügen, teils Angehörige alter Adelsgeschlechter, teils Besitzer von sehr viel Geld, kamen in Begleitung ihrer Gewehrträger, Hunde und Gattinnen von weit her gefahren, und den ganzen Tag hallte das Tal vom Lärm der Schüsse wider. Fasanen gab es immer in Hülle und Fülle, denn jeden Sommer wurde der Bestand durch Dutzende und Aberdutzende junger Vögel aufgefrischt, was unglaublich teuer war. Ich hatte sagen hören, dass sich die Kosten für das Aufziehen und die Ernährung eines jeden Fasans, bis er schussreif war, auf mehr als fünf Pfund beliefen (annähernd der Preis für zweihundert Laib Brot). Aber Mr. Hazel fand, dass sich jeder Penny dieser Investition lohnte. Er wurde, wenn auch nur für wenige Stunden, ein großer Mann in einer kleinen Welt, und selbst das Oberhaupt der Grafschaft klopfte ihm beim Abschied auf den Rücken und versuchte, sich seines Vornamens zu erinnern.
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